Zu erleben bei Alban Berg und Schostakowitsch: Dirigent Teodor Currentzis schafft es, auch die wildesten Passagen eines Werkes ausgewogen und ausbalanciert rüberzubringen.

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Wien – Als das SWR-Orchester im Dezember im Konzerthaus gastierte, ging es zum Schluss hin tänzerisch zu. Verantwortlich dafür war der agile Dirigent. In seinem edlen Ansinnen, jeder melodischen Regung des Musikkarussells Bolero vonMaurice Ravel den letzten Tropfen Eindringlichkeit herauszupressen, schlich Teodor Currentzis durchs Orchester. Mit malerischen Gesten umgarnte er einzelne Musiker und Musikerinnen. Es kam jedoch eher als überkandidelte Fleißaufgabe rüber.

Solch Tanzeinlagen gehören zum interessanten griechisch-russischen Musiker wie sein Schweigen zum Ukraine-Krieg. Currentzis ist der substanzvolle Exzentriker, der als Bewohner zweier politischer Systeme aktuell versucht, sein Image als ernsthafter Musiker schadfrei zu halten. In Russland mit MusicAeterna, im Westen mit seinem neuen Orchester Utopia und eben mit dem SWR-Orchester, dessen Chefdirigent er noch bis 2025 sein wird.

Statt Tanzeinlagen gab es diesmal im Konzerthaus markante Momente der verordneten Stille nach dem jeweiligen Werk. Durchaus sinnvoll. Alban Bergs Violinkonzert ist, der Komponist hat es formuliert, "dem Andenken eines Engels" gewidmet. Es war Manon, die 19-jährig an Kinderlähmung verstorbene Tochter Alma Mahlers und des Architekten Walter Gropius.

Verzweifelte Geige

Was mit den Quinten der leeren Geigensaiten so schwebend-entrückt ansetzt, lässt die norwegische Geigerin Vilde Frang später tollkühn in dramatische Abgründe der ausdrucksstarken Virtuosität hineinspringen. Es ist Fangs risikofreudiger Zugriff, der die Verzweiflungslinien des Werkes regelrecht schreien lässt. Allerdings ist da auch die Zurücknahme von Expressivität, die anderen Passagen wimmernde Intimität verleiht. Mitunter scheint es, als würden sich Einzeltöne poetisch regelrecht entmaterialisieren, während drumherum impulsive instrumentale Ausgewogenheit herrscht. Bei einem Werk, zu dem es übrigens nun einen "Kritischen Bericht" gibt. Mit Skizzen, Briefen und anderen Dokumenten lässt sich dieses instrumentale Requiem studieren.

Dereinst wird es vielleicht zu Currentzis’ Meinung bezüglich Musik und Politik auch erhellende Dokumente zu lesen geben. Bis auf weiteres bleibt es dem Hörer vorbehalten, aus der Musik etwas Kriegskritisches herauszuhören. Bei Schostakowitschs Symphonie Nr. 8 c-Moll op. 65 ist es kaum anders möglich.

Es ist eine Art Epos, das die nicht enden wollende kriegerische Qual in repetitive Strukturen bannt, die das SWR behutsam gestaltet, um sie in katastrophische Zuspitzungen zu verwandeln. Currentzis lotet Momente fahler Erschöpfung ebenso aus wie die grotesk-giftige Scheinheiterkeit. Hernach verordnet er Stille, bis man ihn zu feiern beginnt. (Ljubiša Tošic, 26.1.2023)