"Man kann sich nicht verwehren, effektive Lösungen anzugehen", sagt Gesundheitsminister Rauch.

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Den beträchtlichen Zustrom in die Krankenhäuser außerhalb der Regelzeiten führt Tirols Ärztekammerpräsident Kastner auf die große Unsicherheit der Menschen zurück.

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Der Ärztekammer geht es aus Sicht von Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne) viel "ums Bewahren und nicht so sehr um zukunftsfähige Gestaltung", wie er am Freitag im Ö1-"Morgenjournal" sagte. Er wolle keine konkreten Forderungen im Vorhinein ausrichten, verlangt aber bei den Verhandlungen zum neuen Finanzausgleich von der Kammer, den Bundesländern und dem Bund, im Sinne der Patientinnen und Patienten – und nicht der Ärztinnen und Ärzte – zu handeln. "Eine endlose Fortschreitung der Beharrungszustände können wir uns nicht leisten", so Rauch. Sollte es bis Ende 2023 zu keiner Einigung kommen, könne er sich auch vorstellen, notfalls Änderungen gegen den Willen der Vertragspartner umzusetzen.

Trend zu Wahlärztinnen und Wahlärzten bleibt

Wichtig sei jedenfalls künftig ein gleichberechtigter und guter Zugang zum Gesundheitssystem. Auf die Frage, ob dieser derzeit nicht gegeben sei, entgegnete Rauch, dass die Situation sich verschärfe. Zwar werde genug medizinisches Fachpersonal ausgebildet, aber der Trend zu Wahlarztpraxen sei ungebrochen.

Rauch kritisiert dabei auch den aus seiner Sicht unverständlichen Widerstand bei Primärversorgungszentren, an denen mehrere Ärzte tätig sind. Nach Förderungen der EU sollten 75 davon entstehen, derzeit seien es 39. Rauch verstehe dabei nicht, warum es ein Vetorecht der Kammer gegen die Errichtung geben soll. "Man kann sich nicht verwehren, effektive Lösungen anzugehen", sagte er. Sollte es im Rahmen der Verhandlungen bis Jahresende keine Einigung geben, könne er sich etwa vorstellen, das Vetorecht zu entziehen. Der Ausgleich müsse heuer finalisiert werden, sonst bleibe in den nächsten fünf Jahren alles so, wie es ist. "Das kann nicht so bleiben, dann wird es noch ineffizienter und teuer, und die Probleme werden sich verschärfen", so der Minister.

Arbeitnehmer-Obmann bemängelt Zusammenarbeit

Kritik kam auch von der Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK). Arbeitnehmer-Obmann Andreas Huss führte in einer Aussendung Negativbeispiele aus der Zusammenarbeit mit der Ärztekammer an. So verhindere die Standesvertretung den Ausbau der kindermedizinischen Ambulatorien in Wien, obwohl es Errichtungsbewilligungen gebe, und wehre sich gegen alternative Versorgungsformen wie Ambulatorien oder Kooperationen mit Krankenhäusern, auch wenn dortige Kassenstellen längere Zeit nicht besetzt werden könnten.

"Die Ärztekammer nutzt hier ihre Vetorechte, um eine Angebots- und Nachfrage-Schieflage zu erzeugen und diese zu ihrem Vorteil zu nutzen", kritisierte Huss. "Hohe Nachfrage und niedriges Angebot führt zu höheren Honoraren, so die Strategie. Das erschwert es uns, die gute Versorgung für alle aufrechtzuerhalten." Natürlich könne sich die Kammer ausschließlich auf die Vertretung der Interessen der Ärzte zurückziehen und jegliche Versorgungsverantwortung von sich weisen: "Dann aber bitte ohne irgendwelche Vetorechte."

Konkrete Forderungen aus Tirol

Der Tiroler Ärztekammerpräsident Stefan Kastner wartet indes mit zwei konkreten Forderungen an die Politik auf, wie dem Ärztemangel sowie der Überlastung der Krankenhäuser bereits im Vorfeld entgegengewirkt werden könnte. Für Ersteres brauche es eine "kurzfristige Jobgarantie" für Absolventen des Medizinstudiums, sagte Kastner im Interview. Das solle gesetzlich normiert werden. Für Zweiteres sei eine Offensive im Bereich der Gesundheitshotline 1450 nötig.

Dass viele Studierende, die das Medizinstudium absolviert haben, nach ebendiesem Österreich verlassen und ins Ausland gehen, sei "verständlich", so Kastner. "Es gibt oft monatelange Wartezeiten auf Ausbildungsplätze. Im Ausland finden sie oft rascher einen Job und werden oft wertschätzender behandelt." So werde den angehenden Jungmedizinern dort oft ein "Mentorensystem" zur Seite gestellt und sie würden auch abseits des Arbeitsplatzes, etwa bei der Wohnungssuche, am Anfang unterstützt. "Soft Skills" seien gefragt. "Es ist für sie attraktiver. Sie finden schneller einen Job, unter besseren Bedingungen. Und dabei geht es oft gar nicht in erster Linie um finanzielle Aspekte", mahnte Kastner ein Umdenken hierzulande ein.

Jobgarantie für junge Mediziner

Eine gesetzlich normierte Jobgarantie könne dem entgegenwirken und helfen, die jungen Menschen nach dem Studium "schneller abzuholen". "Das passiert derzeit nicht", kritisierte der oberste Standesvertreter der Ärzte in Tirol. Es liege hier eine "Bringschuld" der Politik vor. Man habe jedenfalls derzeit "mehr Interessenten als Stellen für die Ausbildung, weil Planstellen fehlen". Die Forderung Kastners an die Krankenanstalten daher: Mehr Ausbildungsplätze schaffen.

Voraussetzung für die "Jobgarantie" sei aber auch die Durchführung einer konkreten und fundierten Bedarfserhebung in jedem Bundesland, erneuerte Kastner eine frühere Forderung. Dies müsse sowohl die jeweilige Region als auch die jeweiligen medizinischen Fächer betreffen. Nur so könne man feststellen, wo und in welchem Bereich man künftig Medizinerinnen und Mediziner brauche.

Wegen all dieser Argumente würde auch die Forderung von Burgenlands Landeshauptmann Hans Peter Doskozil (SPÖ) zu kurz greifen, der eine gesetzliche Verpflichtung schaffen will, um Medizinstudenten nach ihrem Studium in Österreich zu halten. Man müsse diese Forderung umkehren: Die Politik sei in der Pflicht, für die entsprechenden Jobmöglichkeiten zu sorgen, drehte Kastner den Spieß um.

Patientenströme umleiten

Ein weiteres gesundheitspolitisches Feld, das bearbeitet gehört, ist für Kastner jenes der übermäßigen Patientenströme in die Krankenhäuser außerhalb der Regelzeiten der Arztpraxen und sonstigen Primärversorgungseinheiten. Und hier sah er ein taugliches Mittel, um dem entgegenzuwirken: Die Gesundheitshotline "1450", in Pandemie-Zeiten als Corona-Hotline "berühmt" geworden. Wenn die Pandemie auch nur etwas Gutes gebracht habe, dann die Tatsache, dass mittlerweile fast jeder diese Nummer, die ja ursprünglich dafür gedacht war, Fragen zu beantworten, kenne, so der Ärztekammerchef.

Dieses enorme Potenzial gelte es nun zu nützen, um eine rasche telefonische Abklärung, Hilfe und damit eine "Steuerung im positiven Sinne" zu erreichen. Das hieße vereinfacht gesagt: Die Menschen könnten dort anrufen und dann kompetent Auskunft bekommen, ob ihre Beschwerden wirklich Grund genug sind, gleich ein Krankenhaus aufzusuchen. "Es geht darum, strukturiert für Aufklärung zu sorgen. Wir könnten dadurch die Ströme in die Spitäler besser in den Griff bekommen. Hier gibt es viel Puffer. Denn ich orte bei vielen Patienten Orientierungslosigkeit im System", sagte der Chirurg Kastner, der eine eigene Praxis in Innsbruck betreibt und verwies auf einen ähnlichen Hotline-Beratungs-Fokus in den USA oder der Schweiz. Deshalb sollte eine "1450-Offensive" inklusive der Zurverfügungstellung der notwendigen Ressourcen und der entsprechenden Bewerbung gestartet werden.

Den beträchtlichen Zustrom zu den Krankenhäusern außerhalb der Regelzeiten führte Kastner auf die große Unsicherheit der Menschen zurück. "Sie haben Beschwerden und googeln dann etwas. Und 'Dr. Google' teilt ihnen mit, dass – überspitzt formuliert – das Lebensende potenziell nahe ist. Das ist ein reales Problem." Hier brauche es eine Steuerung – und zwar am besten bevor die Menschen in die Spitäler kommen.

Kritik von Doskozil "nicht gerechtfertigt"

Der scharfen Kritik von Doskozil an der Ärztekammer und dem Vorwurf, diese sei ein Bremser bei Reformen, konnte Kastner nichts abgewinnen. Und erwartungsgemäß auch nicht der Forderung, der Kammer gehöre "Macht" genommen: "Ich habe nicht das Gefühl, in einem Machtzentrum zu arbeiten. Wir sind primär eine Standesvertretung, sehen uns aber nicht nur quasi als Gewerkschaft für Freiberufler. Wir haben die Innensicht, wie ein Krankenhaus oder eine Arztpraxis funktioniert." Die Ärztekammer sei "bereit für Reformen, aber die kann man nur gemeinsam machen". "Man kann nicht einseitig Bedingungen verändern", richtete Kastner Doskozil aus und sprach von einem "Angriff auf die legitime Interessenvertretung". (red, APA, 27.1.2023)