"Operation Walsertraum": Von 1943 bis 1945 fristeten in diesem Rundbau prominente Gefangene ein luxuriöses Dasein.

Foto: Thomas Gayda / Tagebuch eines Gefangenen

Eine eigenwillige Kombination aus Gästen fand sich in der Zeit des Nationalsozialismus im idyllischen Kleinwalsertal in Vorarlberg in einem Hotel zusammen: In den letzten Monaten vor Kriegsende wurden rund 30 europäische Persönlichkeiten unterschiedlichster Gesinnung im Luxusotel Ifen interniert. Sie sollten im Bedarfsfall dazu dienen, gegen NS-Gefangene der Alliierten ausgetauscht zu werden. Als einziges Fünfsternehotel im Ort thront der mittlerweile in "Travel Charme Ifen Hotel" umbenannte Rundbau noch immer auf seinem Hügel. An die Geschehnisse von damals erinnert hier heute nichts mehr.

Unfreiwillige Ehrengäste

Eine "wild zusammengewürfelte Zwangsgemeinschaft" nennt der Kleinwalsertaler Historiker und Autor Thomas Gayda die unfreiwilligen Ehrengäste des Hotels: Hier dinierte etwa der Antifaschist und einstige Ministerpräsident Italiens, Francesco Saverio Nitti, neben dem Faschisten und früheren Polizeichef, Carmine Senise, oder der ehemalige Premierminister Frankreichs, Albert Sarraut, neben dem Chef der ukrainischen Nationalisten, Andrij Melnyk, und der Prinzessin von Griechenland.

Als wäre diese Gesellschaft nicht schon illuster genug, trafen hier unfreiwillige auch auf freiwillige Gäste, denn viele hochrangige Nazis und ihre Familien wurden für ihre Verdienste um das Reich mit einem Urlaub im Hotel Ifen belohnt. "So kam es, dass Internierte regelmäßig mit Obernazis im Frühstücksraum saßen", erzählt Gayda.

Prinzessinnen, Diplomaten und Nazioffiziere verweilten hier Seite an Seite.
Foto: Thomas Gayda / Tagebuch eines Gefangenen

Tagebuch eines Gefangenen

Der wichtigste unfreiwillige Gast war wohl jener, dessen heimliche Aufzeichnungen die Geschichte des Hotel Ifen vor dem Vergessen bewahrten: André François-Poncet, Diplomat und ehemals französischer Botschafter in Berlin und Rom, führte als einer der ersten Zwangsinternierten im Hotel von November 1943 bis Mai 1945 Tagebuch.

"So gut wie alles, das man heute über die Internierungen weiß, haben wir seinen Aufzeichnungen zu verdanken", sagt Gayda, der dieses Zeitdokument durch Zufall 2008 im Bregenzer Landesarchiv entdeckte. Unter dem Titel "Carnets d’ un Captif (Aufzeichnungen eines Gefangenen)" stand ein gebundenes Exemplar in französischer Sprache verwaist im Regal. Gayda ließ es übersetzen und 2015 neu verlegen. Die Wiederentdeckung dieses Werks sei für die historische Aufarbeitung essenziell gewesen, denn die Nazis hatten nach Kriegsende alles darangesetzt, die Unterlagen über die Geheimoperation zu vernichten.

"Operation Walsertraum"

Diese lief unter dem Decknamen "Operation Walsertraum" und unterstand dem Gestapo-Chef Ernst Kaltenbrunner, der das Hotel 1943 für "besondere Gäste des Reiches" beschlagnahmte. In den Nürnberger Prozessen habe sich Kaltenbrunner später auf das Ifen als Aushängeschild für die vermeintlich gute Behandlung, die man den "Gästen" in Internierungshotels habe zuteilwerden lassen, berufen. "Natürlich war die Realität in anderen Internierungshotels, die üblicherweise einem KZ angeschlossen waren, ganz anders."

Direktor des Hotels blieb weiterhin Hans Kirchhoff, der das Ifen 1936 erbaut hatte. Als Errichter von Olympia-Spielstätten in Garmisch-Partenkirchen habe sich dieser bereits einen Namen gemacht und sei mit den Nazis gut vernetzt gewesen, erzählt Gayda. Über Kirchhoff wird François-Poncet später in seinem Tagebuch schreiben "Er war ein Nazi, der im Umgang mit seinen Gästen stets freundlich und zuvorkommend ist."

1933 boomte der Tourismus im Tal. Deutsche Touristen mussten in dieser Zeit bei einem Urlaub in Österreich eine Visumgebühr bezahlen – überall, außer im Kleinwalsertal.
Foto: Thomas Gayda / Tagebuch eines Gefangenen

Erbaut hatte der findige Geschäftsmann das Ifen-Hotel 1936 vor dem Hintergrund des damals boomenden Tourismus im Kleinwalsertal. Denn nachdem Hitler 1933 die sogenannte "1.000-Mark-Sperre" – eine Visumgebühr, die Deutsche bei einem Urlaub in Österreich bezahlen mussten – explizit nur für das Kleinwalsertal aufgehoben hatte, explodierten die Nächtigungszahlen im Tal, und die Nächtigungsbetriebe sprossen nur so aus dem Boden. So auch das Ifen als erstes hochalpines Luxushotel.

Gefangene erster Klasse

Eine Gefangenschaft in einem Luxushotel, in dem die Internierten "freundlich und zuvorkommend" behandelt werden, klingt eher nach Wellnessurlaub. Wein und Champagner seien an so manchen Abenden geflossen, und die Gefangenen durften sich trotz Überwachung durch die Gestapo drinnen wie draußen frei bewegen. Die Hinterbliebenen von François-Poncet, mit denen Gayda bis heute Kontakt hält, hätten vor der Neuauflage des Tagebuchs Angst gehabt, man könnte ihrem Vater das Luxusleben im Hotel ankreiden, sagt Gayda. Seine Gefangenschaft war schließlich nicht vergleichbar mit der von Millionen in Konzentrationslagern.

Doch trotz Schampus und Kaviar habe unter den Hotelgästen stets die Angst regiert. "Auf zig Seiten beschreibt François-Poncet den psychischen Druck, dem man selbst unter diesen luxuriösen Umständen ausgesetzt war." Schließlich kannte man die Willkür der Nazis: "Er war sich sicher, dass man ihn jeden Moment töten könnte, sobald sein Zweck als Geisel wegfällt."

André François-Poncet lebte im besten Zimmer des Hotels: zweiter Stock und Rundblick über die Alpen.
Foto: Thomas Gayda / Tagebuch eines Gefangenen

Dass man ihn und die anderen Gefangenen in den Wirren des Untergangs des "Dritten Reichs" nicht tötete, ist einer Kollaboration zwischen François-Poncet und der Widerstandsgruppe "Walser Heimatschutz" zu verdanken. Deren Gründer, der offenbar geläuterte vormalige NS-Ortsgruppenleiter Peter Meusburger, nahm Kontakt zu François-Poncet auf und ließ ihn einen Hilferuf an die Alliierten verfassen. "Das Risiko war natürlich hoch, dass die Nazis ihre Spuren vernichten und alle umlegen", sagt Gayda. Aber Meusburger handelte einen Deal mit den verbliebenen Gestapo-Beamten aus, die Gefangenen blieben verschont und wurden am 2. Mai 1945 von den Alliierten befreit.

Luxus auf 1.111 Meter Höhe

Von der kurvigen Straße aus erblickt man auf 1.111 Meter Höhe Teile des Hotels, auch heute noch im typischen Rundbau. Tatsächlich wurde es nach der Übernahme durch die Walser Raiffeisen Holding und die Hotelgruppe Travel Charme Hotels & Resorts gänzlich abgerissen und im Jahr 2010 mit 125 Zimmern und einem 2.500 Quadratmeter großen Wellnessbereich als "Travel Charme Ifen Hotel" neu eröffnet.

Zu dem 2.500 Quadratmeter großen Spa-Bereich des "neuen Ifen" gehört auch ein Infinitypool.
Foto: Arne Nagel

Eine Erhaltung sei leider nicht möglich gewesen, sagt Hoteldirektor Ralph Hosbein. Man habe aber auf den allgemeinen Wunsch der Bevölkerung reagiert und das Hotel als historischen Trakt originalgetreu nachgebaut – schließlich galt das Ifen mit seiner einzigartigen Bauweise mittlerweile als Wahrzeichen.

Die Rolle des Hotels in der NS-Zeit scheinen hier im Tal aber die wenigsten zu kennen. Auch im Ifen selbst erinnert heute nichts mehr daran – Fotos oder gar eine Informationstafel über die Zeit als Internierungslager findet man im neuen Ifen nicht. Vom einstigen Zimmer François-Poncets im Rondeau des zweiten Stocks blickt man aber noch heute auf dieselben Kleinwalsertaler Berge. (Viktoria Kirner, 16.2.2023)

Heute ist das ehemalige Zimmer von François-Poncet im Rondeau des zweiten Stocks eine Suite.
Foto: privat