Eine von Bolsonaros Sohn Carlos angeführte Gruppe half dem Präsidenten dabei, seine Botschaften durch Fake-Profile in sozialen Medien zu verbreiten.

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Was hat die Menschen am 8. Jänner dazu bewegt, den Kongress, den Präsidentenpalast und den Obersten Gerichtshof in Brasília zu stürmen? Offensichtlich handelte es sich um Unterstützer des abgesetzten Präsidenten Jair Bolsonaro, die den Sieg seines Kontrahenten, Luiz Inácio Lula da Silva, bei der Präsidentschaftswahl im Oktober vergangenen Jahres nicht akzeptieren wollten. Für Brasiliens Obersten Gerichtshof war klar, dass es bereits vor dem 8. Jänner gewaltbereite Anhänger Bolsonaros gab. Influencer der "Neuen Rechten" bildeten über Jahre hinweg ein eigenes Ökosystem der Desinformation, das durch die Bolsonaro-Regierung und seine Vertrauten gefördert wurde.

Einer der prominentesten rechten Influencer ist Allan dos Santos. Der Mann hinter dem Youtube-Kanal Terça Livre hat nach Ermittlungen der Polizei das Ende demokratischer Institutionen und den Sturz gewählter Bürgermeister und Gouverneure gefordert. Damit sollte Bolsonaro leichter regieren können. Zudem verlangte er wiederholt, dass das Militär gegen die Amtseinnahme Lulas eingreife.

Fluchthilfe durch den Präsidentensohn

2020 ist Santos nach Hausdurchsuchungen und Beschlagnahmungen vor der brasilianischen Justiz in die USA geflohen. Polizeiberichten zufolge half ihm dabei der Abgeordnete und Präsidentensohn Eduardo Bolsonaro. Bereits im Juni 2020 habe Eduardo Bolsonaro nach Santos' Reisepassdaten gefragt. Daraufhin habe der Abgeordnete den Influencer um die Nummer und das Datum des ihm zugesandten Polizeiprotokolls gebeten. Einen Monat später konnte Santos trotz laufender Ermittlungen das Land verlassen. Aufgrund von Verstoßen gegen die Richtlinien wurden zahlreiche seiner Videos von Youtube entfernt. Auch Santos' Konten auf Instagram und Twitter wurden gesperrt. Inzwischen ist er jedoch wieder auf Twitter aktiv und spricht immer wieder davon, zensiert zu werden.

In einem Tweet verbündete sich Santos mit Aiub, der meinte, man dürfe den Staat nicht kritisieren.

Videos von Terça Livre erscheinen weiterhin auf der Videoplattform Rumble. Dafür produziert Santos inzwischen Content als selbsternannter Korrespondent in den USA. Von dort aus säte er nicht nur Zweifel am elektronischen Urnensystem in Brasilien, sondern auch an den Präsidentschaftswahlen in den USA, bei denen Joe Biden 2020 als Sieger hervorging. Laut der Deutschen Welle (DW) war Santos in Kontakt mit Personen, die am 6. Jänner 2021 das US-amerikanische Kapitol stürmten.

Die Social-Media-Kanäle des Bloggers dienten als "Schutzschild für die Ausübung illegaler Aktivitäten", wird der Vorsitzende des Obersten Gerichtshofs in Brasília, Alexandre de Moraes, von der DW zitiert. Ihm zufolge könne Santos aus dem Ausland in Brasilien kriminelle Handlungen verfolgen. Jedoch mittlerweile mit weniger Gewinn, da Moraes die Bankkonten des Bloggers hat sperren lassen.

Influencer hielt sich in Präsidentenresidenz auf

Das Business mit Desinformation lohnt sich. Einem Bericht der Zeitung "Veja" zufolge wurden 2021 elf Youtube-Kanäle mit zusammengezählten Gewinnen im Millionenbereich auf Anordnung des Obersten Gerichtshofs untersucht. Da die Kanäle falsche Informationen über das Wahlsystem verbreiteten, wurden ihre Einnahmen durch Videos gesperrt. Laut Statista zählte Brasilien 2020 mehr als sieben Millionen Influencer, definiert durch Content-Erstellung für 1.000 oder mehr Follower. Die hohen Gewinnsummen ergeben sich auch schlicht durch den großen Markt in dem Land mit 214 Millionen Einwohnern. Einer Studie aus dem Jahr 2021 zufolge verbringen Brasilianerinnen und Brasilianer durchschnittlich über fünf Stunden täglich mit ihrem Smartphone.

Ein anderer Influencer, der von der brasilianischen Justiz erfasst wurde, ist Oswaldo Eustáquio. Der Journalist und Betreiber des Youtube-Kanals "Hipócritas" hat dem Obersten Gerichtshof zufolge staatsfeindliche Aktionen organisiert, um zu verhindern, dass Lula das Amt des Präsidenten übernimmt. Richter Moraes bestimmte im Dezember vergangenen Jahres seine Festnahme, da Eustáquio gegen den ihm verordneten Hausarrest verstoßen habe. Als der Haftbefehl erlassen wurde, befand sich Eustáquio im Palácio da Alvorada, der offiziellen Residenz des Präsidenten – damals Bolsonaro. Medienberichte ließen vermuten, dass der Influencer beim Präsidenten Schutz vor seiner Festnahme gesucht habe. Allerdings übergab er sich später den Behörden und behauptete, vom Haftbefehl nichts gewusst zu haben.

Nach einer Anfrage des STANDARD über die offizielle Website Eustáquios wurden alle Anschuldigungen abgestritten. Er produziere "journalistische Inhalte, die auf öffentlichem Interesse beruhen". Dabei handle es sich um "unwiderlegbare Wahrheiten, die von den großen Medien nicht akzeptiert werden". Die Sperre von Eustáquios Inhalten sei Zensur, hieß es weiter.

Youtuber sprach sich für Nazipartei aus

Mit 3,8 Millionen Abonnenten ist Bruno Aiub hinter dem Kanal Monark einer der bekanntesten Wahlbetrugsschreier. Während einer Live-Übertragung auf Rumble im November 2022 erfuhr Auib von der Sperre seines Youtube-Kanals. In der Übertragung überlegte der Youtuber laut, ob sein Kanal aufgrund seiner Anzweiflung der Wahlergebnisse gesperrt wurde.

Zuvor war der Influencer im Fokus von Ermittelnden gestanden, nachdem er während einer Diskussion mit zwei Kongressabgeordneten gesagt hatte, dass Brasilien eine Nazipartei haben sollte. "Ich denke, dass ein Nazi eine gesetzlich anerkannte Nazi-Partei haben sollte", sagte Aiub. "Wenn jemand antijüdisch sein will, hat er meiner Meinung nach das Recht dazu", legte er nach. Später entschuldigte der 32-Jährige seine Aussagen damit, sehr betrunken gewesen zu sein.

Seinen Job bei "Flow"-Podcasts war er zwar los, doch Aiubs Kanal Monark ist inzwischen wieder freigeschaltet. Darin verurteilt er beispielsweise eine "Dämonisierung" der Aktionen vom 8. Jänner und bezweifelt – ohne Beweise – die Glaubwürdigkeit von Wahlergebnissen durch elektronische Urnen. "Papier ist sicherer", sagte er in einem kürzlich erschienenen Video. Auf Twitter sympathisierte er mit den Eindringlingen in den Kongress. Anders als viele rechte Influencer kritisierte Aiub Bolsonaro und gab ihm auf Twitter die Schuld am Sieg der Arbeiterpartei bei den Präsidentschaftswahlen. Dies blieb nicht ohne Reaktion des Präsidentensohns Eduardo. Es folgte ein Schlagabtausch zwischen den beiden Männern.

Aiub solidarisierte sich mit den Bolsonaro-Anhängern, die den Nationalkongress stürmten.

Kabinett des Hasses

Eduardo ist nicht der einzige Sohn des Präsidenten, der nach Kontrolle über das Image des Vaters strebte. 2019 behauptete erstmals die Abgeordnete Joice Hasselmann im Rahmen einer Untersuchungskommission gegen Fake News, dass Berater der Präsidentschaft in "digitalen Milizen" agierten. Diese würden vom Stadtrat von Rio de Janeiro und Präsidentensohn Carlos Bolsonaro angeführt. Die Gruppe hat sich Hasselmann zufolge in einem selbsternannten "Kabinett des Hasses" (Gabinete do Ódio) zusammengeschlossen, um Attacken durch Fake-Profile zu koordinieren.

Eduardo Bolsonaro und Aiub lieferten sich auf Twitter einen Schlagabtausch.

Die Kommission stellte fest, dass die Profile Falschnachrichten über Kritiker und Gegner Bolsonaros, wie Lula, den Präsidentschaftskandidaten der Arbeiterpartei im Jahr 2018, Fernando Haddad, oder die ermordete Stadträtin Marielle Franco, verbreiteten. Zudem wurden koordinierte Angriffe auf Bolsonaros Kritiker im Netz durchgeführt. Viele Inhalte kamen von Bots und wurden als Werbung geschaltet. Das "Kabinett des Hasses" agierte von 2018 bis 2022. Laut Ermittlungen stand der ehemalige Präsident in Kontakt mit der Gruppe.

Strafen von bis zu 100.000 Real

Zwar weilt Bolsonaro selbst in Florida und hält sich in den sozialen Medien vor allem seit dem 8. Jänner bedeckt. Dennoch läuft die Maschinerie, die Lügen über seine Gegner und über die Wahl verbreitet, weiter. Verstärkt werden sie durch diejenigen, die einen Putsch gegen Lula verlangen.

Die brasilianische Justiz greift hart gegen Desinformation durch. Kurz nach dem Angriff auf die drei Gewalten in Brasília ordnete Moraes an, dass alle antidemokratischen Inhalte auf Facebook, Instagram, Twitter und Tiktok entfernt würden. Bei einem Verstoß drohen Usern Strafen von bis zu 100.000 Real (etwa 18.000 Euro).

Laut einer Analyse von CNN waren jedoch viele der identifizierten Profile mit demokratiefeindlichen Inhalten am Tag nach den Geschehnissen in Brasília immer noch aktiv. Aufgrund der Menge an Influencern und schnell geteilten, potentiell rechtswidrigen Inhalte hinken die Ermittelnden hinterher. Hinzu kommt, dass viele Menschen auf rechtsgerichtete Plattformen wie Gettr und Rumble ausweichen. Trotz Bolsonaros scheinbarer Abwesenheit besteht das Netz der "Neuen Rechten", das die Parolen seiner Anhänger am 8. Jänner bereits zuvor in breiten Umlauf brachte. Viele geben an, auf die Rückkehr des Ex-Präsidenten zu warten.

Weder Allan dos Santos noch Bruno Aiub haben auf Anfragen des STANDARD geantwortet. (Isadora Wallnöfer, 29.1.2023)