Regierungsgebäude in Sarajawo.

Foto: EPA/FEHIM DEMIR

Nach den Wahlen am 2. Oktober vergangenen Jahres hat Bosnien-Herzegowina nun auf Staatsebene eine neue Regierung. Zu der Koalition gehören die kroatisch-nationalistische HDZ, die serbisch nationalistisch-sezessionistische SNSD von Milorad Dodik, die Sozialdemokraten, die zivil orientierte Naša Straka (Unsere Partei), die bosniakisch-nationalistische NIP und ein paar andere kleinere Parteien. Nur 23 von 42 Abgeordneten stimmten für das neue Kabinett, deren Vorsitz die HDZ-Politikerin Borjana Krišto inne hat.

Die Koalition wurde auch von Vertretern der USA in den vergangenen Monaten forciert, obwohl die US-Botschaft offiziell bekannt gab, nichts mit der Regierungsbildung zu tun zu haben. Kritisiert wurde vor allem die Tatsache, dass von neun Mitgliedern des Ministerrats nur zwei Frauen sind. Aber auch das mangelnde Fachwissen und die Persönlichkeit mancher dieser Minister sorgt in Bosnien-Herzegowina für Stirnrunzeln.

Häusliche Gewalt

Der neue Außenminister Elmedin Konaković hat keine internationale Erfahrung, der Basketballer studierte Sport in Sarajevo. Der Staatsminister für Außenhandel und Wirtschaftsbeziehungen Staša Košarac, der zur völkisch-nationalistischen SNSD gehört, wurde von seiner ehemaligen Frau wegen häuslicher Gewalt angezeigt. Für besonders viel Kritik sorgt Sicherheitsminister Nenad Nešić, der ab nun Zugang zu heiklen Daten haben wird, dem aber selbst Kontakte zum kriminellen Milieu vorgeworfen werden, die er natürlich abstreitet.

Nešić, Präsident der Partei der Demokratischen Allianz (DNS), ein ehemaliger Inspektor der Kriminalpolizei fiel gleich am Tag nach der Regierungsbildung dadurch auf, dass er sowohl vor dem Parlament in Sarajevo als auch im öffentlich-rechtlichen Fernsehen den Drei-Finger-Gruß zeigte, was als nationalistische Provokation aufgefasst wird. Interessant ist, dass Vertreter der Internationalen Gemeinschaft, etwa der EU, der USA, aber auch der Hohe Repräsentant, Christian Schmidt, die Bildung der Koalition begrüßten und sogar von einer "Reformregierung" sprachen.

Einmischung von Kroatien

Der Hohe Repräsentant war vergangene Woche im Auswärtigen Ausschuss des Europäischen Parlaments. Er steht unter Kritik, weil er mit seinen Vollmachten am Wahlabend, den 2. Oktober, das Wahlgesetz und die Verfassung des Landesteils Föderation unter anderem zugunsten der kroatisch-nationalistischen HDZ geändert hatte. Die Regierung des Nachbarstaates Kroatiens hatte zuvor bei Schmidt, bei der EU und bei den USA für solche Änderungen des Wahlgesetz lobbyiert.

Dies wurde von vielen in Bosnien-Herzegowina als bedrohliche Einmischung in die inneren Angelegenheiten von Bosnien-Herzegowina betrachtet, zumal die kroatische Regierung währen des Kriegs gegen Bosnien-Herzegowina (1992-1995) versuchte gemeinsam mit der damaligen serbischen Regierung den Staat Bosnien-Herzegowina zu zerstören und untereinander aufzuteilen. Schmidt wurde nun bezüglich der Wahlrechtsänderung nicht nur von Kroatien, sondern vor allem auch von den USA unterstützt.

Rechenschaftspflicht

Das Gespräch im Auswärtigen Ausschuss des EU-Parlaments war nicht öffentlich, Schmidt bekam vor allem Unterstützung aus den Reihen der Europäischen Volkspartei, der er selbst angehört. Von anderen EU-Abgeordneten wurde er hingegen aufgefordert, seine Änderungen des Wahlgesetzes zurückzunehmen und klarzustellen, inwiefern die kroatische Regierung daran beteiligt gewesen ist, so wie die Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte umzusetzen.

Die grüne EU-Abgeordnete Tineke Strik zeigte sich von dem Meinungsaustausch mit Schmidt "eher enttäuscht". "Ich habe um dieses Treffen gebeten, um ein gewisses Maß an Rechenschaftspflicht gegenüber den von seinen Entscheidungen betroffenen bosnischen Bürgern sicherzustellen, da sich Herr Schmidt in den letzten Monaten vor einer öffentlichen Debatte versteckt hat, halte ich es daher für sehr problematisch, dieses Treffen hinter verschlossenen Türen abzuhalten, da dies mich auch daran hindert, öffentlich zu kommentieren, was genau von wem während des Treffens gesagt wurde", so Strik.

HDZ nachgegeben

Sie kritisierte zudem nochmals den Zeitpunkt von Schmidts Entscheidung am Wahltag selbst: "Die Wahlregeln rückwirkend zu ändern, ist gegenüber den Wählern irreführend und schafft Misstrauen", so die Politikerin. Sie äußerte aber auch Kritik am Inhalt von Schmidts Entscheidung, diese zementiere die ethno-territoriale Spaltung und führe nicht zu einer inklusiveren Gesellschaft. "Ich habe ihm gesagt, dass ich seine Strategie nicht verstehe, warum er den Forderungen der HDZ einseitig nachgegeben hat."

Der slowenische EU-Abgeordnete Klemen Grošelj von der regierenden "Partei Bewegung für Freiheit" meinte, Schmidt wisse nicht, wo er hin wolle. "Beeindruckend war einerseits das Fehlen einer klaren politischen Vision von Schmidt über die politischen Ziele seiner Arbeit und andererseits eine außergewöhnliche Fokussierung auf einige kleine rechtliche Details, die aus Sicht der Zukunft von Bosnien-Herzegowina weitgehend irrelevant sind.", so Grošelj. "Ich weiß nicht, worum es geht, ob es sich um Naivität, Unerfahrenheit oder Unkenntnis der Region und des Landes handelt, aber Bosnien-Herzegowina verdient etwas Besseres."

Deals mit Nationalisten

Schmidt fehle die Idee, dass Bosnien-Herzegowina auf europäischen Werten und einer zivilen Organisation des Staates beruhen müsse, so Grošelj. Nicht nur Schmidt, auch andere Vertreter der Internationalen Gemeinschaft bevorzugen seit mehr als 30 Jahren immer wieder Deals mit Nationalisten in Bosnien-Herzegowina, aber unterstützen gleichzeitig jene Kräfte nicht, die ein europäisches und ziviles Bosnien-Herzegowina wollen. Es ist unklar, weshalb diese Strategie, die bislang keinen Erfolg zeitigte, trotzdem weiter verfolgt wird.

Schmidt begründete die Änderungen des Wahlgesetzes und der Verfassung der Föderation damit, dass er die Blockaden in der Föderation beenden wolle. In den vergangenen Jahren hatte nämlich die HDZ die Regierungsbildung im Landesteil Föderation verhindert. Nun, nach seiner Entscheidung ist allerdings die Bildung einer Regierung in der Föderation wieder äußerst ungewiss, denn die bosniakisch-nationalistische SDA und die bürgerlich orientierte Demokratska Fronta, die beide gegen die Änderungen von Schmidt waren, haben Veto-Möglichkeiten.

Losverfahren mit Überraschungseiern

Die Veto-Möglichkeiten ergaben sich durch ein Losverfahren für Volksvertreter, welches mit Überraschungseiern durchgeführt wurde. Die SDA hat dadurch nun das Vorschlagsrecht für den Präsidenten der Föderation. Offenbar hatten die Rechtsexperten im Amt des Hohen Repräsentanten (OHR) nicht abgesehen, dass es zu dieser Situation kommen kann. Die Entscheidungen des Hohen Repräsentanten werden derzeit auch vom bosnischen Verfassungsgericht überprüft. Am 19. Jänner wurde diesbezüglich keine Entscheidung getroffen, weil die Richter sich nicht einigen konnten. (Adelheid Wölfl, 28.1.2023)