Der Europäische Gerichtshof will mit der Rechtsprechung verhindern, dass Unternehmen absichtlich ungültige AGBs verwenden.

Foto: IMAGO/Horst Galuschka

Kann sich ein Unternehmen auf das gesetzliche Schadenersatzrecht berufen, wenn die eigenen Klauseln in den allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGBs) als gröblich benachteiligend klassifiziert wurden und damit nicht anwendbar sind? Der Fall eines österreichischen Möbelhauses beschäftigt die Gerichte seit 2018 und landete schließlich beim Europäischen Gerichtshof (EuGH). Dieser hat sich nun auf die Seite der Verbraucher geschlagen: Wenn AGBs aufgehoben werden, bleiben Unternehmen mitunter auf ihrem ganzen Schaden sitzen – selbst dann, wenn gesetzlich ein Schadenersatz vorgesehen ist (EuGH 8.12.2022, C-625/21)

Ein Pensionist hatte sich auf einer Messe eine Küche von einem Möbelhaus gekauft. Dem Kaufvertrag lagen die AGBs des Unternehmens zugrunde, die auch den Anspruch des Unternehmens auf Schadenersatz regelten, sollte es aufgrund eines unberechtigten Rücktritts des Verbrauchers zu einer Aufhebung des Vertrags kommen. Die Klausel sah ein Wahlrecht des Möbelhauses vor, entweder einen pauschalierten Schadenersatz (20 Prozent des Bruttorechnungsbetrags) oder gemäß dem gesetzlichen Schadensersatzrecht den tatsächlich entstandenen Schaden verlangen zu können. Der Pensionist trat in der Folge zu Unrecht vom Kaufvertrag zurück, woraufhin das Einrichtungsstudio, gestützt auf den gesetzlichen Schadenersatzanspruch, den Ersatz des tatsächlich entstandenen Schadens forderte.

Der österreichische Oberste Gerichtshof (OGH) qualifizierte die Klausel zum Vertragsrückritt wegen der unangemessenen Höhe des pauschalierten Schadenersatzes – ebenso wie die Vorgerichte – als gröblich benachteiligend, hielt aber fest, dass dem Unternehmen der Ersatz des Schadens nach den Regeln des österreichischen Schadenersatzrechts zustünde, sofern man die Existenz der missbräuchlichen Klausel ausblenden würde. Der EuGH sollte nun insbesondere klären, ob in einem solchen Fall die subsidiäre Anwendung der gesetzlichen Bestimmungen nach dem europäischen Konsumentenschutzgesetz zulässig sei.

Verbraucher wird von Pflicht befreit

Der EuGH kam zum Ergebnis, dass ein Schadenersatzanspruch nicht subsidiär auf das nationale Schadenersatzrecht gestützt werden darf, wenn eine Schadenersatzklausel in einem Kaufvertrag für missbräuchlich und folglich nichtig erklärt worden ist, der Vertrag aber auch ohne diese Klausel fortbestehen kann. Der Verbraucher wird daher trotz vertragswidrigen Verhaltens von jeglicher Schadenersatzpflicht befreit. Eine große Überraschung ist das aktuelle Urteil nicht. Bereits in dem vergleichbaren Fall Dexia hatte der EuGH entschieden, dass sich Unternehmer, die sich einer missbräuchlichen Klausel im Zusammenhang mit der Haftung des Verbrauchers bedient haben, nicht alternativ auf die gesetzlichen Bestimmungen stützen können, wenn auch diese für den Verbraucher nachteilig sind.

Dadurch soll verhindert werden, dass Unternehmer eine missbräuchliche Klausel mit dem Wissen verwenden, selbst für den Fall einer Qualifizierung als missbräuchlich auf die gesetzliche Bestimmung zurückgreifen zu können.

Der OGH ist im aktuellen Fall an die Auslegung des EuGH gebunden. Wie die Entscheidung im Detail aussieht, bleibt abzuwarten. Sich auf das vermeintliche und trügerische Sicherheitsnetz gesetzlicher Bestimmungen zu verlassen, wie dies bei Unternehmen bisher häufig der Fall ist, ist jedoch insbesondere nach diesem EuGH-Urteil nicht mehr zu empfehlen.

Laufende Überprüfung

In vielen Unternehmen spielt die Erstellung von AGBs sowie deren regelmäßige Überprüfung und Überarbeitung nach wie vor eine untergeordnete Rolle. Dabei wird jedoch häufig vergessen, dass diese oft die Grundlage der geschäftlichen Beziehungen eines Unternehmens mit seinen Kunden darstellen und unwirksame Klauseln eine erhebliche wirtschaftliche Relevanz haben können, wie auch der gegenständliche Fall aufzeigt. Um die Risiken von unwirksamen Vertragsklauseln bei gleichzeitigem Wegfall der alternativen gesetzlichen Regelungen zu vermeiden, ist bei der Erstellung von AGBs sowie anderer Vertragsformblätter sorgfältig vorzugehen und vor allem die bereits bestehende Rechtsprechung zur Wahrung der Interessen von Verbrauchern entsprechend zu berücksichtigen. (Wolfgang Guggenberger, Aleksandra Lazic, 29.1.2023)