Leistungsstarke Chips und Software, sowie Cloud-Infrastruktur ermöglichen den Einsatz von künstlicher Intelligenz auch in kleinen Geräten.
Illustration: Midjourney

In immer mehr Bereichen kommen Lernalgorithmen aus der künstlichen Intelligenz zum Einsatz. Sie erkennen beispielsweise Herzkrankheiten in EKG-Daten, Programmierfehler zwischen Abermillionen Zeilen von Code oder potenziell suizidgefährdete Menschen anhand von Social-Media-Postings. Meist benötigt man für derlei Erkenntnisleistungen erst einmal große Datenmengen, auf Basis derer die Lernalgorithmen trainiert werden können. Das macht, insbesondere in Kombination mit leistungsfähiger Hardware, solche Projekte oft langwierig und teuer. Nicht zuletzt schlägt für den Betrieb ein hoher Energieverbrauch zu Buche.

Zu zeigen, dass sich solche Systeme auch in deutlich kleinerem Maßstab realisieren lassen, ist eines der selbstgesteckten Ziele des Linzer Forschungszentrums Pro²Future. Es ist ein K1-Zentrum im Rahmen der Comet-Förderschiene der Österreichischen Forschungsförderungsgesellschaft (FFG). Unter anderem befasst sich Pro²Future mit der Integration von Intelligenz in kleine Geräte, die solcherart ausgerüstet dann autonom in einer gegebenen Umgebung agieren sollen.

Von Staubsauger bis Kugelschreiber

"Klein" bedeute in diesem Zusammenhang alles zwischen Handtellergröße und Millimeterdimension, erklärt Alois Ferscha, wissenschaftlicher Leiter des Zentrums. "Wir konzentrieren uns darauf, die künstliche Intelligenz nicht in der Cloud, auf Backend-Systemen oder Supercomputern laufen zu lassen, sondern auf den Geräten selbst", erklärt er. Als "Gerät" kommt dabei im Grunde alles vom Handstaubsauger bis zum Kugelschreiber infrage. Das Ausmaß an Miniaturisierung ist lediglich durch den aktuellen Entwicklungsstand der Mikroelektronik begrenzt.

Möglich sind diese neuartigen Systeme durch den Einsatz von sogenanntem "reinforcement learning" (dt.: verstärkendes Lernen). Bei dieser Art des maschinellen Lernens trainiert man Modelle nicht auf Basis vieler einzelner Lernbeispiele. Stattdessen werden mittels Sensoren Eindrücke aus der Umgebung erfasst und unmittelbar in einen Lerneffekt umgewandelt. "Schon wenige Eindrücke genügen, um ein erstes, grobes Bild der Situation zu bilden", sagt Ferscha.

Eine zentrale Rolle spielt dabei eine Art "Belohnungssystem" in Form einer mathematischen Funktion, welche die künstliche Intelligenz sukzessive zu maximieren versucht. Dadurch lassen sich erwünschte Lerneffekte verstärken und unerwünschte unterdrücken. "Mit jedem neu dazukommenden Sinneseindruck verbessert sich so das Bild der Situation", erläutert Ferscha. "Auf diese Weise lernen auch organische Lebewesen." Das System lernt also nicht vorab anhand einer abgeschlossenen Menge von Trainingsbeispielen, sondern kontinuierlich in unmittelbarer Interaktion mit der Umgebung, in der sie später zum Einsatz kommen soll.

Die Zeiten, in denen für künstliche
Intelligenz riesige Supercomputer
notwendig waren, sind vorbei.
Foto: APA/TU WIEN/MATTHIAS HEISLER

Eine beispielhafte Anwendung dieses Ansatzes ist ein akkubetriebener Schraubbohrer, der sein Drehmoment automatisch an das zu bearbeitende Material anpassen kann. Ein anderes Beispiel ist die sogenannte "Task-Erkennung", also die Identifikation von Teilaufgaben eines Arbeitsablaufs zur automatisierten Anleitung von Mitarbeitern in der Montage. Der Hintergrund: In industriellen Montageprozessen haben Beschäftigte an ihren Arbeitsplätzen typischerweise eine Vielzahl von Werkzeugen und zu verbauenden Komponenten zur Auswahl. Der Montageablauf ist dabei präzise vorgegeben.

Hilfestellung gegen Ermüdung

Da es sich um eine hochrepetitive Arbeit handelt, ist die Gefahr von Ermüdung und in der Folge von Fehlern groß. Ein Team von Pro²Future hat für diese Aufgabe ein System entwickelt, das erkennt, welcher Arbeitsschritt als Nächstes auszuführen ist, und das dafür benötigte Werkzeug mittels einer grünen Leuchtcodierung anzeigt. Alle übrigen Werkzeuge werden so lange rot markiert, bis sie in einem vorgesehenen Arbeitsschritt zum Einsatz kommen. Dadurch lassen sich Fehler reduzieren und das Arbeitstempo erhöhen.

In einem weiteren Projekt wurde für einen österreichischen Hersteller von Schweißtechnik eine Schweißmaske entwickelt, die die Ausführenden während der Arbeit unterstützen kann. Beim Schweißen gibt es eine große Anzahl von Parametern, die über die Qualität einer Schweißnaht entscheiden – von Stromstärke und Spannung über die Elektrodenform und die Dicke des zu bearbeitenden Werkstücks bis zur Schweißgeschwindigkeit und zum Winkel des Schweißgeräts.

Um herauszufinden, was ein Profi anders macht als jemand, der mit dieser Tätigkeit gerade erst begonnen hat, haben die Forschenden die Pupillen von Schweißerinnen und Schweißern während der Arbeit beobachtet. Eine wichtige Größe ist der Pupillenlichtreflex, der bewirkt, dass sich die Pupille umso mehr schließt, je heller die Umgebung ist. Dieser Reflex ist jedoch von einem zweiten Reflex überlagert, der in Abhängigkeit der kognitiven Belastung ebenfalls die Pupille steuert. Vereinfacht gesagt erweitert er die Pupille, je anstrengender die ausgeführte Aufgabe ist.

Pupille verrät Kompetenz

"Diese beiden Effekte sind miteinander verschränkt. Aber es ist uns gelungen, sie unter kontrollierten Lichtbedingungen voneinander zu separieren", erklärt Ferscha. "Wir können also anhand der Pupille erkennen, ob jemand Expertise besitzt oder noch nie eine Schweißnaht gemacht hat." Dieses System haben die Forschenden dann in einen Schweißhelm integriert und mit einem Assistenzsystem kombiniert. Abhängig von der individuellen Schweißkompetenz erhalten Ausübende Unterstützung bei der Arbeit, etwa durch eine Anpassung der Lichtbogenintensität.

Seit gut vier Jahren beschäftigt sich das Linzer Forschungszentrum mit der Integration von Intelligenz in Geräte aller Art. "Wir werden immer kleiner und nähern uns immer mehr dem Ziel, überall Intelligenz einbetten zu können", sagt Ferscha. In Zukunft werden solche Systeme stärker vernetzt sein, glaubt der Wissenschafter. "Mit der Miniaturisierung und der Integration von Intelligenz in Einzelgeräten entsteht die Möglichkeit, die Lernepisoden so miteinander zu kombinieren, dass sie gemeinsame Lernerlebnisse haben, die jedes System für sich allein nicht haben könnte." Der zugehörige Fachausdruck dafür ist "ensemble learning" oder zu Deutsch "orchestriertes Lernen". (Raimund Lang, 5.2.2023)