Der Pianist Igor Levit in resignativer Pose beim Aufnehmen schwerer Werke: Was so leicht klingt, muss eben bisweilen auch von einem Star hart und von etwas Verzweiflung begleitet erarbeitet werden.

Filmdelights

Es begab sich, dass Igor Levit zur Feier des 70. Geburtstags des deutschen Grundgesetzes neben dem damaligen Bundestagspräsidenten Wolfgang Schäuble saß und beim alten Herrn Staunen auslöste. "Was? Wer hat das gesagt?", fragte Schäuble Levit nach dessen Erzählung, die wie folgt geht: Bei einem Abendessen hätte ihm ein Tischnachbar tief in die Augen geblickt und gutgeheißen, dass Levit als Kind einer aus Russland ausgewanderten jüdischen Familie in Deutschland sesshaft wurde.

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"Derjenige sagte dann aber zu mir", so Levit zu Schäuble, "ich dürfe allerdings nicht vergessen, dass ich zu einer Bevölkerungsgruppe gehöre, für die es nicht vorgesehen war, in Deutschland zu leben." Das habe Wunden hinterlassen, sagt Levit in diesem markantesten Moment des Dokumentarfilms Igor Levit – No fear von Regina Schilling.

Grundsätzlich: Der Pianist, der gerne mit Tweets alles politisch Rechte geißelt, bekam von der Filmemacherin kein schwülstig huldigendes Porträt. Der Film gewährt Einblick in ein schillerndes Reiseleben, das den meisten Instrumentalisten versagt bleibt. Eine Erfolgsexistenz. Dennoch will man sich nach diesem Film Levit nicht als glücklichen Menschen vorstellen.

Lieber Querflöte

Fast programmatisch wirkt die erste Szene, in der ein Konzertflügel mühsam von Arbeitern in Levits Appartement geschleppt wird. "Im nächsten Leben spiele ich Querflöte", jammert der Star, als hätte er selbst die Last getragen. Auch danach scheint das "Drama" des 1987 in Nischni Nowgorod Geborenen kaum zu enden. Es dominiert der Eindruck eines Unzufriedenen, der von seiner Karriere erdrückt wird. Im Taxi sitzend, offenbart er, das alles nicht mehr haben zu wollen. "Es ist einfach nicht mehr mein Leben", sagt Levit. Sein Vorsatz sei, "zu überstehen", der Anzug sei ihm fremd, er fühle sich wie verkleidet. "Als wäre ich 15 Jahre älter und 20 Kilo schwerer. Das alles fühlt sich an wie ein altes Leben."

Spätestens da stellt sich der Eindruck ein, man habe es mit einem Schauspieler zu tun, der das leidende Genie gibt. Tatsächlich ist Levit wohl ein Getriebener, der als Marketingkönner ein ambivalentes Leben führt. Auf Social Media hochaktiv, will er andererseits seine Ruhe haben. Er beklagt, zu viele Konzerte spielen zu müssen, um während der Corona-Lockdowns über zu wenige Auftritte zu klagen und dann in Summe 52 Wohnzimmerkonzerte zu geben. Damit es nicht zu düster wird, hat die Regisseurin in harten Schnitten Levits teils cartoonhafte Twitter- und Instagram-Einwürfe zur Auflockerung implantiert. Auch der ausgelassene Besuch in einer Boutique ist dabei. Und natürlich ist es erfreulich, dass Musik zu hören ist. In einer Sequenz hört man einen Ausschnitt aus Beethovens Waldstein-Sonate, ganze neun Minuten lang.

Väterlicher Freund

Am ehesten noch scheint Levit in jenen Szenen Frieden zu finden, in denen er mit Tonmeister Andreas Neubronner Aufnahmen durchhört. Da kuschelt er sich richtig an den väterlichen Freund an, tippt an dessen Unterarm, als wäre dieser voller Tasten. Sympathischer Moment.

Regina Schilling hat Igor Levit von Mai 2019 bis Dezember 2020 begleitet, bei Konzerten, Proben und Aufnahmen. Lachen sieht man ihn, der am Samstag bei der Mozartwoche in Salzburg spielt, aber nur im Nachspann. (Ljubiša Tošić, 28.1.2023)