Nur wenige Kundinnen erkennen Josef Weghaupt in seiner Bäckerei in der Wiener Landstraße. Es stört ihn nicht. "Die erste Reihe ist selten die beste", sagt er. Pappfiguren von sich würde er vor seinen Filialen niemals aufstellen. Warum er diese Joseph statt Josef nennt? Ein "f" sehe so jung aus. Mit einem "ph" schaffe man einfach mehr Vertrauen.

Als Bäcker für Hipster und Bobos sieht sich Josef Weghaupt nicht. "Ich will aufzeigen, dass Brot mehr ist als nur Füllmittel. Es ist ein Kulturgut."
Foto: Regine Hendrich

STANDARD: Ein Kilo Ihrer teuersten Brote kostet mehr als 30 Euro. Handwerk in Ehren, aber wie viele Kunden wollen und können sich diese Apothekerpreise noch leisten?

Weghaupt: Apothekerpreise sind es keine. Wir verkaufen Joseph-Brot um 8,60 Euro das Kilo. Die Frage ist: Was ist mir wichtig? Kaufen Sie sich ein Kebab, eine Pizza, ein Krügerl Bier, einen Bio-Fenchel. Wo sind wir da? Wovon hat eine Familie mehr? Wie lange zehre ich von einer Pizza, von der ich nicht einmal weiß, woher der Käse auf dem Belag kommt?

STANDARD: Sie haben Brot zum hippen Lifestyleprodukt gemacht, das in Ihren Shops geradezu sakral inszeniert wird. Wie stark trifft sinkende Kaufkraft die Zunft der Nobelbäcker?

Weghaupt: Sie meinen die Zunft der ehrlichen Bäcker, die auf Handarbeit setzt, gerne Menschen beschäftigt und ihre Produkte nicht Maschinen anpasst? Wer sagt, kein verändertes Konsumverhalten zu spüren, spielt nicht mit offenen Karten. Wir sind davon jedoch weniger als andere betroffen, weil wir mehrere Vertriebswege haben. Und wir haben treue Kunden – keine Hipster und Bobos, wie mir oft unterstellt wird.

STANDARD: Ein sozial sehr engagierter Mitbewerber, Gragger, musste erst jüngst Insolvenz anmelden.

Weghaupt: Ich schätze ihn sehr, und es tut mir leid um den Betrieb. Die letzten drei Jahre waren für fast alle von uns Hardcore. Man war nur mit Troubleshooting beschäftigt. Es blieb keine Zeit, Unternehmen weiterzuentwickeln. Viele haben nur versucht zu überleben. Das hat viel Kraft und Geld gekostet.

STANDARD: Werden Sie seine Wiener Standorte übernehmen?

Weghaupt: Nein.

STANDARD: Sie rechnen gern vor, wie viele Minuten Ihre Mitarbeiter für ein Semmerl benötigen im Gegensatz zur Industrie. Darf man dieser günstiges Brot zum Vorwurf machen – in Zeiten, in denen sich viele Menschen das tägliche Leben kaum leisten können?

Weghaupt: Brot ist politisch. Ich bin mit zwei Brüdern im zehnten Wiener Bezirk aufgewachsen. Mein Papa war Eisenbahner, meine Mama Hausfrau. Ich weiß, welches Brot ich damals gegessen habe: den g'staubten Wecken vom Anker. Ich bin kein Unternehmerkind, ich bin kein reicher, verzogener Fratz und kein abgehobener Schnösel. Ich will jedoch aufzeigen, dass Brot mehr ist als nur Füllmittel. Es ist ein Kulturgut.

STANDARD: Dieses gab es lange Zeit im Überfluss. Brot und Gebäck landeten täglich tonnenweise im Müll.

Weghaupt: Daran hat sich nichts geändert.

STANDARD: Geht der Handel damit mittlerweile nicht sorgsamer um?

Weghaupt: Sein primäres Ziel ist Wirtschaftlichkeit. Alle Plakate und Aufkleber sind Maskerade und Fake. Wie hat der Handel auf die Krise reagiert? Er hat Bio aus den Flugblättern verbannt, kam mit Aktionen, hat die Preise für konventionelle Grundnahrungsmittel erhöht und Verpackungsinhalte reduziert. Eine Handelsdichte wie in Österreich gibt es nirgendwo sonst in Europa. Warum rechnet sich das nur hier? Leidtragende sind Produzenten, die unter Druck gesetzt werden und deren Abhängigkeiten massiv sind.

STANDARD: Sie haben in Ihrer Zeit in der Backindustrie viele Jahre mit dem Einzelhandel zusammengearbeitet.

Weghaupt: Meine Erfahrungen daraus würden ein Buch füllen. Stellen Sie sich vor, von zwei Hauptkunden abzuhängen. Krisen sind für Händler die besten Phasen, um ihre Deckungsbeiträge zu erhöhen. In acht Jahren werden wir darüber diskutieren, warum es nur so wenige gute Lebensmittelhersteller gibt. Welche Verantwortung dafür trägt der Handel? Was tut er für seine Biolandwirte, die er groß plakatiert?

STANDARD: Was, wenn Ihnen Supermarktkonzerne anbieten, Joseph-Brot in ihre Regale zu holen?

Weghaupt: Sie haben mich gefragt. Ich mache das nicht. Nie im Leben. Davor verkaufe ich meine Firma.

Josef Weghaupt: "Wäre ich ein Marketinggenie, würde ich nicht Brot backen und 16 Stunden am Tag arbeiten."
Foto: Regine Hendrich

STANDARD: Viele Bäcker sind infolge der hohen Energiekosten in die Verlustzone geschlittert. Konnten Sie die Teuerung an Kunden weitergeben?

Weghaupt: Wir haben die Preise im August um 4,5 bis 5,1 Prozent erhöht. Wir versuchen so wenig wie möglich weiterzugeben und halbwegs gut durchs Jahr zu kommen. Ich bin zufrieden, wenn ich mit einer Null abschließe. Man darf Preise nur langsam erhöhen, muss mit seinen Kunden kommunizieren. Vor allem aber darf man sie nicht verarschen.

STANDARD: Wie viel Potenzial sehen Sie für schicke Shops und Acht-Euro-Brote von Gramatneusiedl bis zum Bregenzerwald? Oder sind Hobbybrotsommeliers ein urbanes Phänomen?

Weghaupt: Ich bin davon überzeugt, dass es funktioniert. Jeder muss dabei aber seinen eigenen Weg gehen. Einen Joseph zu kopieren funktioniert, provokant gesagt, vielleicht in Wien, nicht aber auf dem Land. Wir sind für viele Bäcker im Ausland ein Vorbild. Ich habe permanent Leute bei mir, die von uns lernen wollen.

STANDARD: Muss man nicht die Kirche im Dorf lassen? Mehr als 80 Prozent aller Backwaren werden über den Lebensmittelhandel verkauft.

Weghaupt: Das Rad der Zeit lässt sich sicherlich nicht zurückdrehen.

STANDARD: Wie kommt es, dass Sie eigentlich gelernter Fleischer sind?

Weghaupt: Mein Papa hat gesagt, ich soll einen Beruf lernen. (lacht) Ich wollte mit meinen Händen arbeiten und blieb in der HTL für Lebensmitteltechnologie hängen. Der Fleischer war dabei. Ausgeübt habe ich den Job nie, er war mir zu morbide.

STANDARD: Auch andere Unternehmer backen richtig gutes Brot. Sie reden nur weniger darüber. Sind Sie ein Meister des Marketings?

Weghaupt: Wäre ich ein Marketinggenie, würde ich nicht Brot backen, 16 Stunden am Tag arbeiten, sondern richtig viel Geld verdienen. In unserem Produkt steckt so viel Leidenschaft, Know-how, Schweiß. Da wäre es doch absurd, die gleiche Leidenschaft nicht auch in Geschäfte, Kollegen, Outfit bis hin zum Kaffeehäferl zu stecken. Alles hier in diesem Bistro kommt nicht von der Stange, sondern von kleinen Manufakturen. Damit unterstützen wir Start-ups, schaffen Arbeitsplätze. Ich bin Perfektionist. Ich will nichts kopieren, sondern eigenständig sein. Ich möchte handeln, nicht reden.

STANDARD: Ihre Branche arbeitet mit mageren Gewinnspannen von bestenfalls zwei bis drei Prozent. Wie finanzieren Sie Ihre Expansion?

Weghaupt: Die Frage ist, wie viel ich mir als Eigentümer herausnehme. Ich zahle mir keine Gewinne aus, sondern reinvestiere. Eine Bank hat mir vertraut, weil ich bei der Unternehmensgründung alles riskiert habe, weil ich 100-prozentiges Risiko einging. Wer macht das heute noch?

STANDARD: Hatten Sie nie Angst davor, sich finanziell zu übernehmen?

Weghaupt: Natürlich, aber Angst ist kein guter Motivator. Wären die vergangenen drei Jahre in der Startphase gewesen, würde es uns heute nicht mehr geben.

STANDARD: Verzweifeln Sie mitunter noch an der Bürokratie?

Weghaupt: Nicht mehr. Irgendwann macht's wer anderer. Ich habe lange Zeit selbst in einem Magistrat gearbeitet und weiß daher, wie es rennt. Nehmen Sie meine Technikzentrale in Linz: Mein kleines Geschäft von 80 Quadratmetern hat gleiche Anforderungen wie ein Supermarkt. Das sieht keiner, und das muss man erst einmal auf ein Produkt umlegen. Ich mache Kältezentralen, um energieeffizienter zu sein. Mit Förderungen belohnt wird jedoch, wer viel Energie braucht. Wo stehen wir? Ist das Generationendenken?

STANDARD: Sie fahren Ihr frisches Brot täglich vom Waldviertel über Linz bis nach Salzburg. Sind derart lange Transportwege in Ihre Shops noch nachhaltig?

Weghaupt: Wir haben das gut im Griff. Wir haben dort ja auch Partner und nehmen Produkte retour.

STANDARD: Reizen Sie auch Städte wie Graz, Innsbruck und Bregenz?

Weghaupt: Aktuell nicht.

Würde er sein Brot auch Supermarktkonzernen anbieten? "Sie haben mich gefragt", sagt Josef Weghaupt. "Ich mache das nicht. Nie im Leben. Davor verkaufe ich meine Firma."
Foto: Regine Hendrich

STANDARD: Ihrer Branche laufen die Mitarbeiter davon. Sie selbst schickten Leute von Wien nach Salzburg, weil Sie dort kein Personal fanden.

Weghaupt: In Salzburg Mitarbeiter zu finden ist alles andere als einfach. In Linz geht es deutlich besser. In Wien ist es im Verkauf easy, in der Gastronomie jedoch sehr schwierig.

STANDARD: Ist die Differenz zwischen Arbeitslosengeld und Verdienst durch Jobs zu gering?

Weghaupt: Auf jeden Fall. Die Menschen verdienen zu wenig, denn Arbeit kostet zu viel. Die Lohnnebenkosten gehören runter.

STANDARD: Die Arbeitsbedingungen in der Backbranche schrecken viele ab.

Weghaupt: Bei mir gibt es keine Sechstagewoche. Ich will nicht in drei Schichten produzieren. Und wir arbeiten auch nicht nachts. Weil diese Dienste will keiner. Das hält keiner auf Dauer durch. Ich verstehe unseren Kollektivvertrag nicht. Diese Modelle gehören überdacht.

STANDARD: Wie halten Sie es mit Betriebsräten?

Weghaupt: Mein Papa war Betriebsrat. Wir selbst hatten mehrere. Die Frage ist nur: Für welche Unternehmen sind sie heute noch zeitgemäß? Auch darüber müsste man nachdenken. Aber ich bin kein Politiker.

STANDARD: Was, wenn Sie ruhiger treten wollen – läuft Joseph auch ohne Josef?

Weghaupt: Ich habe ein sehr gutes Team. Aber ohne mich, ohne mein Zutun wären die letzten drei Jahre sehr schwierig gewesen.

STANDARD: Welche Größe trauen Sie Ihrem Betrieb zu? Wird man am Ende des Tages zu einem Getriebenen?

Weghaupt: Man ist getrieben – nicht aufgrund der Größe, sondern weil es harte Arbeit ist. Wer nicht durchgehend alles gibt, schafft es nicht. (Verena Kainrath, 29.1.2023)