Im Haus am Ring ist wieder einmal Fehlersuche angesagt: Teichtmeister gelang es offenbar bis zuletzt, seine Chefs einzulullen.

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Hat das Burgtheater im Fall Florian Teichtmeister richtig gehandelt? Oder hätte man den bis vor kurzem gefeierten Bühnenstar, der sich am 8. Februar wegen des Besitzes von 58.000 Dateien, die den sexuellen Missbrauch Minderjähriger zeigen, vor Gericht verantworten muss, früher von der Bühne nehmen müssen? Diese Frage wird aktuell im Büro von Kulturstaatssekretärin Andrea Mayer (Grüne) unter die Lupe genommen. Ein Ergebnis der Untersuchung dürfte demnächst vorliegen.

Klar scheint zu sein: Obwohl das Burgtheater seit eineinhalb Jahren von den Vorwürfen gegen Teichtmeister wusste, ist die Frage, ob eine Entlassung oder Freistellung möglich gewesen wäre, zwischen Juristinnen und Juristen höchst umstritten, wie ein STANDARD-Rundruf ergeben hat. Letztlich wäre sie wohl ein Fall für den Obersten Gerichtshof (OGH) gewesen.

Juristinnen und Juristen uneins

Aus Sicht der Arbeitsrechtsanwältin Katharina Körber-Risak hätte das Burgtheater sehr wohl Optionen gehabt. Arbeitgeber haben zwar kein Recht darauf, den Strafakt einzusehen. Das Theater hätte Teichtmeister aber auffordern können, den Akt vorzulegen, meint sie. In diesem Fall hätte es schon früh vom Geständnis vor der Staatsanwaltschaft erfahren. Hätte Teichtmeister abgelehnt, den Akt vorzulegen, hätte das Burgtheater ihn laut der Juristin wegen Vertrauensverlusts zumindest freistellen können. Der Anwalt Philipp Maier unterstützt diese Argumentation.

Vorsichtiger formuliert es Elias Felten, Professor für Arbeitsrecht an der Universität Salzburg. Ein Strafakt sei an sich privat – außer er wirke sich auf das Dienstverhältnis aus. "Das könnte in einem so sensiblen Bereich schon der Fall sein." Roland Gerlach, Anwalt für Arbeitsrecht, sieht das anders: Arbeitgeber können allein aufgrund der Weigerung des Mitarbeiters, den Akt vorzulegen, keine Konsequenzen ableiten. "Ich glaube, es spricht viel gegen so eine Offenlegungspflicht, nicht zuletzt die Unschuldsvermutung."

Laut der Anwältin Kristina Silberbauer scheidet abgesehen von einer Entlassung auch eine Freistellung "so gut wie aus", wenn der Verdächtige ein explizites Recht auf Beschäftigung hat. Genau das sei bei Bühnenmitgliedern laut Theaterarbeitsgesetz der Fall. Erfolge die Freistellung ohne wichtigen Grund, könne das zu "weitreichenden Schadenersatzsansprüchen führen".

Mit dem Theaterarbeitsgesetz argumentiert auch der langjährige Burgtheater-Anwalt Bernhard Hainz, der als ausgewiesener Experte im Arbeitsrecht gilt und die Rechtsmeinung von Körber-Risak und Co strikt zurückweist. Es stimme außerdem nicht, dass man von Teichtmeister keine Akteneinsicht gefordert habe. "Gleich beim ersten Gespräch mit ihm wurde er aufgefordert, allenfalls bereits bestehende Protokolle von Einvernahmen in Kopie vorzulegen", sagt Hainz auf STANDARD-Anfrage. "Teichtmeister hat jedoch darauf hingewiesen, dass es noch keine Einvernahmeprotokolle gebe, da die Behörde vorerst die Datenträger, die er freiwillig übergeben habe, weil darauf nichts zu finden sei, auswerten wolle."

Rechtlicher Ausweg

Unabhängig davon hätte es aber spätestens im Mai 2022 einen rechtlichen Ausweg für das Burgtheater gegeben. Der alte Vertrag mit Teichtmeister lief zu diesem Zeitpunkt aus und wurde weiter verlängert. Diese Verlängerung hätte genauso gut unterbleiben können – und falls sich die Vorwürfe als falsch herausgestellt hätten, hätte die Möglichkeit eines erneuten Engagements bestanden. In der Öffentlichkeit wäre Teichtmeisters zeitweiliges Fehlen vielleicht gar nicht groß hinterfragt worden. Dass Verträge mit Schauspielern zu Ende der Spielsaison nicht erneuert werden, kommt in der Praxis immer wieder vor.

Burg-Anwalt Bernhard Hainz hält aber rückblickend auch diesen Weg für schwierig: "Die Verträge verlängern sich automatisch." Man hätte sich also aktiv gegen eine Weiterverlängerung entscheiden müssen, und zwar wegen eines Stichtags bereits im Jänner 2022. Zu diesem Zeitpunkt seien aber "noch nicht einmal annähernd irgendwelche belastbaren Fakten oder behördliche Ermittlungsergebnisse" vorgelegen.

Von Besetzungen absehen

Den wohl naheliegendsten Ausweg, Teichtmeister bis zur Klärung der Vorwürfe einfach nur noch nachrangige Rollen zu geben, ihn in die hinteren Reihen zu stellen, hätte Burgtheaterdirektor Martin Kušej wählen müssen. Der aber teilte Teichtmeister bis zuletzt weiter Hauptrollen zu, etwa noch im Herbst 2022 in seiner eigenen Inszenierung des Stücks Nebenan oder in der Vorweihnachtszeit in einem Sketch für die ORF-Satiresendung Willkommen Österreich. Dass Kušej Teichtmeisters Schilderung vom angeblichen Rachefeldzug der Ex-Lebensgefährtin Glauben schenkte, verwundert Burg-Insider wenig. Dem Direktor, der 2024 nach nur einer Amtsperiode abgelöst wird, mangle es an Sensibilität in derlei Fragen, heißt es oft.

Der Fall Teichtmeister wirft aber nicht zuletzt die Frage nach Reformbedarf im Justizsystem auf. Sollen die Behörden Arbeitgeber automatisch informieren müssen, wenn gegen einen ihrer Arbeitnehmer ermittelt wird? "Ich bin für eine solche Verständigungspflicht", sagt Eva Blimlinger, Kultursprecherin der Grünen, denn schließlich sei das bei Beamten schon jetzt der Fall. Derzeit beschäftige sich eine ministeriale Arbeitsgruppe mit der Frage.

"Ich glaube, man muss da sehr vorsichtig sein und sich genau überlegen, in welchen Fällen man eine solche Verständigungspflicht einführt", sagt Arbeitsrechtler Felten. Andernfalls drohe schon bei einem reinen Anfangsverdacht der Jobverlust. Burg-Anwalt Hainz meint, man könne darüber nachdenken. Nur werde die Datenschutzlobby erheblichen Widerstand leisten. (Jakob Pflügl, Stefan Weiss, 27.1.2023)