Der Schlüssel steckt, doch der Pressspankasten bleibt zu: "Die Kleinbürgerhochzeit" in den Kammerspielen der Josefstadt.

Foto: Moritz Schell

Die Bretter, die die Welt bedeuten, sind morsch. Oder besser gesagt: Sie sind mit schlechtem, übelriechendem Leim zusammengeklebt, dessen Geruch selbst mit viel Eau de Cologne nicht zu übertünchen ist. Der Ehemann hat den Kleber in diesem Einakter des gerade einmal 21-jährigen Bert Brecht selbst zusammengerührt. Im Laufe des Hochzeitsmahls im eigenen Heim wird ein Möbelstück nach dem anderen auseinanderfallen und der Leim seine belästigende olfaktorische Wirkung entfalten.

Die Kleinbürgerhochzeit ist eines von Brechts weniger gespielten Stücken, und das hat seinen guten Grund. 1919 geschrieben, hat es weder die Kraft der bereits früher entstandenen Theaterstücke Baal und Trommeln in der Nacht, noch weist es Richtung episches Theater. Im Gegenteil: Hier amüsiert sich jemand auf Kosten anderer, namentlich einer Schar sogenannter Kleinbürger, ohne sich allerdings näher um die moralischen oder wirtschaftlichen Hintergründe ihrer Existenzen zu kümmern.

Auf Nummer sicher

Ein idealer Stoff also für ein Theaterinstitut wie die Wiener Kammerspiele, in denen am liebsten der Heiterkeit gefrönt wird. Mit der Wahl von Regisseur Philip Tiedemann ging man im Direktionszimmer der Josefstadt zudem auf Nummer sicher: Tiedemann inszenierte als ehemaliger Oberspielleiter Claus Peymanns den Einakter schon einmal, und zwar im Berliner Ensemble, wo seine Inszenierung ob des großen Erfolgs ganze 17 Jahre auf dem Spielplan verblieb und anschließend an das Berliner Schlosspark-Theater wechselte. Statt auf eine Schiffsbauchästhetik wie in Berlin vertraut Tiedemann in Wien allerdings auf einen schwebenden Pressspankubus, dessen Brüchigkeit sich in 80 Minuten (in Berlin zerdehnte Tiedemann das Stück auf zwei Stunden) richtig schön entfalten kann. Erst versinkt der junge Nachbar (Jakob Elsenwenger) mit einem Bein im Boden, dann gehen nacheinander unter dem Gewicht der Verwandten- und Freundesschar des jungen Brautpaars (Katharina Klar und Alexander Absenger) Sessel, Chaiselongue, Tisch, Schrank und Zimmerdecke kaputt.

An der langen Hochzeitstafel, die Alexander Martynow (Bühnenbild und Kostüme) mit schönem Blick auf die Beine der Hochzeitsschar auf halber Bühnenhöhe installiert hat, gehen damit auch viele zwischenmenschliche Verluste einher. Der beste Freund des Bräutigams (schmierig: Markus Kofler) macht sich an die Braut heran, deren Schwester sich vom Nachbarn beglücken lässt, während am Keyboard Zoten über die zweifelhafte moralische Integrität der schwangeren Braut zum Besten gegeben werden.

Verzweifelte Anekdoten

Mit steigendem Alkoholkonsum und immer verzweifelteren Anekdoten des Brautvaters (André Pohl) geht eine Beziehung nach der anderen zu Bruch, bis man am Ende nicht mehr auf den selbstgezimmerten Sesseln, sondern buchstäblich auf einem Trümmerfeld sitzt.

Die Mechanik des Slapsticks – samt ihren grell überzeichneten Figuren – ist zu diesem Zeitpunkt allerdings schon lange ins Stottern geraten. Brechts Kleinbürgerhochzeit wird von einem einzelnen Gedanken getragen, und zwar von jenem, wie moralisch verkommen es hinter menschlichen Fassaden ausschaut. Nicht nur, dass es zu diesem Thema überzeugendere Stücke gibt: Einfach nur auf Klamauk zu setzen ist dann doch etwas wenig.
(Stephan Hilpold, 28.1.2023)