Drei Wochen lebte ein Angeklagter neben der Leiche einer Zufallsbekanntschaft – er habe den Mann aber nicht, wie die Staatsanwältin sagt, durch eine Überdosis getötet, beteuert der 52-Jährige.

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Wien – Keine Frage, als Gerichtsreporterin oder Gerichtsreporter ist man einigermaßen abgehärtet, was bizarres Verhalten betrifft. Bei der Verhandlung gegen den 52-jährigen Christian S. bleibt ob des Angeklagten aber nicht nur den Prozessbeobachterinnen, sondern teilweise auch dem Geschworenengericht unter Vorsitz von Andreas Böhm die Sprache weg. Alleine der Satz: "Oida, des gibt's jo ned, scho wida a Toda!" hat das Zeug, in die Folklore des Grauen Hauses, wie das Landesgericht für Strafsachen auch genannt wird, einzugehen.

Gekommen ist dieser Gedanke dem 13-fach vorbestraften Österreicher, als er im vergangenen Herbst bemerkte, dass sein Sexualpartner "komplett steif" im Bett lag. Erfahrung hat S. mit diesem Umstand bereits im Mai gemacht: Auch damals hatte er mit einem Mann "Chem-Sex", also Geschlechtsverkehr nach Drogenkonsum, praktiziert, was der andere nicht überlebte. Dieser Tod wurde von Polizei und Staatsanwaltschaft damals als Unfall eingestuft, im gegenständlichen Fall ist die Anklagebehörde aber überzeugt, dass es sich um eine Vergewaltigung mit Todesfolge handelt und S. so gefährlich ist, dass er in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher eingewiesen werden muss.

Angeklagter bekennt sich nicht schuldig und sieht sich gesund

Der Angeklagte ist ebenso wie sein Verteidiger Manfred Arbacher-Stöger dagegen nicht nur der Meinung, dass es sich neuerlich um eine Verkettung unglücklicher Umstände gehandelt hat. S. ist darüber hinaus überzeugt, dass er "absolut überhaupt keine psychischen Probleme habe", was der psychiatrische Gutachter Peter Hofmann, der am Dienstag, dem zweiten Verhandlungstag, seine Diagnose präsentieren wird, anders sieht.

Aus Sicht der Staatsanwältin habe der Angeklagte eine 43-jährige Online-Bekanntschaft in seine Wohnung nach Wien-Penzing geladen und ihm in den linken Arm Liquid Ecstasy und Mephedron injiziert und den Bewusstlosen danach vergewaltigt. Das nahm der Angeklagte sogar mit einer Videokamera auf, was Vorsitzenden Böhm ratlos macht. "Warum filmen Sie das überhaupt?", will er von S. wissen. "Weil ich gerne filme. Ich wollte Pornodarsteller werden und Regie führen", erklärt der Angeklagte selbstbewusst.

S. betont auch mehrmals ausschweifend, dass das Opfer noch lebte, als er an ihm sexuelle Handlungen vornahm. Dass das illegal sein könnte, kam ihm nicht in den Sinn. "Der andere will ja vielleicht auch was davon haben", versucht Böhm erfolglos, dem Angeklagten einen Denkanstoß zu geben. Dieser bleibt dabei: Er habe dem 43-Jährigen keine Drogen verabreicht, dieser habe sie selbst konsumiert. Den Umstand, dass die rechte Hand des Opfers bewegungsunfähig war und er sich daher selbst keine Spritze in den linken Arm setzen konnte, wie die Staatsanwältin ausführt, ignoriert der Angeklagte.

TV aus Wohnung des Opfers gestohlen

Dafür erklärt S., warum er in den frühen Morgenstunden seine Wohnung verließ und die des Bewusstlosen aufsuchte: "Ich habe instinktiv gewusst, dass er ein Chem-Sex-Erfahrener ist. Also wollte ich nachschauen, ob er Chemikalien daheim hat", begründet der Angeklagte. Daher habe er die Kleidung des Gastes durchsucht und auf einem Arztbrief dessen Anschrift gefunden. Drogen fand er keine, dafür einen Flachbildfernseher, den er mit einem Taxi zurück in seine Wohnung brachte. Warum, will der Vorsitzende wissen. "Das weiß ich nicht. Weil ich blöd und bescheuert bin. Wissen Sie, wie schwer der war? 20 Kilo. Und verstaubt und verdreckt war er auch", rechtfertigt sich der Angeklagte.

Bei seiner Rückkehr habe er sich überzeugt, dass der Eigentümer des Gerätes noch schlief, anderenfalls hätte er das Diebesgut verstecken müssen. "Er hat geschnarcht", beteuert S., erst als er selbst aufwachte und neuerlich Sex wollte, habe er bemerkt, dass der andere Mann verstorben sei. "Was macht man in so einem Fall als Erstes?", fragt Böhm und gibt sich gleich selbst die Antwort: "Man ruft die Rettung." Tat der Angeklagte nicht, er ging zunächst einmal Zigaretten kaufen.

Nachbarn beschwerten sich über Gestank

"Dann habe ich auf einer Bank eine geraucht und mir gedacht, alles hat einen Sinn. Thomas, mein Qigong-Meister ...", beginnt S. zu erzählen, wird vom Vorsitzenden aber unterbrochen. "Was haben Sie gemacht, als Sie wieder in der Wohnung waren?", will Böhm wissen. Er habe eine Panikreaktion entwickelt, antwortet der Angeklagte – daher habe er die Leiche in der Bettzeuglade verstaut. "Ich war einfach nicht bereit dafür", erklärt er, warum er die verwesende Leiche versteckte und nicht die Polizei alarmierte. Die kam innerhalb von drei Wochen ohnehin zweimal von selbst, da sich Nachbarn über den Gestank beschwert hatten. S. erklärte die Geruchsbelästigung mit einem verstopften Abfluss – die Beamten zogen wieder ab.

Der Angeklagten, der unter anderem wegen Tierquälerei vorbestraft ist, nachdem er in seinen Zwanzigern mehrere Katzen, Zebrafinken und ein Meerschweinchen auf ungewöhnlich grausame Weise getötet hatte, scheint mit dem Gestank gut umgegangen zu sein. Schließlich lud er in der Zeit mehrmals Männer in seine Wohnung, um mit ihnen Sex zu haben, wie er zugibt. Erst am 25. Oktober, als neuerlich Exekutivbeamte läuteten, führte er sie zum Toten. "Das war mein glücklichster Tag in diesen drei Wochen", erklärt der Pensionist, der nach eigenen Angaben ständig unter Drogeneinfluss stand, dazu. "Und Sie sind der Meinung, Sie sind eine ganz normale Persönlichkeit?", fragt der Vorsitzende sicherheitshalber nach. "Ich war drauf, Euer Ehren!", lautet die Replik.

Empörter Angeklagter

Auch Beisitzerin Martina Frank hat eine Frage: "Tut es Ihnen leid um das Opfer? Oder tun Sie sich nur selbst leid?", interessiert sie. S. ist empört – natürlich habe er den Tod nicht gewollt, stellt er klar. "Würden Sie sagen, dass Chem-Sex gefährlich ist?", interessiert die Anklagevertreterin. "So nicht, Frau Staatsanwältin!", regt sich der Angeklagte daraufhin auf, wird aber von Böhm gerügt, einfach nur Fragen zu beantworten. Trotz zweier Toter in fünf Monaten sieht S. keine besonderen Risiken dieser Sexualpraktik.

Am Dienstag wird fortgesetzt. (Michael Möseneder, 27.1.2023)