Liebe Leser und Leserinnen, geben Sie sich in der ORF-TVthek die ZiB 1 vom Donnerstag. In dem Beitrag über Alexander Van der Bellens Angelobungsrede im Parlament beginnt es bei Minute 2:18:

"Die Grund- und Freiheitsrechte, die Menschenrechte, die Minderheitenrechte sind unantastbar. Dieser Grundkonsens unserer Republik steht außer Frage", sagt der Bundespräsident. Starker Applaus brandet auf. Doch die Kamera erfasst zuerst die prominente FPÖ-Abgeordnete Dagmar Belakowich in der ersten Reihe. Sie zeigt bei genau diesen Worten einen verächtlichen Gesichtsausdruck. Der FPÖ-Generalsekretär Christian Hafenecker etwas weiter hinten schüttelt den Kopf und legt die Stirn in die Hand. FPÖ-Chef Herbert Kickl gelingt es gerade noch, seinen höhnischen Gesichtsausdruck in Zaum zu halten.

Herbert Kickl ist mit seiner FPÖ ein Feind des "Grundkonsenses dieser Republik".
Foto: APA/ALEX HALADA

Was braucht man mehr als diese blanke Verachtung von "Grund-und Freiheitsrechten" etc., dargelegt in einer gemeinsamen Sitzung beider Häuser des Parlaments? Man kann es natürlich schon lange wissen, aber der Bundespräsident hat es jetzt ganz unmissverständlich ausgesprochen: Kickl ist mit seiner FPÖ ein Feind des "Grundkonsenses dieser Republik". Man könnte es auch mit einem anderen Van-der-Bellen-Zitat aus dieser ungewöhnlichen Rede beschreiben: Kickl ist ein Feind "unseres freien, europäischen Lebensmodells".

Es wird jetzt diskutiert, ob Van der Bellen so klar hätte sein sollen. Aber seit mehr als 30 Jahren reden sich weite Teile der Politik und der Öffentlichkeit die FPÖ schön. Und sie wird gewählt: 1999 unter Jörg Haider, 26,91 Prozent. 2017 unter Heinz-Christian Strache, 25,97 Prozent. Unter Kickl liegt sie in Umfragen mit 28 Prozent an erster Stelle.

Kickl wird wahrscheinlich nicht Kanzler. Aber es gibt Konstellationen, Situationen, im Englischen "freak accidents", wo das doch passieren kann. Viktor Orbán, Recep Tayyip Erdoğan und andere haben es vorgezeigt. Das passiert meist als schleichende Machtergreifung.

Autoritäres System

Die FPÖ hat ihre Wurzeln aus dem Deutschnationalismus und Nationalsozialismus nie ganz abgelegt. Sie wollte immer eine andere Republik. Der Grundkonsens der Republik nach 1945 war eine Ablehnung des Nationalsozialismus, eine Hinwendung zur Konsensdemokratie, zum Rechtsstaat, zur Toleranz, eine (langsame) Abwendung vom Rassismus und der friedliche Interessenausgleich. Und letztlich der Glaube an Europa.

Seit jeher, besonders aber seit Jörg Haider, will die FPÖ aber was anderes: ein autoritäres System, mit dem Ausschluss aller lästigen Bestände an gesellschaftlicher, kultureller, politischer Liberalität und mit der Errichtung der Herrschaft der Intoleranten, Feindseligen, von ihrer Aggressivität Lebenden. Außenpolitisch angelehnt an den Neozarismus eines Wladimir Putin und Orbán. Die FPÖ betreibt den bewussten Regelbruch, um zu zeigen, dass sie keine "Systempartei" (ein Nazi-ausdruck) ist.

Kickl wurde nach Ibiza von Sebastian Kurz als Innenminister dem Bundespräsidenten zur Entlassung vorgeschlagen. Nicht weil er zu radikal war, sondern weil Kurz ihn der schleichenden Machtergreifung verdächtigte.

Aber es heißt ja immer: Die FPÖ spricht ja echte Probleme an (Chiffre: "Ausländer"). Ja, sie spricht sie an – mit Lügen, wie die populistische Ultrarechte in Österreich und anderswo generell. Wenn man aber der Lüge nicht widerspricht, wird sie irgendwann Wahrheit. Die Demokraten müssen Lösungen für Migration etc. bieten. Aber sie dürfen genauso der Lüge nicht die Herrschaft überlassen.

Deshalb ist es notwendig, klar zu sagen, was Kickl und Co sind: Feinde des Grundkonsenses der Republik, Feinde unseres freien, erfolgreichen europäischen Lebensmodells. (Hans Rauscher, 28.1.2023)