Am Sonntag sind es 100 Tage, die Meloni regiert.

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Man kann nicht sagen, dass Giorgia Melonis Wahlsieg im Herbst 2022 in Europa mit großer Euphorie aufgenommen worden wäre. Der "Stern" bezeichnete sie als "gefährlichste Frau Europas", und die italienische Linke versuchte vergeblich, einen "republikanischen Pakt" zur Rettung der Verfassung zu zimmern.

Jetzt ist die neue, bisher am weitesten rechts stehende Regierung Italiens seit dem Zweiten Weltkrieg seit 100 Tagen im Amt – und von den Befürchtungen und Ängsten ist nicht mehr viel übrig geblieben. Beim brisanten Thema Staatshaushalt hat Meloni den vorsichtigen Kurs ihres Vorgängers Mario Draghi fortgeführt. Meloni hat sogar, den Staatsfinanzen zuliebe, die von Draghi eingeführte Verbilligung von Benzin und Diesel zum Teil wieder aufgehoben – Italien spart nun jeden Monat eine Milliarde Euro.

Als verlässlich hat sich die neue Regierung auch bei der Unterstützung der Ukraine gezeigt – obwohl der eine Regierungspartner, Silvio Berlusconi, mit Wladimir Putin befreundet bleibt und der andere, Matteo Salvini, noch kurz vor der Invasion T-Shirts mit dem Putin-Konterfei getragen hatte.

Von Melonis schrill-aggressiver Anti-EU-Rhetorik im Wahlkampf ist nichts mehr zu hören. Sie hat wohl eingesehen, dass Italien ohne Europa wirtschaftlich und finanziell nicht überleben würde: Brüssel überweist aus dem EU-Wiederaufbaufonds insgesamt 191 Milliarden Euro an Krediten und Zuschüssen nach Rom. Diese Summen aufs Spiel zu setzen kann sich keine Regierung leisten – Meloni weiß, dass ihr das nicht einmal die eigenen, vorwiegend europaskeptischen Wählerinnen und Wähler verzeihen würden.

"La nostra nazione"

Ihre europapolitische Kehrtwende kompensiert Meloni mit einer identitären Sprache: Wenn sie von Italien redet, sagt sie immer: "La nostra nazione", unsere Nation. Das wirkt etwas albern, hält aber das nationalistische Publikum bei Laune.

Die Instinkte ihres Publikums bedient Meloni insbesondere in der Migrationspolitik. NGO-Rettungsschiffe dürfen nur noch im Norden anlanden: Ancona, La Spezia, Ravenna, Livorno. Die Strategie geht auf: Zahlreiche Hilfsorganisationen haben ihre Rettungsaktionen aus finanziellen Gründen, weil die Fahrten zu lang wurden, einstellen müssen. Am Problem ändert sich freilich nichts: In diesem Jahr sind bereits 4500 Bootsflüchtlinge in Italien gelandet, doppelt so viele wie im Vergleichszeitraum 2022.

Ideologische Häppchen

Abgesehen von den ideologischen Häppchen, die Meloni ihren rechtsnationalen Wählern serviert, wirkte die Politik der Postfaschistin in den ersten 100 Tagen weitgehend pragmatisch. In ihrer Partei wimmelt es zwar immer noch von Mussolini-Nostalgikern; doch Meloni sucht das Heil nicht (mehr) in der Vergangenheit: Sie gibt sich als Frau des 21. Jahrhunderts. Errungenschaften wie Gleichberechtigung von Mann und Frau sind für Italiens erste Regierungschefin unumkehrbar. Auch das Recht auf Abtreibung: Vor wenigen Tagen hat das Parlament, in dem die Rechtskoalition eine erdrückende Mehrheit hat, fast einstimmig einer Resolution zugestimmt, wonach der entsprechende Paragraf 194 unangetastet bleibt.

Die 46-jährige Giorgia Meloni, ohne Vater in bescheidenen Verhältnissen im römischen Arbeiterviertel Garbatella aufgewachsen, scheint für sich eine Mission gefunden zu haben: Der "Underdog", als den sie sich in ihrer Antrittsrede als Regierungschefin selber bezeichnet hatte, will es dem ganzen Land – oder vielmehr: der ganzen Nation – zeigen. Nach dem Motto: Niemand, und schon gar kein Mann, hat mich je ernst genommen – und jetzt mache ich einen richtig guten Job.

Meloni will als Ministerpräsidentin eine "bella figura" machen: Nicht nur bei ihren eigenen Wählerinnen und Wählern, sondern auch bei den anderen. Nicht nur im Inland, sondern auch im Ausland. Das gelingt ihr bisher recht gut: Ihre rechtsextremen Fratelli d’Italia liegen bei 30 Prozent Zustimmung, sie selber bei 52 Prozent. Und 46 Prozent der Italienerinnen und Italiener zeigten sich zufrieden mit den ersten 100 Tagen unter Giorgia Meloni. (Dominik Straub aus Rom, 29.1.2023)