Ein brennendes Haus in der Nähe der Stadt Wuhledar nach einem russischen Raketenangriff.

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Kiew (Kyjiw)/Moskau/London – Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj spricht von einer anhaltend akuten Situation an der Front. Dies gelte besonders für den östlichen Donezk, wo Russland seine Offensive verstärke, sagt Selenskyj in seiner abendlichen Ansprache. Die russischen Soldaten griffen nicht nur die ukrainischen Stellungen an, sondern zerstörten auch die umliegenden Städte und Dörfer, so Selenskyj. Um die Stadt Wuhledar im Osten der Ukraine wird laut beiden Seiten erbittert gekämpft.

"Wuhledar dürfte bald ein neuer, sehr wichtiger Erfolg für uns werden", sagte der pro-russische Separatistenführer Denis Puschilin der russischen Nachrichtenagentur Ria Nowosti. "Die Einkreisung und nachfolgende Befreiung der Stadt wird einige Probleme lösen", so Puschilin. Ein Sieg dort würde mit Blick auf eine Offensive gegen die weiter nördlich gelegenen Städte Pokrowsk und Kurachowe "das Kräfteverhältnis an der Front verändern".

Russische Fehlinformation

Einer Berater Puschilins sagte am Freitag der Nachrichtenagentur Tass, es seien "ernsthafte, brutale Kämpfe" im Gange. Die russischen Streitkräfte seien in Wuhledar einmarschiert und hätten sich "im Südosten und Osten der Stadt festgesetzt". Die Bergbau-Stadt mit ihren einst rund 15.000 Einwohnern liegt rund 150 Kilometer südlich von Bachmut, das seit Wochen heftig umkämpft ist.

Der ukrainische Militärsprecher Sergej Tscherewaty sprach seinerseits von "erbitterten Kämpfen" um Wuhledar. Er versicherte hingegen, die russischen Streitkräfte seien zurückgedrängt worden. Seinen Angaben zufolge versuchten sie zwar seit Monaten, in der Region "wichtige Erfolge zu erzielen". Doch dank der ukrainischen Verteidiger gelinge ihnen das nicht, sagte Tscherewaty lokalen Medien. Russland stelle seine angeblichen Erfolge "übertrieben" dar.

Auch nach Einschätzung britischer Geheimdienste könnte Moskau gezielt Fehlinformationen über den Fortschritt der eigenen Truppen in der Ukraine streuen. In den vergangenen Tagen hätten russische Online-Kommentatoren über signifikante Durchbrüche der ukrainischen Verteidigungslinie in der Region Saporischschja sowie nahe der Stadt Wuhledar in der Donbass-Region berichtet, berichtete das britische Verteidigungsministerium am Freitag in seinem täglichen Kurzbericht auf Twitter.

Rückzug aus Soledar

Tatsächlich hätten russische Truppen an diesen Orten mutmaßlich lokale Sondierungsangriffe ausgeführt, aber wohl keine entscheidenden Fortschritte gemacht, hieß es aus London. Die Russen wollten damit möglicherweise den Eindruck erwecken, dass ihr Vormarsch an Dynamik gewinne.

Wuhledar liegt wie auch die Städte Pokrowsk und Kurachowe in der ostukrainischen Region Donezk. Russland hatte dort zuletzt den militärischen Druck erhöht. Die komplette Einnahme der Region Donezk ist eines der wesentlichen Ziele Russlands in der Ukraine. Bereits seit 2014 besetzen pro-russische Separatisten einen Teil der Donbass-Region, die wegen ihrer Rohstoffe und der Industrie besonders wichtig ist.

Am Mittwoch hatte die Ukraine eingeräumt, sich aus dem heftig umkämpften Ort Soledar in der Region Donezk zurückgezogen zu haben. Er liegt nur etwa 15 Kilometer nordöstlich der Stadt Bachmut.

"Armee von Drohnen"

Die russischen Streitkräfte meldeten am Freitag nach Angaben des Verteidigungsministeriums in Moskau, erneut die Energieinfrastruktur in der Ukraine angegriffen zu haben. In den vergangenen 24 Stunden seien zudem Waffen getroffen worden, meldet die Nachrichtenagentur RIA. In einem Fall sei die Lieferung von aus dem Westen stammenden Waffen an die Front unterbrochen worden.

Unterdessen liegen der Ukraine nach eigenen Angaben Zusagen für insgesamt 321 Kampfpanzer von mehreren Ländern vor. Dies sagt der ukrainische Botschafter in Frankreich dem Sender BFM.

Zudem treibt die Ukraine ihre Idee einer "Armee von Drohnen" voran. Der Generalstab gab bekannt, dass die Bildung mehrerer Kompanien für Drohnenangriffe genehmigt wurde. Jede davon werde neben den unbemannten Flugkörpern und Munition auch Starlink-Terminals und andere Ausrüstung erhalten, heißt es auf Facebook. Starlink wird von der US-Firma SpaceX des Tesla-Chefs Elon Musk betrieben und in der Ukraine gleichermaßen von Zivilisten und dem Militär für Internet-Zugänge per Satellit benutzt. Der ukrainische Verteidigungsminister sagte Reuters vergangenen Monat, Drohnen seien die Zukunft der Kriegsführung. (APA, 27.1.2023)