Israelische Sicherheitskräfte am Ort des Anschlags.

Foto: Reuters / Ronen Zvulun

Jerusalem – Nach einem Anschlag auf Besucher einer Synagoge in Ost-Jerusalem mit sieben Toten hat Israel ein konsequentes Vorgehen angekündigt. Die Sicherheitskräfte würden "entschlossen und energisch gegen den Terror handeln und jeden Beteiligten an dem Anschlag erreichen", teilte der israelische Verteidigungsminister Yoav Galant am späten Freitagabend mit. Sicherheitskräfte in Jerusalem und im Westjordanland seien bereits verstärkt worden.

Am Samstag gab laut israelischem Militär ein Mann in einem Restaurant in der Nähe der Stadt Jericho im Westjordanland einen Schuss ab. Medien berichteten, er habe anschließend Probleme mit seiner Waffe gehabt. Das verhinderte womöglich weitere Schüsse – und Opfer. Es war der dritte Vorfall binnen 24 Stunden. Aufnahmen einer Überwachungskamera sollen zeigen, dass der Angreifer mit einem Sturmgewehr bewaffnet gewesen sei. Streitkräfte fahnden derzeit nach dem Mann. Verletzt wurde demnach niemand.

Ein Angreifer hatte am Abend des internationalen Holocaust-Gedenktags das Feuer auf Menschen eröffnet, die nach dem Shabbat-Gebet eine Synagoge verließen. Sieben Menschen starben bei dem Vorfall in der israelischen Siedlung Neve Yaakov, drei weitere wurden verletzt. Ihr Zustand ist nach Krankenhausangaben stabil. Der Attentäter wurde bei seiner versuchten Flucht erschossen, wie die Polizei mitteilte. Nach ersten Erkenntnissen handelte es sich um einen 21-Jährigen aus Ost-Jerusalem. Demnach habe er allein gehandelt. Die Ermittlungen dauerten jedoch an, hieß es in der Nacht.

Sicherheitskabinett einberufen

Ministerpräsident Benjamin Netanyahu besuchte den Tatort am Abend und rief die Bevölkerung dazu auf, das Gesetz nicht in die eigenen Hände zu nehmen. "Dafür haben wir eine Armee und eine Polizei, die vom Kabinett Anweisungen erhalten". Das Sicherheitskabinett sei demnach für Samstagabend einberufen worden. "Wir werden entschlossen und ruhig handeln." Israels rechtsextremer Polizeiminister Itamar Ben-Gvir forderte derweil, Bürger "besser zu bewaffnen, um solche Anschläge zu vermeiden". Aus der Menge ringsum war der Ruf "Tod den Arabern" zu hören, wie AFP-Journalisten berichteten. In palästinensischen Städten wie Ramallah im Westjordanland jubelten Menschenmengen angesichts des Massakers und schwenkten palästinensische Flaggen.

Israels Minister für nationale Sicherheit, Itamar Ben-Gvir, am Tatort.
Foto: Reuters / Ronen Zvulun

Die israelische Polizei hat unterdessen mindestens 42 Verdächtige festgenommen. Dabei handelte es sich um Verwandte und Nachbarn des Attentäters, wie die Polizei am Samstag mitteilte. Ob den Festgenommenen zur Last gelegt wird, selbst an dem Anschlag oder dessen Vorbereitung beteiligt gewesen zu sein, blieb offen.

Im Westjordanland und Ost-Jerusalem leben heute mehr als 600.000 israelische Siedler. Die israelischen Siedlungsaktivitäten werden von großen Teilen der Weltgemeinschaft als eklatante Verletzung geltenden Völkerrechts angesehen. Die Palästinenser beanspruchen die Gebiete für einen unabhängigen Staat Palästina mit dem arabisch geprägten Ostteil Jerusalems als Hauptstadt. Jerusalem war immer wieder Schauplatz schwerer Anschläge gewesen – insbesondere während des zweiten Palästinenseraufstandes Intifada zwischen 2000 und 2005. Im vergangenen November wurde bei Bombenanschlägen an zwei Bushaltestellen ein Jugendlicher getötet und mindestens 18 weitere Menschen verletzt.

USA: "Unerschütterliches Engagement" für Israel

Die USA sagten Israel umgehend Unterstützung zu. US-Präsident Joe Biden habe Regierungschef Netanyahu in einem Telefongespräch "alle angemessenen Mittel der Unterstützung" angeboten, teilte das Weiße Haus am Freitag mit. US-Außenminister Antony Blinken, der in wenigen Tagen nach Israel und Jordanien reisen will, hatte den Angriff auf die Synagoge zuvor als "grauenhaften Terroranschlag" verurteilt. "Wir stehen in engem Kontakt mit unseren israelischen Partnern und bekräftigen unser unerschütterliches Engagement für Israels Sicherheit", sagte Blinken in einer Erklärung am Freitag.

Der Anschlag wurde international scharf verurteilt. Uno-Generalsekretär António Guterres wertete es als "besonders abscheulich, dass dieser Angriff auf eine religiöse Stätte und am internationalen Holocaust-Gedenktag stattfand". Der deutsche Botschafter in Israel, Steffen Seibert, schrieb von einem "bösartigen Terrorakt gegen Juden am Holocaust-Gedenktag".

Europäische Union plädiert für Friedensgespräche

Die Europäische Union appellierte an Israel, tödliche Gewalt nur als "letztes Mittel" einzusetzen. Die EU "erkenne Israels legitime Sicherheitsbedenken, die von den jüngsten Terroranschläge erneut gerechtfertigt werden, voll und ganz an, aber es muss betont werden, dass tödliche Gewalt nur als letztes Mittel eingesetzt werden darf, wenn sie zum Schutz von Leben absolut unvermeidlich ist", erklärte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell am Samstag. Die EU verurteile die Attentate in Jerusalem als "Akte wahnsinniger Gewalt und Hass", erklärte Borrell.

Borrell wies in seiner Erklärung auch darauf hin, dass israelische Sicherheitskräfte seit Beginn des Jahres 30 Palästinenser im Westjordanland getötet hätten. Zudem seien im vergangenen Jahr mehr als 150 Menschen im Westjordanland von israelischen Einsatzkräften getötet worden, darunter 30 Kinder – die höchste Anzahl seit dem Ende der Zweiten Intifada, dem Palästinenser-Aufstand von 2000 bis 2005, fügte Borrell hinzu.

Es sei dringend erforderlich, die "Spirale der Gewalt" umzukehren und erhebliche Anstrengungen zu unternehmen, Friedensgespräche wieder in Gang zu bringen, erklärte Borrell weiter. "Wir appellieren an alle Parteien, nicht auf Provokationen zu reagieren."

Van der Bellen "zutiefst besorgt"

Bundespräsident Alexander Van der Bellen verurteilte den "entsetzlichen Angriff" aufs Schärfste und zeigte sich "zutiefst besorgt wegen der Gewaltspirale in den vergangenen Tagen". "Der Anschlag auf eine Synagoge in Jerusalem führt schmerzlich vor Augen, dass wir weiterhin entschlossen gegen Antisemitismus und Terrorismus kämpfen müssen", twitterte Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP).

Den tödlichen Anschlag vom Freitag verurteilten neben Ländern wie den USA und Frankreich auch Jordanien, Ägypten und die Vereinigten Arabischen Emirate. Auch aus Saudi-Arabien, das mit Israel keine diplomatischen Beziehungen unterhält, kam eine Reaktion: Das Land verurteile "jegliche Angriffe auf Zivilisten". Der einflussreiche Golfstaat warnte vor einer gefährlichen Eskalation der Lage. Auch der Oman lehnte in einer Erklärung "alle Formen von Gewalt und Terrorismus, die auf Zivilisten abzielen" ab. Viele Palästinenser im Gazastreifen und im Westjordanland reagierten dagegen mit Freudenfeiern auf den Terroranschlag vom Freitag. Auch die libanesische Schiitenmiliz Hisbollah lobte den Angriff. Die eng mit dem Iran verbündete Organisation sieht in Israel einen Erzfeind.

Feuergefecht in Flüchtlingslager Jenin

Ein Sprecher der im Gazastreifen herrschenden, radikalislamischen Hamas teilte mit, der Anschlag sei "eine Vergeltung für den Überfall der israelischen Armee auf das Flüchtlingslager Jenin am Donnerstag". Bei einem Feuergefecht mit israelischen Soldaten in der Stadt waren neun Palästinenser getötet und 20 weitere verletzt worden. Nach Angaben der Menschenrechtsorganisation Betselem war es der tödlichste Militäransatz in dem Gebiet seit mehr als 20 Jahren.

In der Nacht auf Freitag feuerten daraufhin verbündete militante Gruppen aus dem Gazastreifen mindestens sieben Raketen auf Israel ab. Israelische Kampfflugzeuge zerstörten danach in der Küstenenklave unter anderem eine unterirdische Raketen-Produktionsstätte.

Die Gewaltspirale schürt Befürchtungen vor einer weiteren Eskalation der ohnehin schon angespannten Sicherheitslage. "Wir bewegen uns auf einem ganz schmalen Grat", sagte Michael Kobi vom israelischen Institut für Nationale Sicherheitsstudien (INSS) der Deutschen Presse-Agentur. Die Dynamik könne nicht mehr vollständig kontrolliert werden und jederzeit kippen. Bedenklich sei vor allem, dass sich immer mehr junge Palästinenser dem Aufstand anschließen und bereit seien, zu kämpfen – und zu sterben. "Sie sind frustriert und bereit, alles zu tun, um ihre aktuelle Situation zu verändern."

Razzien im Westjordanland

Die Stadt Jenin liegt keine 80 Kilometer Luftlinie von Jerusalem entfernt und gehört zu den allein von der Palästinensischen Autonomiebehörde kontrollierten Zonen. Die Stadt gilt als Hochburg militanter Palästinenser. Diese sind eng mit Gruppierungen im Gazastreifen verknüpft. Der vom Iran finanzierte Islamische Jihad ist dort hauptsächlich aktiv und greift Israel von der Küstenenklave regelmäßig mit Raketen an. Ob die Organisation für die Raketenangriffe am Freitag verantwortlich ist, war zunächst unklar.

Einwohner des Gazastreifens feiern das Attentat.
Foto: EPA / Mohammed Saber

Berichten aus dem Gazastreifen zufolge bemühten sich Ägypten und der Golfstaat Katar am Donnerstag und Freitag unter Hochdruck, eine weitere Eskalation zu vermeiden. Die Kooperation mit Israel in Sicherheitsfragen kündigte die Palästinensische Autonomiebehörde am Donnerstagabend bereits auf. Als Grund nannte die Behörde einseitige Schritte und Maßnahmen Israels im Westjordanland sowie die Vorfälle in Jenin. Ähnliche Ankündigungen hatte die Autonomiebehörde schon bei früheren Gelegenheiten gemacht – sie wurden allerdings de facto nicht umgesetzt.

Seit fast einem Jahr kommt es im Westjordanland beinahe täglich zu tödlichen Konfrontationen zwischen israelischen Sicherheitskräften und Palästinensern. Seit einer Serie von Anschlägen, die Palästinenser im Frühjahr verübt haben, unternimmt Israels Armee dort vermehrt Razzien. Allein in diesem Jahr wurden in dem Zusammenhang oder bei eigenen Anschlägen rund 30 Palästinenser getötet, unter ihnen fünf Jugendliche.

Neuerliches Attentat am Samstag

Einen Tag nach dem Angriff auf die Synagoge sind bei einem weiteren Schusswaffenangriff nahe der Jerusalemer Altstadt zwei Menschen verletzt worden. In einem Notruf um 10.42 Uhr (09.42 Uhr MEZ) sei von einem Terroranschlag im Viertel Silwan im von Israel annektierten Ostteil die Rede gewesen, teilte der israelische Rettungsdienst Magen David Adom mit. Demnach gab es "zwei Verletzte am Tatort".

Zwei 47 und 23 Jahre alte Männer hätten Schusswunden am Oberkörper erlitten, ihr Zustand sei "mittelschwer bis ernst", teilte ein Sprecher des Rettungsdienstes mit. Die beiden Männer wurden zur Behandlung ins Krankenhaus gebracht, wie der Rettungsdienst Magen David Adom meldete. Medienberichten zufolge handelt es sich um Vater und Sohn.

Laut Polizei handelte es sich bei dem Schützen um einen 13-jährigen Palästinenser aus dem von Israel annektierten Ostteil der Stadt. Der Bursche sei überwältigt worden. Dabei sei er verletzt worden, teilte die Polizei mit. (APA, 28.1.2023)