Sind Karl Nehammer und Pamela Rendi-Wagner die Richtigen an den Parteispitzen?

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Das schwache Wahlergebnis in Niederösterreich wird SPÖ und ÖVP auch bundespolitische Debatten bescheren.

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Der große Wahlsieger in Niederösterreich ist eindeutig die Freiheitliche Partei. Das hat weit über Niederösterreich hinaus Bedeutung. Zum einen zeigt es, wie rasch die FPÖ in der Lage ist, sich nach Skandalen zu regenerieren. Das wird auch den bundespolitischen Vormarsch unterstützen. Zum anderen geraten jene Parteien und deren Chefs in Bedrängnis, die bislang kein Rezept gefunden haben, um der FPÖ etwas entgegenzusetzen.

Das gilt in erster Linie für die SPÖ, die von der Schwäche der ÖVP gar nicht profitieren konnte und am Sonntag noch hinter das Landtagswahlergebnis von 2018 zurückgefallen ist. Der dritte Platz hinter der FPÖ ist ein Debakel. Das wird nicht nur auf Landesebene zu personellen Konsequenzen führen, das wird auch die Obfraudebatte in der Bundespartei massiv befeuern: Ist Pamela Rendi-Wagner die Richtige, um die SPÖ in den nächsten Nationalratswahlkampf zu führen und der FPÖ etwas entgegenzusetzen? Die Zweifel daran werden stärker. Tatsächlich ist es der SPÖ nicht gelungen, ein nachvollziehbares Profil zu entwickeln und sich glaubhaft als Alternative zur türkis-grünen Bundesregierung zu etablieren. Das Paket SPÖ und Rendi-Wagner ist nicht schlüssig.

Der Wahlkampf der Landespartei war schwach, er war von Ulk getragen, da nahm man dem Vorsitzenden Franz Schnabl die Inhalte kaum noch ab. Daran, dass die Landespartei so entgleist, trägt auch die Bundespartei Mitschuld. Eine solche wichtige Wahl muss besser durchdacht und vorbereitet sein. Das zeigt eine eklatante Führungsschwäche in der Partei auf. Die wird jetzt intensiv diskutiert werden, auch intern.

Selbstgefälligkeit der Mächtigen

Die Vormachtstellung der ÖVP ist nicht gebrochen, sie liegt in Niederösterreich immer noch bei fast 40 Prozent. Aber die absolute Mehrheit ist weg, das war absehbar – und jetzt scheint auch die Mehrheit in der Landesregierung weg zu sein. Das ist eine herbe Niederlage, an der nichts beschönigt werden kann. Der Wahlkampf der Landeshauptfrau war unterirdisch, sie hat Hände geschüttelt und Smalltalk geführt, das kann sie – die große Linie und überzeugenden Inhalte haben aber gefehlt. Dazu kommt die eklatante rhetorische Schwäche von Johanna Mikl-Leitner.

Niederösterreich ist zudem ein gutes Beispiel dafür, wie sich die Selbstgefälligkeit der Mächtigen überholen kann: Die Selbstverständlichkeit, mit der sich die ÖVP das ORF-Landesstudio untertan gemacht hat, das akzeptieren die Menschen einfach nicht mehr, das widerspricht der gesunden Vorstellung von Demokratie – mittlerweile auch in Niederösterreich.

Suche nach Schuldigen

Rückenwind aus der Bundespolitik hat es für die ÖVP in Niederösterreich jedenfalls nicht gegeben, das wird die niederösterreichische ÖVP der Bundes-ÖVP so rasch nicht verzeihen. Den Grund für das gewaltige Minus sucht Mikl-Leitner nicht allein bei sich und in Niederösterreich, da ist sie selbstbewusst genug, sie machte in einer ersten Reaktion die "Unzufriedenheit mit der Bundespolitik" für die Wahlschlappe verantwortlich. Das dürfte das politische Leben von Karl Nehammer weiter verkomplizieren. Er ist in einer Abwärtsspirale gefangen. Nehammer wird als Kanzler und Parteichef endlich Flagge zeigen müssen. Die FPÖ zu kopieren, das funktioniert nicht, da braucht es mehr, um bei den Wählerinnen und Wählern Eindruck zu hinterlassen.

Für die Regierung bedeutet das: Beide Parteien – auch die Grünen – werden ihr Profil deutlich schärfen müssen, das wird in erster Linie jeweils auf Kosten des Koalitionspartners gehen. Die Koalition wird daran nicht zerbrechen, aber es wird deutlich schwieriger werden, den Konsens zu finden und gemeinsame Projekte umzusetzen.

Als große Frage bleibt stehen: Warum verzeihen die Wählerinnen der FPÖ jeden Skandal, sehen über offenen Rassismus hinweg? Nicht weil die FPÖ so überzeugende Konzepte hätte – die hat sie nämlich nicht –, sondern weil sie schlicht dagegen ist: gegen das System. Damit spricht sie viele Menschen an, die mittlerweile auch "dagegen" sind.

Enttäuscht abgewandt

Also müssen sich jene Parteien, die das System repräsentieren – und das sind alle anderen – etwas überlegen. Mit inhaltlichen Konzepten und sachlichen Vorschlägen allein wird man dieses Wählerpotenzial nicht erreichen. Dort gibt es ein Segment, das auch Rassismus, Fremden- und Frauenfeindlichkeit als Programm akzeptiert oder sogar gut findet. Aber viele haben sich einfach von den anderen Parteien abgewandt, weil sie enttäuscht wurden.

Letztendlich geht es um Glaubwürdigkeit. Die hat die Regierung in den vergangenen Jahren konsequent verspielt, da hat die ÖVP einen ganz wesentlichen Anteil daran. Aber auch die SPÖ, wiewohl nicht in der Regierung, hat ihr Scherflein dazu beigetragen.

Glaubwürdigkeit hat viel mit Anstand, mit Haltung, mit Ehrlichkeit und wohl auch mit Charisma und Überzeugungskraft, mit der Übereinstimmung von Inhalten und Auftreten zu tun. Da haben alle Parteien und ihr Führungspersonal einen gewaltigen Aufholprozess vor sich. Ab jetzt. (Michael Völker, 29.1.2023)