Die lange Debatte um die Lieferung von Panzern aus deutscher Produktion an die Ukraine ist ein Symptom der Zeitenwende; die nächste wird jene um die Lieferung von Jets und Raketen mit größerer Reichweite sein. Es wird auch dann wieder Stimmen geben, die das verhindern wollen; aber warum?

Da sind die – bezahlten oder ideellen – nützlichen Idioten Moskaus. Mit denen sollte man sich nicht lange gedanklich aufhalten, auch wenn man sie argumentativ und juristisch bekämpfen muss. Dann gibt es Verfechter einer Abnützungsstrategie: Je länger der Krieg dauert, je mehr ein Gleichgewicht zwischen den Parteien herrscht und je weniger die Ukraine einen Vorteil aufbaut, desto mehr zehrt der Krieg Russland aus. Diese Argumentation hört man nicht offen, weil sie zynisch ist: Ein politisches Ziel – die Schwächung Russlands militärischer Fähigkeiten und Wirtschaft – soll mit dem Leid der Ukraine erkauft werden.

Europa bezog früher die Hälfte seines Erdgasbedarfs aus Russland, heute sind es nur noch neun Prozent.
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Dann gibt es jene, die meinen, man dürfe Russland nicht zu sehr schwächen, weil man nach dem Krieg als Nachbarn wieder zusammenleben müsse. Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz schrieb im Dezember in Foreign Affairs, dass wir nach Kriegsende "unser Möglichstes tun müssen, um neue Partnerschaften aufzubauen – (...) ohne ideologische Scheuklappen". Da schwingt die Hoffnung auf Russland als wieder verlässlicher Partner für Politik und Wirtschaft mit. Das ist blauäugig, weil Russland nach einem Teilsieg im Krieg nicht auf Aggression und Revisionismus verzichten würde.

Mehr Kapazität

Wladimir Putin hat Russland zu einem Block geformt, den die Weltwirtschaft nicht braucht. Er hat Rohstoffe als Waffe eingesetzt und muss feststellen, dass sie stumpf ist. So bezog Europa früher die Hälfte seines Erdgasbedarfs aus Russland, heute sind es nur noch neun Prozent. Dank alternativer Energien, Flüssiggasimporten und eines milden Winters werden die befürchteten Engpässe wohl auch in diesem Jahr ausbleiben. Russland kann die 150 Milliarden Kubikmeter Gas, die es nach Europa verkauft hat, nicht einfach umleiten; für eine deutliche Steigerung der Lieferungen nach China – im letzten Jahr rund 16 Milliarden – und für den Export von Flüssiggas fehlt die Infrastruktur.

Die Ölpreise sind niedriger als vor dem Krieg, weil unter anderem Venezuela, die USA, Kanada und Brasilien deutlich mehr Öl fördern. Die Sanktionen wirken; russisches Öl wird mit Preisnachlässen von bis zu 50 Prozent an Länder wie Indien und China geliefert. Ähnlich sieht es bei Metallen wie Nickel und Kobalt aus. Durch neue Investitionen in Minen in Ländern wie den Philippinen und Indonesien kommt mehr Kapazität auf den Markt, als Russland produzieren kann.

Der Krieg betrifft nicht nur die Ukraine; Anpassungen der Lieferketten und der Produktion sind schwierig, mit hohen Kosten und Inflation verbunden. Aber den Wirtschaftskrieg hat Präsident Putin bereits verloren. Ohne Angst vor Abhängigkeiten, ohne Spekulation auf Energielieferungen können wir das Ziel für Europa klar definieren: ein Ende des Krieges, bei dem Russland keinen Gewinn schlägt und sich aus der Ukraine zurückzieht. Darauf muss unser Handeln ausgerichtet sein, nicht auf diffuse Hoffnungen auf den Status quo ante. (Veit Dengler, 29.1.2023)