Wolodymyr Selenskyj soll auch beim Schlagerfestival in Sanremo zugeschaltet werden.

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"Selenskyj? Ich weiß nicht, wie der singt, aber ich habe andere Vorlieben", erklärte Lega-Chef Matteo Salvini letzte Woche zu dem geplanten, zweiminütigen Auftritt Wolodymyr Selenskyjs am Schlussabend des Schlagerfestivals in Sanremo. Salvinis Vorlieben sind in der Tat bekannt: Er mag den Kreml-Chef lieber; Wladimir Putin war in den Augen Salvinis lange der größte Staatsmann unserer Zeit. Aber so war das natürlich nicht gemeint mit den Vorlieben. Und deshalb präzisierte er seine Kritik am Programm des Festivals: "Es ist nicht so, dass mit dem Auftritt des ukrainischen Präsidenten der Krieg zu Ende geht", betonte Salvini.

Der Lega-Chef, immerhin Vizepremier und Infrastrukturminister in der Rechtsregierung von Giorgia Meloni, ist der prominenteste Kritiker am geplanten Auftritt Selenskyjs in Sanremo, aber bei weitem nicht der einzige. Die Gegner der vor der Sendung aufgezeichneten Videoeinspielung rekrutieren sich vorwiegend aus Anti-System-Politikern und rechten und linken Pazifisten, die sich, wie auch Salvini, schwer tun mit den Waffenlieferungen der italienischen Regierung an die Ukraine. Der Komiker und Gründer der Fünf-Sterne-Protestbewegung Beppe Grillo zum Beispiel hält das Abspielen des Selenskyj-Videos ebenfalls für wenig opportun.

Banalisierung des Krieges

Ein Blick in die Leserbriefspalten und in die Social Media zeigt, dass das Unbehagen weit über die Politik hinausgeht. Selenskyj, findet etwa der Leser Livio Galluccio im "Corriere della Sera", solle in den Nachrichten oder in einer Politik-Talkshow auftreten, nicht in Sanremo: In dem glamourösen und ausgelassenen Kontext des wichtigsten Festivals in Italien drohe der Krieg banalisiert zu werden. "Die Leichtigkeit des 'Ariston' (das Casino von Sanremo, in dem das Schlagerfestival stattfindet) darf nicht verloren gehen: Sie ist für viele Italienerinnen und Italiener eine Anti-Stress-Therapie, an die sie gewöhnt sind", ergänzte der Leser – und sprach damit sicher Millionen seiner Landsleute aus dem Herzen.

Aber das national-populäre Schlagerfestival ist nun einmal mehr als ein Musikwettbewerb: Der Event, der seit den Fünfzigerjahren Millionen von Zuschauern an den TV-Bildschirm fesselt und der in diesem Jahr zum 73. Mal stattfindet, nimmt auch immer gesellschaftliche Strömungen auf und bildet sie zugleich ab: Sanremo ist eine präzise Momentaufnahme der italienischen Gesellschaft und dessen, was sie gerade bewegt – sozusagen ein "Selfie der Nation". Und bei der diesjährigen Ausgabe, die vom 7. bis 11. Februar über die Bühne geht, ist es eben vor allem der Krieg in der Ukraine, der die Menschen bewegt, nicht nur in Italien.

Politische Bühne

Im Übrigen ist es ja nicht das erste Mal, dass Selenskyj per Videoschaltung an einer Kulturveranstaltung auftritt – zugeschaltet war er auch schon an den Filmfestivals von Venedig und Cannes und bei der Verleihung der Golden Globes. Und vor allem ist es nicht das erste Mal, dass auf der Bühne des "Ariston" aktuelle politische Themen aufgegriffen werden – sei es von den Künstlern, von den Moderatoren oder auch von Politikern. So hatte der Komiker und Schauspieler Roberto Benigni in Sanremo in einer beißenden Satire den damaligen Premier Silvio Berlusconi auf die Schippe genommen, 2012 attackierte Adriano Celentano die katholische Kirche, weil sie sich mehr mit der Politik als mit dem lieben Gott beschäftige. Beides hatte enorme Aufregung ausgelöst.

Neben Selenskyj wird bei der diesjährigen Ausgabe auch Chiara Ferragni auftreten, mit 27 Millionen Followern die erfolgreichste Influencerin Italiens. Als Co-Moderatorin wird sie ebenfalls ein politisch heißes Eisen aufgreifen: die auch im Belpaese weitverbreitete sexualisierte Gewalt gegen Frauen. Auch Salvini hat das Festival von Sanremo schon dazu benutzt, seine politischen Botschaften unter das Volk zu bringen. Als Alessandro Mahmoud, dessen Vater aus Ägypten stammt, im Jahr 2019 den Wettbewerb mit dem Lied "Soldi" (Moneten) gewann, warf Salvini der Jury vor, eine Ansammlung von "radical chic", von Champagnerlinken zu sein. Salvini war damals Innenminister und hatte die Häfen für private Rettungsschiffe geschlossen. Ein Italiener mit ägyptischem Blut als Sieger von Sanremo: Das passte nicht zu seiner Anti-Migranten-Propaganda. (Dominik Straub aus Rom, 30.1.2023)