Polizeikontrollen und versteckte Kameras zur Geschwindigkeitsüberwachung, na gut. Unter britischen Autofahrern geht aber eine neue Besorgnis um: Die "Reichweitenangst" plagt immer mehr Besitzer elektrischer Fahrzeuge. Denn deren Zahl wächst sprunghaft, Aufladestationen hingegen gibt es viel zu wenige.

Nostalgisch erinnert sich der frühere Labour-Verkehrsminister Geoff Hoon (69) an die Zeit vor sechs Jahren, als er sich zum ersten Mal ein Elektro-Vehikel (EV) angeschafft hat. "Da war ich oft weit und breit der Einzige an der Ladestation." Mittlerweile hingegen stehen die fortschrittlichen EV-Besitzer immer häufiger im Stau, und zwar nicht auf der Straße, sondern vor den E-Zapfsäulen.

E-Autos kommen auf der Insel bei den Konsumenten und Konsumentinnen gut an – doch der Ausbau bei den Ladestationen lahmt.
Foto: AP /Kirsty Wigglesworth

Deren Zahl solle bis zum Ende des Jahrzehnts 300.000 betragen, hat die konservative Regierung von Premier Rishi Sunak vollmundig angekündigt. Der Weg dahin ist allerdings sehr weit: Zu Jahresbeginn meldete das Verkehrsministerium 37.055 funktionsfähige Andockstationen, im vergangenen Jahr waren nicht einmal 9.000 neu installiert worden. Das lahme Tempo hält mit der Anschaffung neuer EVs nicht Schritt. Kamen 2020 auf eine Zapfsäule noch 16 EVs, so liegt das Verhältnis mittlerweile bei 1:30. "Da ist die Regierung wohl am Steuer eingeschlafen", höhnen Hoons Nachfolger auf den Labour-Bänken im Parlament.

Kaum Saft auf dem Land

Hinzu kommen gewaltige regionale Unterschiede. Die Hauptstadt London verfügt schon heute über 131 Zapfsäulen pro 100.000 Einwohner; im englischen Nordwesten hingegen sind es lediglich 31 Ladepunkte. Auf Autobahnen und gut ausgebauten Straßen, den sogenannten A-Roads, betrage der Abstand zwischen den Ladestationen nirgendwo mehr als 40 Kilometer, beteuert das Verkehrsministerium. Auf dem Land aber bleibt die Lage vielerorts schwierig.

Für die britische Automobilindustrie stellt das Dilemma der Kundschaft einen Lichtblick in düsteren Zeiten dar. Seit dem Brexitjahr 2016 ist die Produktion von Neuwagen auf der Insel stetig zurückgegangen, im vergangenen Jahr lag die Zahl der neugebauten Autos so niedrig wie seit 1956 nicht mehr. Doch die schadstoffarmen und bis 2025 steuerfreien EVs made in GB boomen unvermindert. Modelle wie der E-Mini, der hybride Toyota Corolla oder Nissans Leaf wurden den Händlern aus den Händen gerissen; insgesamt stieg die EV-Produktion um 40 Prozent und macht inzwischen bereits knapp ein Drittel der Neuwagen aus.

Gigafabrik zur Batterieherstellung

Umso besorgter hat die Branche die kürzliche Pleite von Britishvolt beobachtet. Das ehrgeizige Start-up wollte in der ebenso malerischen wie strukturschwachen nordostenglischen Grafschaft Northumberland eine Gigafabrik zur Batterieherstellung bauen. Doch das Management der einst auf knapp 800 Millionen Euro taxierten Firma lebte auf zu großem Fuße, die Kundschaft blieb skeptisch, die Regierung verweigerte Blankoschecks. Geblieben von den schönen Plänen ist ein 93 Hektar großes Grundstück, das von 26 Technikern instandgehalten wird; der Konkursverwalter will es schon in den nächsten Tagen zum Schätzwert von 11,4 Millionen Euro verkaufen.

London verfügt schon heute über 131 Zapfsäulen pro 100.000 Einwohner; im englischen Nordwesten sind es lediglich 31.
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Mike Hawes vom Industrieverband SMMT macht sich deshalb Sorgen, das Land könnte bei der Automobilproduktion noch weiter zurückfallen: "Weltweit tätigt unsere Branche derzeit Investitionen in Batterien. Aber eine Strategie der Regierung ist nicht zu erkennen."

Tatsächlich nehmen die führenden Fahrzeughersteller derzeit viel Geld in die Hand, um für die Zukunft gerüstet zu sein. In Branchenschätzungen ist von 1,2 Billionen Dollar weltweit die Rede. Schließlich soll im Königreich bereits ab dem Jahr 2030, in der EU von 2035 an kein einziges Fahrzeug mit Verbrennungsmotor mehr an die Konsumenten und Konsumentinnen verkauft werden.

Schwachstelle Batterie

Dem Branchendienst Benchmark Minerals zufolge liegt das Königreich durch die Britishvolt-Pleite im europäischen Vergleich jetzt hinter Portugal und Norwegen, was die Kapazität angekündigter Gigafabrik-Projekte angeht. 2031 werden nach bisheriger Planung auf der Insel Batterien mit kaum mehr als 27 Gigawattstunden (GWh) produziert; die Europa-Spitzenreiter Deutschland und Ungarn planen mit 360 und 200 Gigawattstunden.

Schon tadelt der Industrieverband CBI die Regierung, diese bleibe beim "grünen Wachstum" hinter der europäischen Konkurrenz zurück. Dringend nötig seien als erster Schritt vor allem viele neue Ladestationen, findet Jack Cousens vom Autofahrerklub AA: "Die Leute müssen Fortschritte sehen, damit auch jene, die sich Sorgen machen, die Umstellung wagen."(Sebastian Borger aus London, 30.1.2023)