Hans Kaiser 1976 auf dem Hochkar – Das Motto lautete: nur ja nicht geradeaus die Piste herunterfahren.

Foto: Hans Kaiser

Steif wirkt Hans Kaiser bei einem Treffen mit dem STANDARD in einer Wiener Konditorei nicht. Im April steht sein 80. Geburtstag vor der Tür. "Ich bleibe immer in Bewegung, habe mich immer gerne ausgetobt." Eine starre Haltung war auch beim Skifahren nie seins. "Die strenge Technik bei den Schwüngen, das war schrecklich. Es gab aber keine Alternative. Wir mussten selbst etwas erfinden." High sein, frei sein: Also schnallte sich Hans Kaiser, Pionier des Freestyle, Anfang der 70er-Jahre die damals noch mehr als zwei Meter langen Latten an und stellte mit Wechtensprüngen, tänzerischen Drehungen und Salti die konservative Skiwelt auf den Kopf.

"Ich war aber nie in der Drogenszene unterwegs, habe kein MDMA genommen. Es waren wilde Jahre, und Siege sind ordentlich gefeiert worden. Bei einem Weltcup in Mariazell hat sich einmal ein Franzose, Nano Pourtier, ein wilder Hund, beim Tanzen Stück für Stück seiner Kleidung entledigt, bis er splitternackt war. Die Polizei hat ihn dann verhaftet", sagt Kaiser.

Akrobatisch schön

Der Wiener gründete 1975 den ersten Freestyle-Skiklub Österreichs, schloss sich im selben Jahr in St. Moritz dem Europa-Verband an, den der Deutsche Fuzzy Garhammer, einer der Urväter des Freestyle-Sports, gerade aus der Taufe gehoben hatte. Bald ging der Verband im Ski-Weltverband Fis auf, Kaiser wurde im Österreichischen Skiverband (ÖSV) Referent für Freestyle und Mitglied im Komitee der Fis. Bis er 1994 vom ehemaligen ÖSV-Präsidenten Peter Schröcksnadel abgesägt wurde.

Heute kämpfen Freeskier längst um olympische Medaillen, beim Skicross, auf der Buckelpiste oder beim Big Air. Die Ursprünge der Freestyle-Bewegung liegen im Skiballett. Ehemalige Weltmeister wie der Deutsche Hermann Reitberger trieben in den 80ern die Skiakrobatik voran, olympisch wurde Skiballett aber trotz Status einer Demonstrationssportart in Calgary 1988 nicht. Buckelpiste und Sprung gaben 1992 in Albertville ihre Premiere.

Die Eigenverantwortung

"Brauche ich dafür eine Ausbildung? Kann ich das?" Fragen, die sich für Kaiser nicht stellten. "Ich habe die Dinge einfach gemacht. Ein Fis-Delegierter sagte einmal zu mir: ‚This is not my problem, this is your problem.‘ Es geht im Leben um Eigenverantwortung", sagt Kaiser. Zum Freestyle kam der ehemalige Hauptschullehrer über einen befreundeten Betreiber eines Sportgeschäftes auf der Laxenburger Straße, der regelmäßig Skifilme zeigte, "und auf einmal sah ich Wayne Wong Pirouetten drehen".

Fasziniert vom Kanadier Wong, einem der ersten Freestyle-Weltmeister, wollte Kaiser als Skilehrer das Einerlei der klassischen Ausbildung nicht mehr herunterbeten. Gemeinsam mit Garhammer und dem Salzburger Manfred Kastner, der in den USA erfolgreich war und als einer der ersten Freestyler einen Dreifachsalto stand, begann Kaiser, Weltcups zu organisieren. "Ich war Veranstalter, Pistenchef und Platzsprecher in Personalunion, hatte deshalb nie Zeit, selbst aktiv mitzumachen."

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In Kitzbühel musste Kaiser einmal dem bereits verstorbenen Herrscher des Hahnenkamms, Anwalt Klaus Reisch, dem die Felder zwischen Hausberg und Zieleinfahrt gehörten, eine Entschädigungsgebühr von damals umgerechnet 40.000 Schilling zahlen, weil die Sicherheitszäune für das Skiballett auf Reischs Grundstück reichten. "Wir mussten oft improvisieren, wurden geduldet." Skiballett verschwand in den 90er-Jahren in der Versenkung, weil es kein Wettkampfsport war. "Mit einer Show wie bei Holiday on Ice hätte es funktionieren können."

Wilde Hunde

Kaisers Ideen reichten weit über die Berge hinaus. 1978 kaufte er sich von einer Gerüstbaufirma auf der Wiener Messe Material um 100.000 Schilling und baute die erste Wasserschanze Österreichs. Von einem zehn Meter hohen Turm sprangen seine Freestyler beim Hollabrunner Volksfest vor ein paar Tausend Zuschauern in einen Swimmingpool. Um den Pool mit den Stahlkanten der Skier nicht zu beschädigen, wurde ein Rasenteppich hineingelegt, der mit Ziegelsteinen beschwert wurde. Man sprang überall, wo es Schwimmbäder oder Seen gab, so etwa in Burgau in der Steiermark oder am Neufelder See im Burgenland.

Kaiser brach immer wieder aus gewohnten Strukturen aus, eine Ursache sieht er in der eigenen Familie. Aufgewachsen ist Kaiser in einem Gemeindebau in Favoriten. Der Vater war Buchhalter und ein Despot. "Er hat mein Engagement für Freestyle nie goutiert, träumte immer von einem Einfamilienhaus, wo er die ganze Familie kontrollieren könnte. Ich wollte nur raus aus diesem Käfig."

Hat Ziele und bleibt in Bewegung: Im April feiert Kaiser seinen 80. Geburtstag.
Foto: Florian Vetter

Kaiser zog es in die Berge, Mitte der 70er-Jahre kam der erste Trickski von Atomic heraus. Lange Zeit war er im ÖSV tätig, bis zu jenem Gespräch mit Schröcksnadel am Buffet beim Fis-Kongress in Rio de Janeiro 1994. Die Landespräsidenten wollten ihn nicht mehr als Freestyle-Referenten. Ein Grund wurde ihm nie genannt. "Der ÖSV ist bis heute eine Autokratie, von oben nach unten wird nicht kommuniziert. Das trifft nun auch die Skifahrer." Zwanzig Jahre später übernahm Kaiser als Referent für Freestyle im niederösterreichischen Landesverband, 2018 wurde er per E-Mail suspendiert. Wegen Kritik am ÖSV bei der Fis und Nichteinhaltung des Budgets. Kaiser verklagte den Landespräsidenten wegen übler Nachrede, zog seine Klage bald darauf zurück. "Ich habe Fehler gemacht, hege keinen Groll gegen den ÖSV. Er ist halt unprofessionell geführt."

Keine Strukturen

2015 fand eine Freestyle-WM am Kreischberg statt, 2027 ist das Montafon WM-Ausrichter. Was das für die Sportart in Österreich bedeutet? "Nichts", sagt Hans Kaiser. "Solange sich nichts an den Strukturen ändert." Österreichs erfolgreichste Freestyle-Athleten sind nach wie vor Christian Rijavec und Margarita Marbler. Der mittlerweile 50-jährige Kärntner gewann in den 90er-Jahren zwei WM-Silbermedaillen im Aerial, nahm dreimal an Olympischen Spielen teil. Marbler wurde Olympia-Sechste 2010, holte zweimal WM-Bronze und gewann sieben Weltcuprennen auf der Buckelpiste.

Vor vier Jahren ereilte Kaiser die Diagnose Bauchspeicheldrüsenkrebs. Überlebenschance 16 Prozent. Die Operation war ein Erfolg. Kaiser bleibt ein naturverbundener Mensch, geht immer noch Ski fahren, kaufte sich ein E-Bike. Im vergangenen Sommer erklomm er in Salzburg 12.000 Höhenmeter. Seit 27 Jahren ist er geschieden, seine zwei erwachsenen Töchter leben in England und Wien. Wie sein heutiger Tag aussieht? "So wie jeder Tag." Das heißt um 5.30 Uhr aufstehen, Hausarbeit machen ("Ich lebe allein"), danach laufen gehen und neue Ideen für Freestyle-Projekte wälzen. Bald fängt die Chemotherapie wieder an: "Du brauchst Ziele, sonst bereitet sich der Körper schon auf den Holzpyjama vor." (Florian Vetter, 31.1.2023)