Auf den ersten Blick sieht es aus, als hätte die Zeit irgendwann heimlich die Richtung gewechselt: Tschechien bekommt erstmals einen Präsidenten, dessen politische Karriere nicht unmittelbar mit der Samtenen Revolution des Jahres 1989 verbunden ist – allerdings ganz ohne die berühmte "Gnade der späten Geburt". Im Gegenteil: Beide Kandidaten, die in der Stichwahl gegeneinander antraten, haben den Grundstein für ihre – sehr unterschiedlichen – Laufbahnen davor gelegt, während der kommunistischen Diktatur.

Petr Pavel entschuldigt sich für seine einstige KP-Mitgliedschaft.
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33 Jahre Demokratie: Ob das eine lange oder eine kurze Zeit ist, hängt von der Fragestellung ab. Dass sie kurz genug ist, um aus der Vergangenheit ein Wahlkampfthema zu machen, war aber abzusehen. Da war einerseits der unterlegene Kandidat, Ex-Premier Andrej Babiš, Jahrgang 1954. Er war einst tschechoslowakischer Handelsdelegierter in Marokko. Später baute er sein eigenes Firmenimperium auf, das ihn zu einem der reichsten Menschen im Land machte. Den Vorwurf, für die Staatssicherheit gespitzelt zu haben, bestreitet er.

Der Wahlsieger wiederum, der 1961 geborene ehemalige Armeegeneral Petr Pavel, entschied sich schon in der kommunistischen Zeit für eine Laufbahn als Soldat, besuchte die Militärakademie und ließ sich im Bereich Militärspionage ausbilden. Später machte er Karriere in der tschechischen Armee. KP-Mitglieder waren einst beide.

Und nun kann man den Zeitstrahl wieder in die richtige Richtung drehen: Dass im ersten Wahlgang, als noch acht Kandidierende zur Auswahl standen, mehr als 70 Prozent für Pavel oder Babiš stimmten, zeigt, dass die Bedeutung des Themas in der Gesellschaft abnimmt. Klar: Einige derer, die einst Opfer der kommunistischen Machtmaschinerie wurden, sind deshalb verbittert. Doch das versteht auch Pavel, wie er am Wahlabend einmal mehr deutlich sagte.

Pavel blickt mit offenem Visier auf seine Vergangenheit, entschuldigt sich für seine einstige KP-Mitgliedschaft – ein Fehler, aus dem er gelernt habe. Er nennt Václav Havel, den Dissidenten, der 1989 Präsident wurde, als Vorbild für seine Amtsführung. Und er genießt die Unterstützung vieler ehemaliger Regimegegner und ihrer heutigen Sympathisanten.

Babiš hingegen bewarf Pavel mit dem Schmutz, der auch an ihm selbst klebt, um den Liberalen in der Gesellschaft zu suggerieren, dass sie ohnehin keine Wahl hätten und lieber zu Hause bleiben sollten. Hat nicht geklappt. Gut so. (Gerald Schubert, 29.1.2023)