Die Wahlschlappe der ÖVP in ihrem wichtigsten Bundesland stärkt weder Kanzler Karl Nehammer noch Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner.

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Es gibt Landtagswahlen, die sind Landtagswahlen: Da geht es um Landespolitik und um das politische Spitzenpersonal – im Land. Eine solche Wahl war jene in Niederösterreich ganz bestimmt nicht. Erstens lebt jeder und jede fünfte Wahlberechtigte Österreichs in Niederösterreich. Das macht die Wahl per se zu einem Stimmungsbarometer fürs ganze Land. Zweitens hat das Institut Sora vor der Wahl erhoben, dass für eine klare Mehrheit der Wählerinnen und Wähler bundespolitische Motive eine wichtige Rolle spielen.

"Landtagswahlen in Niederösterreich haben durchaus das Potenzial, Schockwellen an den Bund zu senden", sagt der Politikberater Thomas Hofer. "Und nach dieser Wahl sind die ganz gewiss bereits unterwegs."

SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner muss sich darauf einstellen, dass das Ergebnis der Landtagswahl in Niederösterreich sie auch auf Bundesebene noch länger beschäftigen wird.
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Aber was heißt das konkret für die Bundesparteien? Ein Überblick.

· ÖVP: Niederösterreich ist für die Volkspartei das mit Abstand wichtigste Bundesland. Geht’s der ÖVP Niederösterreich nicht gut, geht’s der ganzen ÖVP nicht gut, könnte man sagen. Kanzler und ÖVP-Chef Karl Nehammer ist zwar gebürtiger Wiener, politisch wurde er aber in Niederösterreich sozialisiert. Auch Innenminister Gerhard Karner, Verteidigungsministerin Klaudia Tanner und Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka kommen aus der ÖVP Niederösterreich. Es ist das große schwarze Kernland und dadurch ein Machtfaktor innerhalb der gesamten ÖVP – das war schon immer so. Gegen den Willen der niederösterreichischen Landesgruppe wird (oder bleibt) auch niemand ÖVP-Obmann.

Bundestrend "grausam"

Bei der vergangenen Landtagswahl 2018 – der ersten, die Johanna Mikl-Leitner als Landeschefin zu schlagen hatte – habe die Volkspartei "ordentlich Rückenwind" vom damaligen Kanzler und Parteichef Sebastian Kurz bekommen, sagt Hofer. "Jetzt ist das Gegenteil der Fall, der bundesweite Trend war aus Sicht der ÖVP Niederösterreich grausam." Das stärkt Kanzler Nehammer nun wahrlich nicht. Dass er allzu rasch um seinen Job fürchten muss, davon geht derzeit jedoch kaum jemand aus. Außerdem steht im April auch eine Landtagswahl im schwarzen Salzburg an. "Aber natürlich sind die Verluste in Niederösterreich schwerwiegend und werden auch in der Bundes-ÖVP viele Diskussionen nach sich ziehen", sagt Hofer.

· SPÖ: Die Themenlage sei für die SPÖ "ideal" gewesen, analysiert der Politikberater: "Da muss man die Frage stellen: Was genau hält derzeit die SPÖ auf außer sie selbst?" Auch die oppositionelle Rolle auf Bundesebene sei für die Landtagswahl eigentlich ein großer Vorteil gewesen. "Das lässt schon tief blicken. Die Wahl ist ein Tiefschlag für die SPÖ, der Auswirkungen haben wird."

Interna und Kärnten-Wahl

Auch innerhalb der SPÖ ist die Stimmung mehr als angespannt. Viele in der Partei gehen davon aus, dass die ohnehin laufend aufkommenden innerparteilichen Machtkämpfe nun noch einmal zunehmen werden – und spätestens nach der Landtagswahl in Kärnten Anfang März so richtig aufflammen.

Kärnten ist neben Wien und dem Burgenland tiefrot. Landeshauptmann Peter Kaiser und seine Kärntner Landespartei haben bei der vergangenen Wahl 2018 fast 48 Prozent der Stimmen bekommen – es gibt also viel zu verteidigen. Interne Streitigkeiten sind da wenig hilfreich.

Burgenlands Landeshauptmann Hans Peter Doskozil hat sich zuletzt mehr oder weniger offen als Nebenbuhler von SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner positioniert – und er ist derzeit Vorsitzender der Landeshauptleutekonferenz. Hofer rechnet damit, dass sich Doskozil nun auch in dieser Rolle "häufig äußern" und "als Spitzenkandidat für den Bund empfehlen" werde. "Er wird alles daran setzen, seinen Genossinnen und Genossen zu zeigen, wie Themenmanagement geht."

Spannend wird nun auch für die Bundespartei, ob Volkspartei und Sozialdemokraten in Niederösterreich einen Regierungspakt schließen werden. Derzeit regieren ÖVP und SPÖ in Kärnten, Tirol und der Steiermark miteinander.

· FPÖ: Niederösterreich ist kein blaues Kernland – zumindest bisher nicht. Es ist für die Freiheitlichen deshalb ein historisches Ergebnis. Auch FPÖ-Chef Herbert Kickl bekomme dadurch "Rückenwind", wie Thomas Hofer sagt. "Während die anderen eine Schockwelle erleben, rollt auf Herbert Kickl eine Welle zu, die er surfen kann." Hofer rechnet damit, dass nun auch die bundesweiten Umfragewerte der FPÖ "noch einmal anziehen" werden.

Eine Regierungszusammenarbeit der FPÖ Niederösterreich mit der Volkspartei würde jedoch auch eine Erzählung der Bundespartei stören: "Wir da unten gegen die da oben – das funktioniert schlechter, wenn man selbst mehr Verantwortung trägt", sagt der Politikberater. Kickl selbst fordert Neuwahlen im Bund und sieht den Weg für einen freiheitlichen Kanzler geebnet.

· Grüne und Neos: Die bundespolitischen Auswirkungen dieser Wahl auf Neos und Grüne werden sich "in Grenzen halten", glaubt Hofer. Die Grünen könnten allerdings innerhalb der Regierung davon profitieren, dass die ÖVP geschwächt ist. Wobei Hofer den Gestaltungsspielraum in der türkis-grünen Koalition für "enden wollend" hält. Denn selbst wenn – wie regulär geplant – im Herbst 2024 gewählt werde, liege der inoffizielle Wahlkampfstart nicht mehr allzu fern. (Katharina Mittelstaedt, 29.1.2023)