Die Spitzenkandidatinnen und Spitzenkandidaten hatten in der ORF-Sendung zur Wahl am Sonntag teils sehr überraschende Veränderungen zu kommentieren.

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Vieles in Niederösterreich ist im Umbruch. Die ÖVP erlitt herbe Verluste, die FPÖ überholte klar die SPÖ, die Grünen haben wieder Klubstärke erlangt und auch die Neos legten zu. Franz Schnabl (SPÖ) und Udo Landbauer (FPÖ) wollten die Absolute bzw. "das System ÖVP" brechen und wollten jeweils auch gerne Landeshauptmann werden.

Eine gröbere Veränderung hatte es schon vor der Wahl für die Wählerinnen und Wähler gegeben: Erstmals waren am Sonntag in Niederösterreich keine Zweitwohnsitzerinnen und Zweitwohnsitzer mehr zur Wahl zugelassen, diese Änderung betraf fast 100.000 Personen. Das entsprechende Gesetz war im Juni in Kraft getreten, die ÖVP hatte sich zuvor lange gegen diese Änderung gestemmt. Bis dahin waren bei Wahlen immer wieder eigenartige Meldevorgänge und kurzzeitig gegründete WGs aufgefallen. Analysen zufolge hatten ÖVP und Grüne bei den Nebenwohnsitzerinnen und Nebenwohnsitzern besonders gut abgeschnitten.

Johanna Mikl-Leitner kämpfte um die Macht im Land.
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ÖVP: Abwehrkampf im schwarzen Kernland

Es war eine der eigenartigeren Wahlkampfszenen, als Johanna Mikl-Leitner bei ihrem Wahlkampfauftakt mit schwerer Stimme sagte: "Es geht um viel. Sehr viel." Aus der Sicht der ÖVP Niederösterreich war das so: Die absolute Mehrheit war lange vor der Wahl so gut wie dahin; doch auch die Angst vor einem Absturz auf unter 40 Prozent wurde immer größer – bis sie in den Wahltagshochrechnungen real wurde. Mit der Bunds-ÖVP im Sinkflug und einer Themenlage, die der schwarzen Landespartei unwirsch entgegenblies, hatte die Partei auf Mikl-Leitner als Person gesetzt; und auf das Schreckgespenst einer rot-blauen Regierung nach der Wahl. Fix ist: Blau-Rot hat keine Mehrheit im Landtag.

Die ÖVP hat in diesem Wahlkampf die gesamte Schlagkraft mobilisiert und sich in eine regelrechte Materialschlacht gestürzt: Hunderte Metallmasten mit blau-gelben Fahnen haben Funktionärinnen und Funktionäre aufgestellt, mit hölzernen Schriftzügen die Liebe zum Land bekundet, an jeden Haushalt verschickte die Landeshauptfrau einen Brief. 2018 hatte sich die Partei das Ziel gesetzt, die absolute Mehrheit zu behalten – und es geschafft. Der Wahlkampf 2023 war ein Abwehrgefecht: Es galt, Verluste zu minimieren. Erfolgreich war man nicht. Mikl-Leitner fuhr das schlechteste Ergebnis ein, das die Schwarzen jemals in Niederösterreich hatten.

Udo Landbauer verlieh die Bundespolitik Rückenwind.
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FPÖ: Historischer Erfolg für die Blauen

Dem 36-jährigen FPÖ-Spitzenkandidaten Udo Landbauer hat bei dieser Wahl einiges in die Hände gespielt: zum Beispiel, dass das Thema Asyl bundespolitisch wieder hochkochte. Oder die Verdrossenheit der Wählerinnen und Wähler angesichts der Bundes-ÖVP und Korruptionsvorwürfein deren Reihen.

2018 kam die FPÖ auf 14,8 Prozent und damit auf acht der 56 Mandate. Damals war die Liederbuchaffäre – ein Liederbuch von Landbauers (damaliger) schlagender Burschenschaft enthielt antisemitische und rassistische Texte – in den Wahlkampf geplatzt, in der Folge zog sich Landbauer kurzzeitig aus der Politik zurück.

Das Ergebnis 2018 bedeutete einen leichten Zuwachs, kam aber an den blauen Bestwert von 1998 (16,1 Prozent) nicht heran. Die FPÖ erhielt in der Folge einen Landesratsposten (für den Tierschutz, Gemeindeärzte, Asyl und Mindestsicherung), den Gottfried Waldhäusl bekleidet. Der Zeit mit Waldhäusl als Klubobmann trauerte im aktuellen Wahlkampf vor laufender Kamera eine FPÖ-Mandatarin hinterher, die Landbauer als "machtgeil" bezeichnete und eine Wahlempfehlung für Mikl-Leitner aussprach. Die kurze Aufregung darüber verflog schnell.

Am Sonntag fuhr er das historisch beste Ergebnis der FPÖ in Niederösterreich ein. Neben dem satten Plus freuen sich die Blauen auch über neue Regierungssitze.

Franz Schnabl hatte vor allem mit den Blauen zu tun.
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Historischer Platzwechsel der SPÖ auf Platz drei

Platz eins war sowieso nie Thema für die SP Niederösterreich. Für Landeschef Franz Schnabl ging es vor allem darum, Platz zwei gegen die FPÖ zu verteidigen. Die Chancen dafür standen laut Umfragen denkbar schlecht, und schon im Laufe des Wahlabends war klar: Die SPÖ ist nur noch drittstärkste Kraft im Land mit einem Minus von mehr als drei Prozentpunkten.

Der Sozialdemokratie in Niederösterreich wollte und wollte es nicht gelingen, aus der aktuellen Themenkonjunktur – Stichwort Inflation und Energiekrise – eine nachdrückliche Bewegung in Richtung Rot auszulösen. Im Wahlkampffinale hatte sich der rote Spitzenkandidat noch einen roten Ex-Kanzler geholt, um für sich Stimmung zu machen. Christian Kern pries den 64-jährigen Schnabl in St. Pölten so an: "Franz und sein Team haben die richtigen Antworten." Dabei war da übrigens auch der Traiskirchner Bürgermeister Andreas Babler, der vom letzten SPÖ-Listenplatz aus eine Vorzugsstimmenkampagne gefahren ist – und als potenzielle Reserve für die Parteispitze gilt. Er schaffte – im Gegensatz zur Landes-SP – in seiner Stadt ein Plus von 3,8 Prozentpunkten (46,6 Prozent). Schnabl blieb am Wahlabend nur, sich zu freuen, dass die ÖVP die Absolute verloren hat – und "das eine oder andere auch in Wien deutlich gehört wird", verwies er auf die "abgehobene ÖVP-Politik".

Helga Krismer thematisierte Energie und Mobilität.
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Leichtes Plus bringt Grünen viertes Mandat

Die Klimakrise hat in der Öffentlichkeit seit der letzten Landtagswahl deutlich an Präsenz gewonnen, die niederösterreichischen Grünen unter Spitzenkandidatin Helga Krismer setzten daher im Wahlkampf vor allem auf die Themen erneuerbare Energie und Mobilität.

Ihnen gelang damit ein leichter Stimmenzuwachs, dank dessen sie eine wichtige Hürde nehmen können: Sie erreichten vier Mandate und damit Klubstärke. Das gibt der Partei im Landtag zum Beispiel die Möglichkeit, Anträge zu stellen und so auf die Tagesordnung Einfluss zu nehmen. Im Wahlkampf kündigte Krismer zum Beispiel an, die Abschaffung des Proporzes zu thematisieren. "Wir haben ein Mandat für den Umweltschutz dazugewonnen", freute sich Landesgeschäftsführer Hikmet Arslan.

Zur letzten Landtagswahl war die 50-jährige Vizebürgermeisterin von Baden in einer sehr schwierigen Lage angetreten: Die Bundespartei war aus dem Nationalrat geflogen, die Landespartei finanziell schlecht aufgestellt. Damals wurden es 6,4 Prozent der Stimmen und drei Sitze – einer weniger als zuvor. Die Grünen hatten damals am meisten Stimmen von allen Parteien an die Neos verloren, die 2018 erstmals angetreten waren und in den Landtag einzogen.

Indra Collini hoffte auf ein viertes Mandat für die Neos.
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Neos: "Solide" gestärkte Oppositionskraft

Mit dem Slogan "Das Richtige tun" hatte Neos-Landeschefin Indra Collini im Wahlkampf um möglichst viele Stimmen geworben. Nicht das von der ÖVP beschworene Angstmodell Rot-Blau oder vice versa, sondern eine politische Reise nach Ibiza fürchteten die Pinken, dass nach dem im Bund krachend gescheiterten Experiment einer ÖVP-FPÖ-Regierung auch in Niederösterreich eine "Ibiza-Koalition" drohen könnte. Es gelte bei dieser Landtagswahl eine "Kickl-Leitner"-Koalition zu verhindern, sagte die Neos-Spitzenkandidatin bei der Schlusskundgebung in St. Pölten und fusionierte Johanna Mikl-Leitner mit dem lautmalerisch besser passenden Bundes-FPÖ-Chef Herbert Kickl.

Im Wahlkampf hatten die Pinken, die 2018 beim ersten Antritt in Niederösterreich mit 5,15 Prozent drei Mandate erringen konnten und jetzt auf ein viertes hofften, vor allem auf "saubere Politik" gesetzt. Nach den ersten Hochrechnungen freute sich Collini über "ein sehr schönes Ergebnis" und ein "solides Wachstum". Die künftige Rolle der Neos definierte die 52-Jährige so: "Wir werden die starke Oppositionskraft bleiben, die den Mächtigen auf die Finger schaut."

Die Kleinen, die es nicht schafften

Neben den fünf landesweit um Stimmen kämpfenden Parteien hatte auch die MFG (Menschen, Freiheit, Grundrechte) versucht, in Teilen des Landes mitzumischen. In fünf von 20 Landkreisen – Baden, Krems, Mödling, St. Pölten und Tulln – stand sie auf dem Wahlzettel: Die Spitzenkandidatin und frühere SPÖ-Politikerin Christine Lukaschek wollte den übrigen Parteien "wenigstens wehtun". In Lukascheks Heimatgemeinde Fels am Wagram errang MFG ihr bestes Ergebnis: mit 4,2 Prozent der Stimmen. Die MFG-Abspaltung "Dein Ziel" holte ihr bestes Ergebnis in Waidhofen an der Ybbs mit 3,2 Prozent. In den Wahlkreisen Amstetten, St. Pölten, Bruck an der Leitha und Wiener Neustadt stand auch die KPÖ auf dem Stimmzettel, deren bestes Ergebnis die 6,2 Prozent in Fischamend wurden, weit abgeschlagen lagen weitere Ergebnisse mit um die zwei Prozent und weniger. (Sebastian Fellner, Lisa Nimmervoll, Gudrun Springer, 29.1.2023)