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Wien / St. Pölten – Weniger Wahlberechtigte, aber fast gleich viele abgegebene Stimmen – das ist eine der markanten Entwicklungen der niederösterreichischen Landtagswahl vom Sonntag. Diesmal ist die Wahlbeteiligung deutlich – von 66,56 auf 71,52 Prozent – gestiegen, was gleichzeitig die Wählerstromanalyse spannend macht.

Im Fokus stehen dabei vor allem die ÖVP als große Wahlverliererin mit einem Minus von 91.618 Stimmen und die FPÖ, die seit der Wahl 2018 um 83.426 Stimmen zugelegt hat. Auf den ersten Blick scheint es so, als hätte es da einen direkten Wähleraustausch gegeben – aber in Wahrheit ist die Sache komplizierter, wie die Wählerstromanalyse des Sora-Instituts für den ORF zeigt.

Tatsächlich hat die FPÖ nach dieser Berechnung massiv von der ÖVP gewonnen, nämlich rund 72.000 Stimmen. Und nicht nur das: Auch von der SPÖ haben die Freiheitlichen 29.000 Stimmen abgezogen, dazu konnten rund 23.000 Nichtwähler des Jahres 2018 gewonnen werden sowie ein paar Wähler auch von den kleineren Parteien. Das sind also erheblich mehr als die realen Zugewinne.

Wie sich das ausgeht? Zunächst einmal muss man beachten, dass auch die Freiheitlichen Wähler verloren haben – weil diese in den letzten fünf Jahren weggezogen oder verstorben sind, als Zweitwohnsitzer ihr Wahlrecht verloren haben oder schlicht nicht wählen gegangen sind – das betrifft rund 15.000 Personen. Nur 68 Prozent der FPÖ-Wähler des vorigen Wahlgangs sind auch diesmal bei der FPÖ geblieben. 14.000 frühere FPÖ-Wähler sind diesmal zur SPÖ gewechselt, 11.000 zur ÖVP. Der Saldo der ÖVP-FPÖ-Wanderung beträgt demnach 61.000 Stimmen, jener der SPÖ-FPÖ-Wanderung 15.000.

Ähnlich lässt sich für die ÖVP rechnen: Sie konnte knapp zwei Drittel ihrer früheren Wählerschaft halten. Und sie hatte nicht nur den erwähnten Abfluss in Richtung FPÖ, sondern auch Verluste in Richtung Neos (15.000 Stimmen), Grüne (13.000) und SPÖ (9.000) – wobei sie von allen diesen Parteien auch ehemalige Wähler gewinnen konnte. Auffallend deutlich war der Wähleraustausch mit den Neos, die nach den Sora-Berechnungen nur 37 Prozent Haltequote (also Wähler der vorigen Wahl) haben: 11.000 frühere Neos-Wähler machten diesmal ihr Kreuz bei der ÖVP – aber dem stehen die erwähnten 15.000 ÖVP-Wähler gegenüber, die diesmal zu den Neos gewechselt sind.

Besonders groß war der Verlust der ÖVP an die jetzt nicht mehr wahlberechtigten Zweitwohnsitzer – laut Sora 36.000 Personen. Aber es gab auch etwa 10.000 frühere ÖVP-Wähler, die an die Gruppe der Nichtwähler verlorengegangen sind.

Umgekehrt hat die ÖVP vor allem aus dem Kreis der ehemaligen Nichtwähler gewonnen – immerhin jeder zehnte ÖVP-Wähler vom Sonntag hat vorher nicht die Schwarzen gewählt gehabt. Dieser Wählerstrom ist mit 36.000 Stimmen mehr als eineinhalbmal so groß wie die Mobilisierung ehemaliger Nichtwähler durch die FPÖ.

Die SPÖ konnte bei den Nichtwählern wenig – 5.000 Stimmen – gewinnen. Ihren Gesamtverlusten zum Trotz gewann sie unter anderem 14.000 ehemalige Freiheitliche und 9.000 ehemalige ÖVP-Wähler. (Conrad Seidl, 30.1.2023)