Auch aufgrund der Diskussionen rund um die Autorin will man sich oftmals in eine Fantasy-Welt flüchten, wo Gut und Böse klar aufgeteilt sind.

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"Harry Potter"-Fans hatten es auch schon einmal leichter. Was waren das für Zeiten, als man einfach die gleichnamigen Bücher verschlingen oder auch die Kinofilme Popcorn-essend mit seinen Freunden genießen konnte, ohne sich Gedanken über die Positionen der Erfinderin machen zu müssen! Seit die Zauberlehrling-Erfindern J. K. Rowling regelmäßig mit transfeindlichen Wortmeldungen auf sich aufmerksam macht und die Darstellung der geldgierigen Goblins von vielen als antisemitisch erkannt wird, dürfen sich in knapp zwei Wochen auch Gamerinnen und Gamer fragen, ob man noch vorurteilsfrei in die Welt der Muggel und Horkruxe eintauchen darf.

Transfeindlichkeit

Am 10. Februar 2023 erscheint mit "Hogwarts Legacy" ein weiteres Spiel zum Thema "Harry Potter". Passend zu den Filmen wurden in den Jahren 2001 bis 2011 bereits spielerisch einfache, aber doch charmante Videospiel-Adaptierungen der Filmvorlagen veröffentlicht worden. Damals ging es in den Bewertungen der Kritiker und Fans vor allem um spielerische Mängel, aber nicht um politische Inhalte. 2023 ist die Welt jedoch eine andere.

Seit Wochen füllt sich das Netz mit Boykottaufrufen in Bezug auf das Spiel, in dem man als Spielerin beziehungsweise Spieler in die Rolle eines Zauberlehrlings in Hogwarts schlüpft. Grafisch opulent und mit viel Liebe zum Detail ausgestattet, waren diverse Vorbestellaktionen – etwa jene der teuren Sammleredition – schnell ausverkauft. Während die einen also weiterhin unbeschwert ihre Liebe zum Franchise feiern, bäumen sich die anderen lautstark gegen ein weiteres Produkt auf, das zumindest inspiriert von den Ideen der mittlerweile umstrittenen Autorin J. K. Rowling ist und mit Sicherheit ihre Taschen mit Geldscheinen füllen wird.

Seit 2019 – also kurz vor der Ankündigung von "Hogwarts Legacy" – lässt die Autorin, die mit den "Harry Potter"-Büchern weltberühmt und wohlhabend geworden ist, ihrer Trans-feindlichkeit freien Lauf. Ihre 14 Millionen Follower auf Twitter versorgt sie fast ausschließlich mit ihrer Meinung zu diesem Thema, nämlich jener, dass es "trans" eigentlich gar nicht gäbe. Ihrer Meinung bleibt sie über die Jahre treu. Zunehmend schießt sie scharf gegen die Trans-Community und behauptet, diese stelle eine Gefahr für Frauen dar.

Seit Ende 2019 zeigte die Autorin immer wieder, dass ihr die Rücksichtnahme auf Transgenderpersonen – darauf, dass auch sie sich als Frauen und Männer verstehen und als solche angesprochen werden wollen – auf die Nerven geht.

Vorwürfe auch gegen Entwickler

In den vergangenen Jahren haben sich immer wieder Schauspieler der Filme von J. K. Rowling distanziert. Daniel Radcliffe etwa oder auch Rupert Grint, der 2020 in einem längeren Interview klarstellte, dass er Seite an Seite mit der Trans-Community stehe. "Wir sollten uns alle bemühen, Liebe unser Leben bestimmen zu lassen und nicht die Verurteilung anderer."

Als wäre das nicht schon genug Wirbel um die geistige Schöpferin hinter Harry Potter, fiel 2020 auch ein wichtiger Mitarbeiter des für das Spiel verantwortlichen Entwicklerstudios negativ auf. Dem Lead Designer Troy Leavitt wurde nachgewiesen, dass dieser drei Jahre lang Beschwerden wegen sexueller Belästigung am Arbeitsplatz ignorierte. Nach der Aufdeckung dieses Fehlverhaltens verließ er das Studio in gegenseitigem Einverständnis.

Im selben Jahr – die erste Rowling bezogene Empörungswelle hatte das Spiel erreicht – erklärte der Präsident der Spieleabteilung David Haddad, dass die Britin "nicht direkt" am Spiel beteiligt sei. Er betonte, dass die Autorin immer noch eine Privatperson sei und so ihre persönlichen Meinungen in den sozialen Netzwerken teilen kann. "Ich möge ihr nicht zustimmen und bei vielen Themen anderer Meinung sein, aber ich stehe dazu, dass sie immer noch Meinungsfreiheit genießt", stellte er klar.

Später wurde von Haddad dann aber auch betont, dass man in puncto Inklusion mit Organisationen zusammenarbeite, die sich für LGBTQ-Rechte einsetzen. Er selbst habe ein Gespräch mit einem Repräsentanten der Gay and Lesbian Alliance Against Defamation (GLAAD) geführt – das in Arbeit befindliche "Harry Potter"-Spiel und Rowling sollen hierbei keinerlei Erwähnung gefunden haben.

Hogwarts Legacy

Meinung machen

Das sorgenlose Konsumieren von Medien aller Art ist tatsächlich kompliziert geworden. So gibt es manche, die keine Videospiele spielen, bei deren Urhebern Crunch nachgewiesen wurde – also unbezahlte Überstunden bis zur Erschöpfung der Mitarbeitenden –; aber auch Musik von Michael Jackson oder R. Kelly wird nicht mehr von jeder Radiostation gespielt. Ein ebenfalls für Schlagzeilen sorgender Vorfall war die Reaktion des Streaming-Anbieters Netflix, als dieser Kevin Spacey aus der Serie "House of Cards" entfernen ließ, nachdem sich der Schauspieler mit Vorwürfen sexueller Übergriffe konfrontiert sah. Zu Recht?

Die Debatte, ob man Kunst vom Künstler trennen darf oder muss, ist ewig alt. Es gibt Maler, Musiker, Produzenten und Autoren – zuletzt auch Schauspieler –, deren menschliches Fehlverhalten einen Boykott ihrer Kunst durchaus verdienen würde.

Nun kann man sich täglich – wenn nicht sogar stündlich – diesem moralischen Zwiespalt stellen, jeden Konsum hinterfragen und generell strittige Produkte links liegen lassen. Oder man zieht für sich selbst eine Linie, die man persönlich nicht überschreiten möchte. Unabhängig vom Wirbel da draußen, vor allem in den sozialen Netzwerken. Was ist mir wichtig? Was kann ich vertreten? Ist mir die Liebe zu einem Franchise wie "Harry Potter" wichtiger als die dummen Äußerungen seiner geistigen Mutter? Kann ich damit leben, dass mich manche im Freundeskreis darauf ansprechen, warum ich mir dieses Spiel gekauft habe, obwohl es doch am Ende J. K. Rowling nützt?

Menschen zu verurteilen ist einfach – man setzt sich damit in ein Boot mit J. K. Rowling. Auf andere mit dem Finger zu zeigen fällt immer leichter, als sich selbst kritisch im Spiegel zu betrachten. Deshalb nehme ich an dieser Stelle niemandem die Entscheidung ab, ob er am 10. Februar dieses Spiel kaufen soll. Ich habe mich auch gefragt, ob ich über dieses Produkt berichten soll. Meine Antwort darauf lautet: Wenn ich damit eine kritische Diskussion rund um das Thema auslösen kann, ist mein Ziel erreicht. (Alexander Amon, 30.1.2023)