Zeuge Johann K. beim Torjubel in einem nicht ganz unwichtigen Fußballspiel im Jahr 1978 in Südamerika.

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Wien – Zeuge Johann K. wird von Richterin Danja Petschniker nicht nach seinem Beruf gefragt. Ob der 69-Jährige darauf "Goleador", "Grün-weiße Legende", "Held von Córdoba" oder "Privatier" antworten würde, erfährt die Öffentlichkeit also nicht. Dafür aber, dass am 14. August 2022 für ihn bei der Paschinger "Raiffeisen Arena" (vormals Waldstadion) "eine Welt zusammengebrochen ist".

Denn K. wurde damals kurzfristig unter dem Vorwurf des Widerstands gegen die Staatsgewalt von der Polizei festgenommen, da er mit seinem Automobil einen Exekutivbeamten berührt haben soll. Diesen Vorwurf hat die Staatsanwaltschaft Linz mittlerweile fallen gelassen, das Verfahren ist eingestellt. Vor Richterin Petschniker sitzt nun allerdings der damalige Beifahrer, dem die Anklagebehörde falsche Beweisaussage zur Last legt.

Der 64-jährige Angeklagte hatte bei der Polizei in Wien eine Stellungnahme zur Causa abgegeben, wonach er damals keine Bewegung des Porsche Cayenne wahrgenommen habe, erst recht kein absichtliches Touchieren eines Uniformierten. Sein Verteidiger Manfred Ainedter baut in sein Plädoyer quasi ein erkenntnistheoretisches Privatissimum ein: "Die Wirklichkeit und die Wahrheit sind zwei unterschiedliche Dinge!", hält er fest. Das eine seien objektive Umstände, das andere die subjektive Interpretation von Wahrnehmungen.

Ein Vorfall, viele Wahrheiten

Wie sich im Laufe des Verfahrens herausstellt, gibt es in dem Fall sogar viele Wahrheiten. Von "Das Auto hat sich gar nicht bewegt" bis hin zu "Das Auto ist zweimal Richtung Polizisten gefahren und ein drittes Mal vorgesprungen" reichen die Schilderungen, von "Niemand hat das Auto berührt" bis "Zweimal wurde von Polizisten auf die Motorhaube geklopft".

Vor Richterin Petschniker bleibt der Angeklagte dabei: Er sei nicht schuldig. Er habe mit dem Porschefahrer das Fußballspiel LASK gegen Rapid Wien besucht, nach Abpfiff wollte man sich zurück in den Osten Österreichs begeben. "Der Hans wollte rechts abbiegen, da hat ein Polizist von der anderen Straßenseite gerufen, dass er das nicht dürfe." Es entstand eine Diskussion um den Hintergrund des temporären Fahrverbots, das mit der Abfahrt von Rapid-Fan-Bussen erklärt wurde, die unbedingt im Konvoi fahren sollten. Lenker K. habe diese Argumentation nicht verstanden – einer der Busse stand rund 100 Meter entfernt, vom nächsten war nichts zu sehen.

"Ich war perplex, ich war schockiert"

Der Amtshandelnde sei immer aggressiver geworden, behauptet der Angeklagte. "Ich habe nach links geschaut und mich auf ihn konzentriert. Plötzlich waren drei oder vier Beamte da, von denen einer auf die Motorhaube schlug", sagt der Unbescholtene. "Ich war ja perplex, ich war schockiert, als plötzlich eine Horde Polizisten da war", erklärt er, warum er etwaige Bewegungen des Fahrzeuges nicht wahrnehmen habe können.

Zweimal seien Führerschein und Zulassungspapiere verlangt worden, und als Johann K. diese schließlich übergeben habe, sei plötzlich die Festnahme ausgesprochen worden. Johann K. musste nach dem Aussteigen "wie ein Schwerverbrecher" die Hände auf das Autodach legen und wurde perlustriert, erinnert sich der Angeklagte an diese auch auf einem Handyvideo festgehaltene Szene. "Ich habe noch gesagt, dass man das auch anders hätte lösen können."

"I foar jetzt ham. Schleich di!"

Jener Polizist der Bereitschaftseinheit Oberösterreich, der unter anderem für die friktionsfreie Abreise der Wiener Gäste in den Fan-Bussen sorgen sollte, hat die Szene völlig anders in Erinnerung. Ein schwarzes Kfz wollte vom VIP-Bereich in die gesperrte Straße abbiegen, schildert der Beamte. Er habe den Lenker durch Rufen und Handzeichen zum Stoppen aufgefordert und sich dem Fahrzeug von vorne genähert. "I bleib sicha ned stehn. I foar jetzt ham. Schleich di!", habe der Fahrer die Aufforderung durch das offene Autofenster quittiert.

Dann sei der Porsche weiter auf ihn zugefahren. "Es hat eine Berührung mit dem Pfefferspray an meinem Oberschenkel gegeben", erzählt der Beamte, daher habe er auf die Motorhaube geschlagen. "Der Fahrzeuglenker ist ausgezuckt, auch der Beifahrer war sehr aggressiv", behauptet dieser Zeuge. Das Auto rollte nochmals los, stoppte schließlich endgültig. Erst nachdem er dreimal die Festnahme ausgesprochen habe, sei Johann K. ausgestiegen. "Herr K. ist es offensichtlich nicht gewohnt, dass er polizeilichen Anweisungen Folge leisten muss", erklärt sich der Polizist das Verhalten des Lenkers.

Polizeiunbekannter Prominenter

Er habe auch erst nach Überprüfung des Führerscheins erfahren, dass es sich bei K. um einen prominenten ehemaligen Fußballer handelt, davor habe er ihn nicht erkannt, behauptet er. Verteidiger Ainedter mag das nicht recht glauben, der Polizist bleibt dabei: "Mich interessiert Fußball nicht und Fußballer schon gar nicht." Die Relevanz der Prominenz des Festgenommenen sei ihm erst später bewusst geworden. "Er hat mir angekündigt, dass er die Kommandanten von Wega und Cobra kennt", erinnert sich der jüngere Beamte noch und stellt auch in den Raum, dass er sich vor seinen Vorgesetzten rechtfertigen habe müssen. Die anderen beteiligten Polizisten haben wie weiter oben dargelegt manches gesehen, anderes nicht, ein einheitliches Bild ergibt sich nicht.

Schließlich tritt Johann K. selbst auf. Er erinnert sich, dass der Polizist, mit dem er durch das Autofenster kommunizierte, "extrem aggressiv und nervös" gewesen sei. Er sei auf der Bremse seines Autos mit Automatikgetriebe gestanden, da er ja eigentlich heimwollte und trotz freier Straße nicht fahren durfte. Als die Papiere verlangt wurden, habe er von "Drive" auf "Park" umgestellt. Nachdem er seine Ausweise übergeben habe, habe der Beamte plötzlich gesagt: "Steigen Sie aus, Sie sind festgenommen!", erzählt K. weiter. "Für mich ist eine Welt zusammengebrochen", beteuert er gegenüber Richterin Petschniker. "Ich bin 69 Jahre alt, und ich war noch NIEMALS frech oder respektlos zu einem Polizisten!", verwehrt der Zeuge sich vehement gegen die Darstellungen der Beamten.

Zwei anständige Kriminalbeamte

Die Richterin mag nicht so ganz an einen trockenen Austausch von Rechtsansichten über die Zulässigkeit polizeilicher Anweisungen glauben und sagt das Johann K. auch. "Sachlich war es sicher nicht", gibt der zu. "Aber hitzig war ich sicher auch nicht. Aufgeregt schon." Das sei aber primär an der Aggressivität des einen Beamten gelegen, der ihn "wie einen Schwerverbrecher behandelt" habe. "Ich konnte eine Woche nicht schlafen!" Erst bei der Aufnahme der Anzeige durch zwei Kriminalbeamte in einem Container hätten diese Männer ihn beruhigt. "Die waren so was von anständig und haben nach 15 Minuten die Festnahme wieder aufgehoben", erinnert K. sich daran, dass er sich bei diesen beiden für ihr Verhalten bedankt habe.

Zu diesem Zeitpunkt stehen also Aussagen gegen Aussagen, der nächste Zeuge lässt Justitias Waagschale sich dann aber eindeutig auf eine Seite neigen. Der ältere Herr, der von der informationstechnologisch begabten Richterin via Videotelefonat einvernommen wird, ist nämlich relativ unverdächtig – war er damals doch mit einem Bekannten wie so oft als LASK-Anhänger beim Spiel.

"Der Herr Inspektor war auf 3.000"

Ihm fiel auf dem Weg zum Auto noch "der Rapid-Mob", wie er sagt, in seinem Bus auf. Dann kam er zu dem schwarzen Porsche. Im Gegensatz zu allen Polizisten erkannte er Autolenker Johann K. sofort. Der sei zunächst recht ruhig gewesen. Der Polizist, der die Abfahrt verhinderte, dagegen nicht. "Der Herr Inspektor war auf 3.000", schildert dieser Zeuge an einer Stelle, an anderer verdeutlicht er: "Er war in nervlich, psychologisch fürch-ter-lich-em Zustand."

Er habe eine "minimale Bewegung" des Fahrzeuges wahrgenommen, als K. auf "Park" schaltete, das kenne er aber von seinem eigenen Auto, exkulpiert der Zeuge die nationale Ikone. Er habe noch versucht, die Situation zu entschärfen, indem er zu K. sagte: "Bleiben S' ruhig, des is hoid in Linz so." – "Na, des is nur in Linz so!", lautete K.s Antwort. Warum plötzlich eine Festnahme ausgesprochen wurde, kann der Zeuge sich überhaupt nicht erklären, für ihn sei das "eine Wahnsinnsaktion" gewesen. K. hätte die Örtlichkeit zweifelsohne verlassen können, ohne einen Bus zu behindern, ist er überzeugt.

Ein zweiter unbeteiligter Zeuge bestätigt diese Version. Er habe zu dem angeblichen angefahrenen Polizisten sogar gesagt: "Sie sollen deeskalierend wirken und nicht eskalieren", da die Stimmung so aufgeheizt gewesen sei. "Ich hätte es richtig gefunden, wenn der Polizist sich bei Herrn K. entschuldigt", ist diesem zweiten Zeugen noch wichtig zu ergänzen.

Niemand hörte Piepsgeräusche

Während die Staatsanwältin die Anklage aufrechterhält, widerspricht Ainedter "vehementest" und fordert einen Freispruch. Er verweist auch auf einen wichtigen Kontrollbeweis, den Richterin Petschniker immer wieder abgefragt hat: Kein einziger Zeuge hat irgendwann das Piepsen des Abstandswarngeräts gehört – das aber ertönen würde, wenn sich der Porsche mit höherer Geschwindigkeit einem Hindernis wie einem Polizistenbein genähert hätte. Es sei daher absolut glaubwürdig, dass dem angeklagten Beifahrer keine Bewegung aufgefallen sei und er daher nicht gelogen habe.

Petschniker pflichtet dem bei und spricht den 64-Jährigen daher nicht rechtskräftig frei. "Zwei verschiedene Gruppen haben das ganz unterschiedlich wahrgenommen", sagt sie zu der Situation – und sie glaube sogar beiden. Es sei durchaus möglich gewesen, dass es "minimale Bewegungen" des Fahrzeugs gegeben habe, die die Polizisten als Bedrohung auffassten, die einem Beifahrer, der sich auf anderes konzentriert, aber nicht einmal auffallen. "Ich glaube Ihnen, dass Sie das nicht wahrgenommen haben", begründet die Richterin ihre Entscheidung. (Michael Möseneder, 30.1.2023)