"Tchia" wurde von Neukaledonien inspiriert, spielt aber dennoch in einer Fantasiewelt.

Foto: Awaceb

Waren Sie schon einmal in Neukaledonien? Sind Sie mit der dortigen Flora und Fauna vertraut? Kennen Sie die Sitten und Bräuche des Landes? Nein? Wie bitte, Sie wissen noch nicht mal, wo Neukaledonien liegt? Keine Sorge – denn genau deshalb entwickelt das Indie-Studio Awaceb derzeit das Spiel "Tchia". Zwei der Co-Gründer des Studios stammen nämlich von der Inselgruppe im Südpazifik und nehmen ihre Heimat als Inspiration für ein Open-World-Adventure, das sich durch ebenjene Vorlage klar vom Einheitsbrei der Konkurrenz abhebt.

Aktuell befindet sich das Game noch in der Entwicklung, erscheinen soll es laut einem aktuellen Blogbeitrag im Frühjahr 2023. Der STANDARD konnte einen Teil des Abenteuers bereits auf dem PC spielen und Antworten der Entwickler zu den wichtigsten Fragen einholen.

Andere Welt

Betont wird, dass man sich für "Tchia" zwar von Neukaledonien inspirieren ließ, die eigentliche Welt des Spiels aber fiktiv ist. Zu diesem Zweck ist das Team auch in den Pazifik gereist und hat die dortige Atmosphäre aufgesogen. Dies zeigt sich anhand der entsprechenden Landschaften, die von Südseestränden über dichte Dschungel bis zu hohen Bergen reichen. Die Tageszeit wandelt sich, mal sind wir in der Dämmerung, mal in der Dunkelheit und mal bei gleißendem Sonnenlicht unterwegs.

Und auch in Bezug auf die Darstellungen menschlicher Siedlungen sowie der Sitten und Bräuche unterscheidet sich "Tchia" stark vom Fantasy-Einheitsbrei, den man von anderen Open-World-Spielen kennt. So gibt es Snackbuden, in denen man sich mit lokalen Speisen eindecken kann, und Bootsanlegestellen, in denen das eigene Segelboot auf den individuellen Geschmack abgestimmt wird.

Eine Sandkiste voller Möglichkeiten

Die neue Welt schafft entsprechend die Basis für Spielereien, im Grunde gestaltet sich "Tchia" derzeit wie eine riesige Sandkiste, in der herumgetollt werden kann.
So lässt sich das Aussehen der Protagonistin – von traditionell bis modern – ebenso wie jenes ihres Segelboots anpassen.

Das Aussehen des Segelboots lässt sich ebenso wie jenes der Protagonistin anpassen.
Foto: Screenshot

Und das Steuern des Bootes erfolgt nicht, wie in anderen Spielen, einfach über die Cursortasten: Stattdessen wollen Anker, Ruder und Segel abwechselnd bedient werden, um an der Küste entlang oder durch enge Flüsse zu manövrieren. Das erfordert etwas Übung, macht dann aber richtig Spaß.

An anderer Stelle klettert die Protagonistin durch dunkle Höhlen, taucht durch überflutete Gänge oder nutzt einen Paraglider, um von hohen Bergen hinabzusegeln – "Zelda: Breath of the Wild" lässt freundlich grüßen. Außerdem verfügt sie über eine Ukulele, mit der sie nicht nur auf Volksfesten zu neukaledonischer Musik spielen, sondern beim Anschlagen der richtigen Akkorde auch "zaubern" kann, also etwa die Tageszeit und das Wetter ändern oder Pflanzen und Tiere beschwören.

Mit der Ukulele kann die Heldin jammen und zaubern.
Foto: Screenshot

Ebenfalls integriert ist das Konzept des "Soul Jump", bei dem die Heldin sich in Tiere und Objekte der fremden Welt verwandeln kann, um deren Fähigkeiten zu nutzen. Oder aber man streichelt die Tiere einfach, die einem am Strand oder im Dschungel begegnen.

Elden Ring im Sonnenschein

In Summe gibt es also viel zu tun und zu entdecken – selbst schon in dem Preview, das bloß ein Drittel der im finalen Spiel verfügbaren Karte ausmacht. Zusätzlich gibt es freilich eine Hauptstory, der es zu folgen gilt, und in dem uns verfügbaren Spieleausschnitt widmeten wir uns einer Schatzsuche, die ein wenig an eine Schnitzeljagd erinnerte.

Bei dieser Schatzsuche geht es darum, Truhen zu öffnen und die darin befindlichen Gegenstände und Hinweise zu sammeln, indem diverse Rätsel gelöst werden – und vor allem, indem die entsprechenden Orte gefunden werden.

Auch der Fotomodus hat in "Tchia" einen ganz eigenen Charme.
Foto: Screenshot

Denn auch wenn das Spiel insgesamt äußerst verträumt gestaltet ist und mit seiner kindlichen Grafik eine verspielte Stimmung verbreitet, erinnert es in einem Aspekt auch an das Erfolgsspiel "Elden Ring" von Anfang 2022: Auch bei "Tchia" bekommt man keine Wegpunkte vorgekaut, an denen man sich orientieren muss, sondern kann und muss alles auf eigene Faust entdecken.

Das äußerst sich vor allem darin, dass die Heldin lediglich mit einer Karte und einem Kompass ausgestattet ist und auf der Karte nie ersichtlich ist, wo sie sich genau befindet – sie sagt lediglich beim Aufrufen der Map, dass sie "irgendwo hier, in der Nähe von XY" sei und kreist daraufhin ein größeres Gebiet ein. Im kurzen Testzeitraum war das erfrischend neu, weil es mich zwang, mich an einprägsamen Landmarks zu orientieren und somit der Topographie mehr Aufmerksamkeit zu schenken – die Frage ist aber, ob sich dieser Effekt nicht irgendwann abnutzt und die Orientierungslosigkeit im Lauf des fertigen Spiels eher nervt.

Offene technische Fragen

Ein paar technische Bugs sind allerdings noch aufgefallen, die sich im fertigen Spiel nicht finden sollten – von Figuren, die mehr über die Landschaft gleiten als zu gehen bis zu Haifischen, die an Felsen festzukleben scheinen.

Aber das sind Kleinigkeiten, die wohl noch behoben werden. In Summe wirkt "Tchia" schon jetzt wie eine Südsee-Sandkiste voller guter Laune, in der man sich stundenlang verlieren kann. Ein Stück Eskapismus also, wie man es gerade in eher tristen Zeiten gut gebrauchen kann.

Interview mit dem Game Director

Der STANDARD hat Phil Crifo, Mitbegründer von Awaceb und Game Director bei "Tchia", zu den wichtigsten Punkten im kommenden Spiel befragt.

STANDARD: Sie betonen, dass Sie aus Neukaledonien stammen und dass Sie dadurch zu diesem Spiel inspiriert wurden. Was genau sind die einzigartigen Punkte, die Sie darin sehen?

Crifo: Vom Standpunkt des Weltenbaus bietet Neukaledonien eine sehr reiche und einzigartige Inspirationsquelle, seien es Landschaften, Flora, Fauna, Traditionen, Sprachen, Musik ... Ich denke, der auffälligste Aspekt dieses kulturellen Einflusses ist die Tatsache, dass man zu Beginn des Spiels alle Dialoge in den lokalen Sprachen – Drehu und Französisch – hört. Das vermittelt das Gefühl, dass man sich auf ein neues Abenteuer einlässt, auf eine Welt, die frisch und originell ist.

Was die Landschaften angeht, so wollten wir zwar keine 1:1-Nachbildung von Neukaledonien machen, aber wir haben viele ikonische Wahrzeichen eingebaut, und ich denke, das schafft eine Ebene der Authentizität und trägt dazu bei, die Welt des Spiels in der Realität zu verankern und sie glaubwürdig zu machen. Wir haben zwar einige fantastische Elemente, aber alles ist in einem realen, greifbaren Ort und seiner Kultur verwurzelt.

Die Originallandschaft ...
Foto: Awaceb
... und die Umsetzung im Spiel.
Foto: Awaceb

STANDARD: Wie läuft die Produktion des Spiels ab? Wie viel Zeit haben Sie in Neukaledonien verbracht, und was haben Sie dort gemacht?

Crifo: Awaceb hat jetzt seinen Sitz in Montreal, auch wenn wir den Großteil der Entwicklung in Bordeaux, Frankreich, verbracht haben. Wir sind während der Entwicklung des Spiels zweimal zurückgekehrt, das erste Mal für ein paar Monate im Jahr 2019, direkt vor dem Covid-Ausbruch, als wir alle Schauspieler gecastet und alle Dialoge und Songs für das Spiel aufgenommen haben.

Jeder Charakter wurde von lokalen Talenten eingesprochen, was eine große Herausforderung war, da es in Neukaledonien nur sehr wenige professionelle Schauspieler gibt. Wir haben also Leute ohne schauspielerische Erfahrung gecastet und uns von allen Seiten helfen lassen, von der Familie über Freunde bis hin zu Freunden von Freunden usw. Es war ein echtes menschliches Abenteuer, die richtigen Leute für jede unserer Figuren zu finden und sie manchmal zum ersten Mal in ihrem Leben vor ein Mikrofon zu stellen.

Im Jahr 2022 kehrten wir zurück, diesmal mit dem gesamten Entwicklungsteam im Gepäck. Es war eine großartige Gelegenheit für alle, die Einheimischen zu treffen, die an dem Spiel mitgearbeitet haben – die Schauspieler, Musiker und Techniker –, und die Insel zu erkunden, um die Sehenswürdigkeiten, die wir nachgebaut haben, und die Kultur, die das Herzstück von "Tchia" ist, aus erster Hand zu sehen.

STANDARD: Sie verwenden Aspekte der neukaledonischen Kultur, lassen das Spiel aber dennoch in einer fiktiven Welt spielen. Warum?

Crifo: Wir wollten eine Geschichte erzählen und ein Erlebnis schaffen, das universell ist und das jeder verstehen und genießen kann, unabhängig davon, ob er mit Neukaledonien vertraut ist oder nicht. Das ist zum Teil der Grund, warum "Tchia" in unserer fantastischen Version von Neukaledonien spielt, in der die Namen der Orte, Sehenswürdigkeiten und Charaktere zwar fiktiv sind, aber ihre realen Inspirationen dennoch durchscheinen. Wir wollten nicht nur Einheimische ansprechen, aber wir wollten auch keine Werbung für den Tourismus machen. Es war ein schmaler Grat, aber ich bin sehr zufrieden mit dem Ergebnis. Ich glaube, wir haben es geschafft.

STANDARD: Musik ist ein wesentlicher Bestandteil des Spiels. Sind die Songs echte neukaledonische Lieder?

Crifo: Wir haben eine Handvoll bekannter neukaledonischer Lieder in das Spiel integriert. Der Rest des Soundtracks ist Originalmusik und wurde in den USA von John Robert Matz komponiert. Nach seinem ersten Durchlauf (orchestrale, traditionelle Partitur) haben wir die Stücke an Chöre und Musiker in Neukaledonien geschickt, die sie neu interpretieren und mit lokalen Klängen und Empfindungen versehen konnten. So entstand ein einzigartiger Sound, der teils orchestral mit den bekannten Melodien und teils traditionell mit viel Seele und lokalen Einflüssen ist.

STANDARD: Basiert die Flora und Fauna des Spiels auf realen Pflanzen und Tieren?

Crifo: Abgesehen von einigen fantastischen Kreaturen und Pflanzen, bei denen wir uns künstlerische Freiheiten genommen haben, sind fast alle Tier- und Naturaspekte im Spiel tatsächlich von der lokalen Flora und Fauna inspiriert. Dazu gehören endemische Pflanzen und Tiere wie der Kagou, ein ikonischer flugunfähiger Vogel, und die Tricot Rayé, eine wunderschöne Seeschlange, die nur in Neukaledonien lebt.

STANDARD: In Bezug auf das Gameplay ist mir ein gewisser "Elden Ring"-Vibe aufgefallen: Sie weisen den Leuten nicht den Weg zu einem bestimmten Ort, sondern lassen sie die offene Welt auf eigene Faust erkunden. Können Sie mehr über diese Entscheidung sagen?

Crifo: Um ein großartiges Gefühl des Erforschens und Entdeckens zu erreichen, haben wir versucht, den goldenen Mittelweg zu finden zwischen der Führung des Spielers zu interessanten Punkten und dem Entdecken der Welt auf eigene Faust. Ich denke, wir haben in "Tchia" ein gutes Gleichgewicht gefunden: Es gibt zwar Zielmarkierungen, aber sie sind nicht direkt sichtbar, es sei denn, man möchte sie sehen.

Tchias ("Tchia" ist auch der Name der Protagonistin, Anm.) Standort nicht auf der Karte zu zeigen war auch eine gewagte Entscheidung, die meiner Meinung nach gut funktioniert, weil die Orientierungspunkte im Spiel so gut zu erkennen sind und die verschiedenen Biome so abwechslungsreich sind, dass man sich allein durch das Betrachten der Umgebung zurechtfinden kann.

Die Möglichkeit, Tchia zu bitten, ihren allgemeinen Standort auf der Karte einzugrenzen, hilft ebenfalls dabei, den Weg zu finden, ohne dass der Spaß an der Erkundung verlorengeht und man sich ein wenig verirrt. "Tchia" ist ein Spiel, das den Spieler auffordert, ihm zu vertrauen und zu akzeptieren, dass man nicht genau weiß, wohin die nächsten Schritte führen werden.

STANDARD: Glauben Sie nicht, dass das die Gamer früher oder später nerven wird?

Crifo: Ich hoffe nicht, und ehrlich gesagt glaube ich das auch nicht. Erkundung macht keinen Spaß ohne das Risiko, sich zu verirren oder über etwas zu stolpern, das man nicht erwartet hat. Es geht um Ausgewogenheit.

Unsere Spielwelt ist nicht so groß, dass sie einschüchternd und beängstigend wirkt, man kann alles am Horizont sehen, und die Orientierungspunkte sind gut erkennbar. Ich denke, das macht die Erkundung des Archipels viel lohnender und immersiver, man schaut nicht auf die Benutzeroberfläche oder auf Wegpunkte, sondern nimmt die Landmarks und die Landschaft wahr und bahnt sich seinen Weg organisch. So haben wir das Spiel gestaltet, und ich glaube, dass es ein fesselndes Erkundungserlebnis bietet.

STANDARD: Ich habe festgestellt, dass es immer noch einige Bugs gibt, vor allem bei der Bewegung von NPCs und Tieren. Werden sie behoben werden?

Crifo: Ja! Wir arbeiten immer noch hart an dem Spiel, polieren es und bügeln so viele Fehler wie möglich vor der Veröffentlichung aus. Die Entwicklung eines solchen Sandbox-Spiels mit offenem Ende bringt seine Herausforderungen mit sich, aber wir sind zuversichtlich, dass wir zum Start ein sauberes Erlebnis haben werden.

STANDARD: Glauben Sie, dass das Spiel die Menschen dazu anregen sollte, in Ihr Heimatland zu reisen?

Crifo: Das wäre unglaublich. Wenn "Tchia" ein gewisses Interesse wecken kann und die Menschen dazu bringt, Neukaledonien zu besuchen und seinen Reichtum zu entdecken, dann wäre das großartig. Aber wie ich schon sagte, war das nicht unser Ziel bei der Entwicklung dieses Spiels. Ich hoffe, dass das bloße Spielen des Games und das Eintauchen in die Welt eine ähnliche Art von Eskapismus bietet. Ich bin einfach nur sehr dankbar dafür, dass ich einem weltweiten Publikum die neukaledonische Kultur näherbringen und zeigen kann. (Stefan Mey, 31.1.2023)

Hinweis im Sinne der redaktionellen Leitlinien: Ein Vorabzugang zu einer unfertigen Version des Spiels wurde dem STANDARD zu Testzwecken zur Verfügung gestellt.