In Italien werden Erinnerungen an die "anni di piombo" wach – an die "bleiernen" 1970er-Jahre: Am vergangenen Samstag, mitten in der Nacht, explodierte im römischen Viertel Prenestino ein Molotowcocktail auf dem Parkplatz einer Polizeiwache. Zwar konnte das Feuer sofort wieder gelöscht werden und es kamen weder Personen noch Polizeiautos zu Schaden – doch die Botschaft war klar, nachdem es nur wenige Stunden zuvor im Stadtteil Trastevere zu gewalttätigen Ausschreitungen gekommen war, als dutzende linksextreme Aktivisten die Freilassung des zu lebenslanger Haft verurteilten Anarchisten Alfredo Cospito forderten. Es kam zu zahlreichen Festnahmen.

Schon seit Monaten wird unter anderem in Rom für Alfredo Cospito demonstriert (Archivfoto November 2022).
Foto: IMAGO/Matteo Nardone

Der heute 55-jährige Cospito verbüßt seit über zehn Jahren im Bancali-Gefängnis auf Sardinien eine lebenslange Haftstrafe unter verschärften Haftbedingungen. Der Grund: Der Anarchist hatte im Jahr 2012 den italienischen Energieunternehmer Roberto Adinolfi überfallen, dem dabei – nach Manier der Roten Brigaden (Brigate Rosse, BR) – als ultimative Drohung bzw. Warnung gezielt in die Beine geschossen wurde. Ein prominentes Opfer dieser "gambizzazione" (gamba ist das italienische Wort für Bein) war 1977 der berühmte Journalist Indro Montanelli gewesen, dem die BR vorwarfen, im Dienst der faschistischen Rechten zu stehen.

Als sich der in den Untergrund abgetauchte Cospito Monate später gemeinsam mit einem Komplizen darauf vorbereitete, Italien zu verlassen, wurde er festgenommen. Bereits in Haft, wurde ihm in einem weiteren Verfahren seine Verantwortung für einen – rechtzeitig vereitelten – Bombenanschlag auf eine Polizeischule im Jahr 2006 nachgewiesen. Das Ergebnis: lebenslange Haft unter den Bedingungen des "Artikels 41bis" des italienischen Strafvollzugsgesetzes – das härteste Gefängnisregime, das es in Italien gibt, kam bisher nur für die Bestrafung von schweren Mafia-Verbrechen oder Terroranschlägen zur Anwendung. Und eben für Cospito.

Strenge Isolation

Der Artikel 41bis sieht strenge Einzelhaft und die strikte Isolation von anderen Gefangenen vor, ohne Zugang zu den Gemeinschaftsräumen in der Haftanstalt; außerdem aufgehobenen oder extrem eingeschränkten – natürlich völlig isolierten – Hofgang; zudem 24-stündige Dauerüberwachung und aufgehobene oder extrem eingeschränkte Kommunikation mit Angehörigen. Mitunter kann dieser Kontakt auf ein einziges Telefonat pro Monat mit einer maximalen Dauer von zehn Minuten beschränkt werden. Ein- und ausgehende Post wird rigoros zensuriert. Und vieles mehr.

Schon seit Jahren protestiert Cospito gegen diese Haftbedingungen – und er findet immer wieder in linken intellektuellen Kreisen Unterstützer für eine Lockerung des "carcere duro" –des harten Gefängnisses.

Monatelanger Hungerstreik

Seit über 100 Tagen befindet sich Cospito nun im Hungerstreik, er soll bereits über 35 Kilogramm verloren haben, seine Gesundheit gilt manchen italienischen Medienberichten zufolge als sehr geschwächt. Erst vor wenigen Tagen sei der entkräftete Häftling gestürzt, habe sich dabei das Nasenbein gebrochen und schwere Blutergüsse erlitten. Anschuldigungen, dass dies alles Resultat von Gewalt durch Gefängnispersonal sei, wurden freilich dementiert.

In Cospitos Anhängerschaft – nicht nur in Italien, sondern in etlichen europäischen Ländern – macht sich indes die Meinung breit, dass diese Zustände nicht mehr haltbar seien. Es kam seit dem Herbst immer wieder zu kleineren oder größeren Protestaktionen – und eben Ende vergangener Woche in Rom zu Zusammenstößen mit der Polizei.

Aktionen in Berlin und Barcelona

Doch damit nicht genug: Mehrere anarchistische Aktionen in ganz Europa werden mit der Causa Cospito in Verbindung gebracht: Am vergangenen Freitag zündeten Unbekannte in Berlin das Auto eines Mitarbeiters der italienischen Botschaft an – das wurde vom Außenamt in Rom ebenso wie von der Polizei in Berlin-Schöneberg bestätigt. Verletzt wurde demnach niemand.

Fast gleichzeitig wurden in der spanischen Metropole Barcelona beim italienischen Generalkonsulat Fensterscheiben eingeschlagen und eine Wand im Eingangsbereich verunstaltet. Die Schmierereien würden Hinweise auf anarchistische Kreise geben, hieß es.

Cospito ist im italienischen Justizsystem ein alter Bekannter. Schon seit seiner Jugend lehnt der 1967 in Pescara geborene Anführer der Gruppe "Federazione anarchica informale – Fronte rivoluzionario" jede Form von Macht ab und vertritt die Meinung, dass Staat und Kapitalismus zu bekämpfen seien – mit Gewalt. Auf das Konto seiner Gruppe "Fai-Fri" gehen Medienberichten zufolge rund 50 Anschläge.

Spätestens seit seiner Verurteilung zu lebenslanger Haft ist Cospito zum Symbol und Vorbild für viele Aktivisten dieser Weltanschauung geworden. Solange er noch nicht unter den Bedingungen des Artikels 41bis in Haft saß, machte er auch weiter Propaganda für seine Sache und rief wiederholt zu "Aktionen" auf. Das war für die italienische Justiz wohl mit ein Grund dafür, ihn von der Außenwelt zu isolieren.

Hoffen auf Berufungsurteil

Cospitos Protest gegen die Haftbedingungen nach Artikel 41bis beschränken sich nicht nur auf seinen Hungerstreik und die offenbar orchestrierten Aktionen seiner Anhängerschaft: Er hat auch formal Berufung eingelegt, das Verfahren ging Mitte Jänner über den Schreibtisch von Justizminister Carlo Nordio – und Anfang März befasst sich ein Berufungsgericht mit der Causa. Ob Cospito bis dahin seinen Hungerstreik aufrechterhalten kann oder wird, ist unklar. Immerhin erreichte er am Montag, dass er zur medizinischen Betreuung kurzerhand aus Sassari (Sardinien) in ein dafür geeigneteres Gefängnis in Mailand verlegt wird.

Zu einer eindeutigen Meinung zum Fall hat jedenfalls schon die rechte Ministerpräsidentin Giorgia Meloni gefunden: "Der Staat darf sich nicht von jenen einschüchtern lassen, die dessen Vertreter bedrohen." (Gianluca Wallisch, 31.1.2023)