Alfred Zmrzlik hat es sich gemütlich gemacht. Er sitzt, elegant in Anzug und Krawatte, in einem Kammerl im hintersten Eck der kleinen Parfümerie. Vor sich ein aufgeschlagenes altes Registerbuch des Unternehmens, daneben eine Tasse Kaffee. "Schauen Sie mal, hier ist genau aufgelistet, wer wann welche Creme gekauft hat. Ist das nicht hochinteressant?" Zmrzlik schaut fragend durch die Brille. Eine Mitarbeiterin schließt die verspiegelten Flügeltüren, mit einem Schlag ist Ruhe in dem Räumchen.

Helga Zmrzlik-Filz (li.) ist eine Nachfahrin des Firmengründers Anton Filz. Sie leitet das Unternehmen seit 1978. Hier steht sie mit ihrer Tochter Katrin Kresbach (Mi.) und Ehemann Alfred Zmrzlik hinter der Budel. Bis Ende März sind sie am Graben anzutreffen, danach schließt das Geschäft endgültig.
Christian Fischer

Vorne im Geschäft herrscht währenddessen Hochbetrieb. Der Laden im Generalihof ist schnell einmal voll. Die 214 Jahre alte Parfümerie J. B. Filz & Sohn heißt nicht umsonst "Duftg’wölb": Sie ist nicht mehr als ein schmaler Schlauch, ihr hölzernes Retro-Inventar erinnert an eine Apotheke. In den neunzig Jahre alten, deckenhohen Vitrinen sind Flakons und Cremes, von Acqua di Parma bis Chanel, untergebracht.

Hinter der Budel stehen Firmenchefin Helga Zmrzlik-Filz, Tochter Katrin Kresbach und eine Mitarbeiterin. Seit die 1809 gegründete Parfümerie ihrer Kundschaft in einem Abschiedsbrief angekündigt hat, dass das Geschäft Ende März zusperrt, wollen alle noch einmal vorbeikommen. "Unglaublich, dass Sie rausmüssen", den Satz hört man an diesem Morgen oft.

Es ist nicht so, dass das Geschäft der Familie Filz nicht mehr lief. Zum Problem wurde die Mietforderung des Hauseigentümers, die die Unternehmerfamilie vor rund drei Jahren erreichte. Dessen Vorstellungen? Nicht vergleichbar mit den Konditionen des 35 Jahre alten Mietvertrags. Die Mieter strengten ein Gerichtsverfahren an, letztlich einigte man sich wohl auf eine Ablöse.

Die Familie Filz hängt im Büro an der Wand
Christian Fischer

Alfred Zmrzlik, der in den 1960er-Jahren in die Familie Filz einheiratete und heute Anfang 80 ist, klingt trotz der nahenden Schließung nicht verbittert. Man gehe mit einem lachenden und einem weinenden Auge: Die Interessen des Eigentümers verstehe er durchaus. Und hat es Veränderungen am Graben nicht immer gegeben? Auch die Parfümerie Filz habe sich nicht immer an dieser Adresse befunden. Zweimal zog man um, zuletzt ist Wilhelm Filz 1874 von der Nordseite auf die Südseite des Grabens gewechselt.

Das Stadtbild wird austauschbar

Spurlos geht der Auszug an der Familie dennoch nicht vorbei. Katrin Kresbach, die Tochter, bedauert, dass "die Städte immer austauschbarer werden, wenn die Traditionsbetriebe verdrängt werden". Und auch Zmrzlik sagt: "Alle wollen einen Flagship-Store an einer guten Adresse. Irgendwann sieht der Graben dann aus wie der Stadtplatz in Ried im Innkreis."

Zmrzlik weiß, wovon er spricht. Er ist ein genauer Beobachter der Mieterwechsel und der Ausbreitung der globalen Konzerne am Graben. So wie der Parfümerie Filz ist es auch schon anderen ergangen – und wer weiß, wie lange sich die Verbliebenen noch halten. "Erinnern Sie sich an die Konditorei Lehmann? Die war da, wo jetzt der Luxushersteller Bally Schuhe verkauft. Mit einem 145 Quadratmeter großen Gassenlokal, einer geräumigen Küche im Keller und dahinter einer Backstube." Die Tochter des Unternehmens hätte das Geschäft weiterführen wollen, unmöglich angesichts einer Mietforderung von monatlich 45.000 Euro. "Mit Kaffee und Kuchen sind solche Beträge nicht zu erwirtschaften." 2008 war Schluss für die Konditorei.

Christian Fischer

Nun verabschiedet sich mit dem Geschäft J. B. Filz & Sohn nicht nur die älteste und wahrscheinlich auch kleinste Parfümerie Wiens, sondern auch eines der letzten inhabergeführten Traditionsunternehmen vom Graben. Sechs Vorfahren hängen im Bürozimmer gerahmt an der Wand: In der oberen Reihe natürlich Anton Filz: 1809 gründete er das Unternehmen, um selbstfabrizierte Cremes, Seifen und Duftwässer anzubieten. 1831 wurde ein "Echt Pariser Damen-Conservations-Wasser" zum Patent angemeldet, 1872 wurde die Firma k. u. k. Hofparfumeur. In Reihe zwei hängt Helga Zmrzlik-Filz’ Mutter Gertrude, sie begründete die Ära der weiblichen Führungskräfte im Haus.

Auch an diesem Vormittag fühlt man sich zwischen den Vitrinen in eine andere Zeit versetzt. Jede Kundin wird persönlich begrüßt, dafür muss die Journalistin auch mal warten. "Wir haben eine sorgfältig geführte Kundendatei mit etwa 4000 Kontakten", erklärt Zmrzlik. Gegen elektronische Kundenkarten hat man sich immer gewehrt, ein ausgeklügeltes System verrät, wer welchen Lippenstift gekauft hat. Wenn gewünscht, könne man darauf zurückgreifen.

Christian Fischer

Die wenigen Quadratmeter? Für die Parfümerie immer auch Herausforderung: Händler und Vertreter können sich hier nicht so breitmachen, wie sie das in großen Ladenlokalen gewohnt sind. Die Kundschaft aber kommt sowieso aus ganz anderen Gründen ins Duftg’wölb. Es mag hier kein Platz für zig Parfums, Tuben, Cremes und große Werbebanner wie bei Parfümerieketten sein, dafür werden Diskretion und Verbindlichkeit großgeschrieben. Die Atmosphäre werde vor allem von einer "reiferen Kundschaft" geschätzt, sagt Zmrzlik. Die 17-Jährigen? "Die kaufen ihren ersten Lippenstift eh bei Bipa." Aber wenn junge Menschen sich das erste Mal fragten, was ihre Haut brauche, seien sie herzlich willkommen, wenn auch nicht mehr lang.

Sisis Lavendelduft

Über die Jahre hinweg baute die Familie ihre Stammkundschaft auf, Männer machen rund ein Drittel der Kundschaft aus, rund 60 Prozent kommen aus Wien. Der Rest aus der gesamten Welt. Arabische Kundinnen und Kunden hätten in dem kleinen Laden schon Stunden zugebracht, erzählt Zmrzlik und setzt an zu einem feinen Grinsen: "Bevor diese Kundschaft zu Douglas geht, kann sie gleich in Katar im Duty-free-Bereich einkaufen."

Neben den hauseigenen Parfums aus dem 19. Jahrhundert, dem "Wiener Lieblingsduft", Sisis Favorit "Imperiales Veilchen", einem Lavendelduft, und zwei neu entwickelten Café-Düften, die es nur hier am Graben gibt, setzt man bei Filz auf die Nische. "Ich bemühe mich um Düfte, die es woanders nicht gibt. Wir sind klein und müssen uns behaupten", erklärt Karin Kresbach. Und: Moderne Düfte seien ihr Ding. Trotz der bevorstehenden Schließung hat die 54-Jährige das neueste Parfum des französischen Anbieters Headspace bestellt, für solche Besonderheiten hat sie ein großes Faible. Lange war auch ihre Schwester Angelika Liebhart Teil des Geschäfts, seit eineinhalb Jahren kümmert sich Kresbach mit ihrer Mutter um die Auswahl der Düfte und steht wie heute auch vorne im Geschäft hinter der Budel.

Was nun aus den hauseigenen Düften, dem Erbe der Familie wird? Alfred Zmrzlik lächelt vielsagend: "Im Ende keimt ewig der Anfang." Es gebe einige Ideen, mal schauen. (Anne Feldkamp, 31.1.2023)