Orhan Yildiz war ein überzeugender Graf – natürlich nicht nur wegen seines einschüchternden Oberkörpereinsatzes. Er verstand es an der Volksoper auch, gewinnend zu singen.

Foto: © Barbara Pálffy/Volksoper Wien

Das neue Klingelsignal in der Volksoper ist schmerzhaft laut – offenbar geht man davon aus, dass weite Teile des Publikums schwerhörig sind. Wäre dem so, wären ihnen die schönsten Momente von Mozarts Erotikkomödie Le nozze di Figaro allerdings entgangen. Denn Julian Rachlin ließ das Volksopernorchester am Sonntagnachmittag delikat musizieren – schon die eröffnende Sinfonia legte davon Zeugnis ab. Während die Holzbläser bei deren Presto-Hurtigkeit noch minimale Startschwierigkeiten hatten, berührten Oboe, Klarinette und Co im weiteren Verlauf mit poetischer Kantabilität und sinnlicher Dialogfreude.

Erfolgreiches Hausdebüt mit kurzen Wacklern

Die Koordination zwischen Orchester und Bühne klappte bis auf zwei kurze Wackler (Chor im ersten Akt, Duettino Susanna, Cherubino im zweiten Akt) fast immer: ein erfolgreiches Hausdebüt des geigenden Festivalintendanten (Herbstgold), der als Chef des Kristiansand Symphony Orchestra und des Jerusalem Symphony Orchestra hinkünftig viele Flugmeilen sammeln wird.

Im Rahmen zahlreicher Rollendebüts dominierte bei den Sopranen der kompakte Timbretyp: Kamila Dutkowska präsentierte ihn als Gräfin standesgemäß mit nobler Gemächlichkeit (und bekam in der praktikablen Inszenierung von Marco Arturo Marelli im zweiten Akt auch den stimmungsvollsten Auftritt). Lauren Urquhart bot als deren Kammermädchen Susanna quirlige Wendigkeit, Gemma Nha erfrischte als druckvolle Barbarina.

Kamila Dutkowska (Gräfin Almaviva), Wallis Giunta (Cherubino) und Lauren Urquhart (Susanna).
Foto: © Barbara Pálffy/Volksoper Wien

Zwiespältiger Eindruck

In seinem Reich der kaum je untergehenden Dur-Sonne hat Mozart der Gärtnerstochter mit der Cavatina L'ho perduta einen der wenigen wolkenverhangenen Moll-Momente gegönnt: stimmungsvoll hier auch die achttaktige Orchestereinleitung. In Zwischenbereich zwischen Mann und Frau, in der Hosenrolle des amorhaften Cherubino, hinterließ Wallis Giunta einen zwiespältigen Eindruck. So sehr sie mit Agilität erfreute: Ihrem Mezzo mangelte es nicht nur bei Voi, che sapete im oberen Register an Glanz.

Kraftvoll, aber etwas gerade und hölzern der Bartolo von Andreas Hörl; wie der trompetenhaft tönende Stephen Chaundy (als Basilio) verlebendigte der Deutsche die schablonenhafte Komik des Figurenpersonals der Commedia dell'arte aber vergnüglich. Ebenfalls unterhaltsam das schillernde Vibrato von Stammkraft Annely Peebo als Marcellina. Leider geriet der Start dieser Aufführungsserie just hinsichtlich der Besetzung der Titelpartie zu einer Enttäuschung.

Trotz Schwächen Jubel im Erotik-Hotspot Volksoper

Bei Evan Hughes' Interpretation des Dieners eines sexuell umtriebigen Herrn sprang kaum je der Funke über. Zudem fehlte es dem Bassbariton des US-Amerikaners bei seinem Hausdebüt an Fülle, Glanz, Kraft und Geschmeidigkeit.

Überzeugender trat da Orhan Yildiz auf, der den Grafen nicht nur mit vollem Oberkörpereinsatz zeigte, sondern auch gewinnend zu singen verstand. Trotz gewisser Schwächen, die den Gesamteindruck etwas trübten: Jubel im gut besuchten Erotik-Hotspot Volksoper. (Stefan Ender, 31.1.2023)