An der nordwestlichen Außenmauer der Gedenkstätte KZ Mauthausen beginnt die rund einstündige Wanderung auf den Spuren der Mühlviertler Menschenhatz.

Foto: Thomas Neuhold

Screenshot Gesamtroute.

Foto: Thomas Neuhold

Screenshot Route Teil West.

Foto: Thomas Neuhold

Screenshot Route Teil Ost.

Foto: Thomas Neuhold

Die Fluchtrouten der sowjetischen Soldaten führten vom KZ-Mauthausen nach Nordosten, wo die Geflohenen hofften, auf die Rote Armee zu treffen.

Foto: Bernhard Mühleder

Auch wenn die Zufahrtsstraßen fein asphaltiert sind, der Rasen gepflegt wird, die ehemaligen Baracken instand gesetzt wurden und in dem 2003 errichteten Besucherzentrum sogar ein kleines Kaffeehaus untergebracht ist, über dem Ort liegt bis heute der Schatten unvorstellbaren Grauens: Das Konzentrationslager Mauthausen war das größte KZ der Nationalsozialisten auf österreichischem Boden. Hier wurden über 100.000 Menschen ermordet: erschossen, erhängt, erschlagen, vergast.

Sabine Schatz, SPÖ-Nationalratsabgeordnete und eine von 30 ausgebildeten Mauthausen-Guides, wartet beim STANDARD-Lokalaugenschein an diesem grauen, verregneten Spätherbsttag bereits an der Busstation Memorial Mauthausen direkt vor dem Lagereingang. Im Zuge einer kleinen zeitgeschichtlichen Wanderung von der Gedenkstätte in den Nachbarort Ried in der Riedmark wollen wir den Spuren der Mühlviertler Menschenhatz folgen.

"Mühlviertler Hasenjagd"

In der Nacht von 1. auf 2. Februar 1945 wagten rund 500 sowjetische Gefangene – mehrheitlich Russen und Ukrainer – den Ausbruch aus dem KZ. Sie waren im Block 20, einem Todesblock, untergebracht. Als sogenannte "K-Häftlinge" war ihnen der Tod sicher. Das "K" stand für "Kugel", also für die Liquidation.

Dem Ausbruch folgte eine beispiellose Menschenhatz: in der zynisch-euphemistischen Diktion der Nationalsozialisten "Hasenjagd" genannt. Letztlich überlebten nur elf der Geflüchteten die Verfolgung durch die SS, Wehrmachtsangehörige, Hitlerjugend, Volkssturm und Zivilbevölkerung.

Spätestens nach dem Massenausbruch der sowjetischen Soldaten konnte die spätere Rechtfertigung vieler Österreicher und Österreicherinnen, von dem Grauen hinter den KZ-Mauern nichts mitbekommen zu haben, nicht mehr stimmen, sagt Walter Hofstätter von der antifaschistischen Gedenkinitiative "Perspektive Mauthausen" in einer 2021 veröffentlichten virtuellen Wanderung zum Thema.

Zivilisten werden zu Mördern

Wie sehr sich Zivilisten und Zivilistinnen am Morden beteiligt hatten, geht aus Zeitzeugeninterviews hervor, die der 1993 verstorbene oberösterreichische Widerstandskämpfer, Heimatforscher und Zeithistoriker Peter Kammerstätter zusammengetragen hatte.

Am Aschenfriedhof hinter dem ehemaligen KZ-Gelände.
Foto: Thomas Neuhold

In den Zeitzeugenberichten finden sich Beispiele ungeheurer Brutalität: So habe beispielsweise ein Malermeister aus Mauthausen einen Sowjetsoldaten mit einem Sauschlögel erschlagen. In einem unmittelbar nach der Befreiung im Mai 1945 verfassten Gendarmeriebericht ist von "Blutrausch und Massenhysterie" in Teilen der Bevölkerung die Rede. Auch habe der Gemischtwarenhändler aus Schwertberg eigenhändig sieben der Geflüchteten erschossen.

Beispiele der Menschlichkeit

Nur wenige hätten den Sowjets geholfen, steht weiter im Gendarmeriebericht: Die Familie Johann und Maria Langthaler aus Winden bei Schwertberg habe zwei Männer bis Kriegsende versteckt. Die beiden überlebten und erlebten die Befreiung. Die jüngste Tochter der Familie Langthaler, Anna Hackl, ist bis heute als Zeitzeugin aktiv. "Und es gab in Schwertberg die Familie Mascherbauer, und später wurde bekannt, dass zwei Frauen in Gallneukirchen unabhängig voneinander Häftlinge zumindest für kurze Zeit versteckt hatten", ergänzt Schatz.

Denkmal in Ried

Die Wanderung entlang der Fluchtroute führt vom ehemaligen KZ am sogenannten "Aschenfriedhof" vorbei über das Schloss Marbach nach Anzendorf und dann entlang des Rieder Baches nach Ried in der Riedmark.

Beim Schloss Marbach – Westseite.
Foto: Thomas Neuhold

Beim Schloss Marbach verweilen wir etwas länger: Hierher hätten sich einige der sowjetischen Soldaten geflüchtet, um sich auf dem Dachboden oder in der Heutenne zu verstecken, erzählt Sabine Schatz. Was sie nicht wissen konnten: Im Schloss seien SS-Männer mit ihren Familien untergebracht gewesen, die aus dem Lager Entkommenen seien ihren Mördern also direkt in die Arme gelaufen.

Das Ziel ist die Marktgemeinde Ried. Hierher wurden die Leichen der ermordeten Sowjets gebracht und im Hof der Schule gestapelt. Im Ortszentrum kommt man dann zu dem 2001 seiner Bestimmung übergebene Mahnmal für die Opfer der Menschenhatz.

Nationalratsabgeordnete Sabine Schatz (SPÖ) bei dem von ihr mitinitiierten Mahnmal für die ermordeten Kriegsgefangenen.
Foto: Thomas Neuhold

Auf einem unbehauenen Granitstein aus dem Steinbruch von Mauthausen sind 489 Striche eingraviert – für jeden Ermordeten einer, da ja nur elf der 500 Geflohenen überlebten. Das Denkmal geht auf eine Initiative von Sabine Schatz zurück. Sie stammt aus Ried und war 2001 Vorsitzende der Sozialistischen Jugend in ihrem Heimatort. (Thomas Neuhold, 2.2.2023)