The Human League überführten Synthie- in Popmusik.

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Die Aufforderung des Sängers klingt bis heute kryptisch: Man möge doch der Stimme des Buddhas lauschen. Doch die zuckenden Synthiesounds im Song Being Boiled besitzen nicht wirklich eine Schnittmenge zu so etwas wie Buddhismus – die Antwort auf die Frage, woher Tondokumente von Buddha überhaupt kommen sollten, bleibt der Song natürlich schuldig, aber das nur nebenbei. Der Text ist generell schwer zu deuten, ein Hoch auf die Freiheit der Kunst.

Dennoch verführt diese Kollision der Welten. Synthesizer, die in den 1970ern gerade eine Spur handlicher wurden, besaßen damals noch die Aura böser Maschinen. Sie galten als kalt, entmenschlicht, industriell – und wurden im Zeitalter der New Wave für genau so eine Ästhetik eingesetzt. Selbst der Gesang unterstrich das, er wirkt emotionslos und distanziert.

Stefano Vanzin

Die aus Sheffield stammende Band The Human League brachte den Mensch-Maschinen-Zwiespalt früh zum Ausdruck. 1977 gegründet, war sie eine der Ersten, die aus einem reinen Synthie-Setting Charts-taugliche Popmusik generierte, nur Typen wie die Krauts von Kraftwerk waren früher dran.

Umbruch im Pop

Die umfangreiche Box The Virgin Years blickt auf diese Zeit zurück und schielt ein wenig an der eigenen Geschichte vorbei. Denn das erwähnte Lied Being Boiled befindet sich nicht in der Kompilation, denn die ersten beiden Alben Reproduction (1979) und Travelogue (1980) blendet dieses fünf Platten umfassende Kompendium seltsamerweise aus. Dabei illustrieren genau die beiden den Umbruch im Pop dieser Ära.

Als im Schatten des Punk New Wave auftauchte und The Human League eine Coverversion einer Schnapswerbung als Song auf ein Album packten: Gordon’s Gin. Derlei Verwegenes hatte es zuvor nicht gegeben.

electrozaps

The Virgin Years beginnt mit dem 1981 erschienenen Album Dare. Das war ein Millionenseller in Europa und den USA und zugleich die Abkehr vom düsteren Frühwerk in Richtung Pop. Die Gründungsmitglieder Marty Ware und Ian Craig Marsh hatten davor bei Phil Oakey gekündigt und Heaven 17 gegründet. Das war ein artverwandtes Projekt nach dem Namen einer Band in Anthony Burgess’ Roman A Clockwork Orange.

The Human League unter der Alleinherrschaft des Phil Oakey brachten zur Zeit von Dare gleich fünf Singles in die Charts, und mit Don’t You Want Me gleich einen Megaseller. Das war selbst 1981 und 1982 noch ungewöhnlich für eine Instrumentierung, die aus Produkten der Häuser Casio, Linn, Korg, Yamaha und Roland bestand. Doch Oakey und sein Ohr für Glam und Motown brachte die Maschinen zum Swingen, die Hereinnahme der Sängerinnen Joanne Catherall und Susan Ann Sulley gaben dem Sound der Human League einen Human Touch.

TheHumanLeagueVEVO

Und noch bevor der Synthie zweimal piepte, wurde die dergestalt ausgerichtete Band den New Romantics einverleibt. Zu diesem Trend zählten so verschiedene Acts wie Duran Duran, das Spandau Ballet oder Talk Talk. Alle schrieben sich verzehrende Songs, in denen, im Fall der Human League, die Synthesizer wie trennende Eismeere fungierten. Ewige Hindernisse zwischen zwei blutenden Herzen.

Avantgarde bis Mainstream

Damit eroberten The Human League die Welt, hatten anschließend Schwierigkeiten, ihre Erfolge zu wiederholen – was am Ende doch gelang und die Avantgarde in den Mainstream überführte. Die Ästhetik der bis heute aktiven Gruppe erwies sich als wegweisend, Bands wie Depeche Mode brachten den Sound in die Stadien der Welt.

Im Licht aktueller Diskussionen über die Einflussnahme von künstlicher Intelligenz in der Musik erinnert diese Box daran, dass es immer schon Vorbehalte gegen technologischen Fortschritt gab. Letztlich kommt es auf den menschlichen Input an. The Human League zeigen bis heute vor, dass sich dieser Balanceakt ausgeht. (Karl Fluch, 31.1.2023)