Das Abwasser der Parfumproduktion im 19. Jahrhundert beduftete das Wasser in diesem Brunnen, was dem Anwesen den Namen "Les Fontaines Parfumées" einbrachte.

Foto: Louis Vuitton

In den Ausläufern der Alpen, mit Blick auf das Mittelmeer, liegt das pittoreske Städtchen Grasse.

Foto: Louis Vuitton

Die Traditionsparfümerie Fragonard ist in Grasse omnipräsent.


Foto: Fragonard Parfumeur

Touristen und Touristinnen können auch das internationale Parfum-Museum besuchen.

Foto: CAPG

Die Fontaines Parfumées öffnen sich nur für geladene Gäste.

Foto: Louis Vuitton

Dieser Arbeitsplatz lässt wohl so manche berufstätige Person erblassen.

Foto: Louis Vuitton

Im renovierten Anwesen aus dem 16. Jahrhundert kreieren Jacques Cavallier-Belletrud und sein Team Parfums für die Luxusmarke Louis Vuitton.

Foto: Louis Vuitton

Auf dem Schreibtisch des Chefparfümeurs herrscht geordnetes Chaos.

Foto: Louis Vuitton

Zuerst als Gerberei begründet, ist man im 19. Jahrhundert zur wohlriechenden Parfumproduktion übergegangen.

Foto: Louis Vuitton
Foto: Louis Vuitton

So pittoresk die Lage des südfranzösischen Städtchens Grasse zwischen Alpen und Mittelmeer auch ist, so schwierig kann es für Ortsunkundige sein, sich in dem Gewirr der engen Serpentinenstraßen mit ihren unzähligen Abzweigungen zurechtzufinden. Und selbst wenn man es in die Allée Jean Moulin geschafft hat, steht man erst einmal vor verschlossenen Türen. Das große schmiedeeiserne Tor öffnet sich nur für geladene Gäste. Wird Einlass gewährt, geht es auf dem Kiesweg vorbei an einem perfekt gepflegten Rasen hin zum Eingang des rostroten Gebäudes. Les Fontaines Parfumées nennt sich das Ganze.

Hier arbeitet Jacques Cavallier-Belletrud, einer der renommiertesten Parfümeure der Welt. Der Franzose hat unter anderem die Kult-Parfums L’Eau d’Issey für Issey Miyake und Acqua di Giò für Giorgio Armani komponiert. Seit 2012 ist er "Maître Parfumeur" bei Louis Vuitton. Im selben Jahr kaufte der Mutterkonzern der Luxusmarke, LVMH, die Fontaines Parfumées und renovierte das Anwesen, das davor mehrere Jahrzehnte leer stand. Seit September 2016 werden hier nun die Parfums für die Konzernmarken Louis Vuitton und Dior entwickelt und Gästen in edlem Rahmen präsentiert. Die Fontaines Parfumées sind symptomatisch für die in Grasse generell omnipräsente Inszenierung von Duftwelten. Ist das alles also bloß Show oder der Ort im Département Alpes-Maritimes noch immer die "Welthauptstadt des Parfums"?

Welthauptstadt des Parfums

Diese Zuschreibung hat Grasse seit dem 18. Jahrhundert. Zuvor roch es dort weniger angenehm. Die Stadt war ein Zentrum für Lederherstellung. Das Gerben der Tierhäute war mit großem Gestank verbunden. Der Legende nach forderte Caterina de’ Medici eine Lösung für die übelriechenden Handschuhe. So kam man auf die Idee, das Fett, mit dem die Lederstücke behandelt wurden, mittels Blumenblüten zu beduften. Die Technik wurde schließlich zur Parfumproduktion genutzt, ein neuer Wirtschaftszweig entstand. Auch die Geschichte der Fontaines Parfumées zeugt von dieser Entwicklung.

Das Anwesen wurde 1640 von einem Abt als Gerberei begründet, im 19. Jahrhundert ist man zur Parfumproduktion übergegangen. Aus dieser Zeit stammt auch der Name Les Fontaines Parfumées – die duftenden Brunnen. Das Abwasser der Parfumdestillation wurde in den Kanal geleitet. Das Wasser des Brunnens, der an der Produktionsstätte gelegen ist, nahm die Aromen der verarbeiteten Blüten an.

Geordnetes Chaos

Heutzutage riecht er völlig neutral. Doch als sich gleich nebenan die schwere Holztür des renovierten Gebäudes öffnet, strömt ein würzig-süßer Duft in die Nase. Die Sache ist klar: Hier werden Parfums kreiert. Auch optisch machen die Räumlichkeiten der Fontaines Parfumées einiges her. Das Highlight ist die im Art-nouveau-Stil verglaste Rotunde mit Indoor-Brunnen und feingliedrig gestalteten Bodenfliesen. Wären da nicht Flakons der Louis-Vuitton-Parfums, die wie museale Ausstellungsstücke auf Podesten inszeniert sind, könnte man sich in der Luxusbleibe eines Superreichen wähnen. Aber hier wird nicht gewohnt, sondern gearbeitet. Im obersten Stockwerk befindet sich das Labor, in dem Jacques Cavallier-Belletruds Team dessen Duftformeln zusammenmischt.

Der Chefparfümeur selbst sitzt eine Etage tiefer in seinem Büro. Seinen Schreibtisch kann man wohl als geordnetes Chaos bezeichnen. Die unzähligen Papierstreifen sind mit unterschiedlichen Duftkompositionen besprüht und mit Notizzetteln versehen. Dazwischen stehen diverse Fläschchen und Flakons. Der Standort seines Arbeitsplatzes hat für Cavallier-Belletrud eine ganz besondere Bedeutung: "Schon als Kind stand ich oft fasziniert vor den Toren zu dem Anwesen. Ich wusste, dort wurde Parfum hergestellt. Der Ort hatte für mich immer etwas Mystisches an sich." Jacques Cavallier-Belletrud zeigt auf ein Foto auf dem übervollen Schreibtisch. Darauf zu sehen ist sein Vater, der ebenfalls Parfümeur war. Die Familie lebt bereits seit 500 Jahren in Grasse.

Blütezeit

Viel hat sich getan in Grasse, seitdem sich die Stadt im 18. Jahrhundert zum internationalen Parfumzentrum mauserte. Spätestens Patrick Süßkinds Buch "Das Parfum" aus dem Jahr 1985 beziehungsweise dessen Verfilmung von 2006 machten die Stadt einem größeren Publikum bekannt und zeichneten ein schönes Bild von weiten Feldern voll duftender Blumen. Wer die Stadt heute besucht, sieht stattdessen die touristische Vermarktung dieser Idealvorstellung. Vor allem im historischen Zentrum wird die Parfum-Erlebniswelt gewinnbringend inszeniert. Die Traditionsparfümerie Fragonard ist omnipräsent.

Neben dem historischen Werksgebäude, in dem Führungen und natürlich Düfte angeboten werden, gibt es auch Modeläden und Einrichtungsgeschäfte unter dem Markennamen. Tourismus ist ein wichtiger Wirtschaftsfaktor für Grasse geworden. Der französische Tourismusverband schätzt die Besucherzahlen (vor der Pandemie) auf eine Million jährlich. Dafür seien die Angebote der großen Parfümerien wie eben Fragonard oder Galimard und Molinard maßgeblich verantwortlich. Gäste können in Grasse auch ein Parfummuseum, das Musée International de la Parfumerie, besuchen. 2019 taten das über 90.000 Menschen.

Ist der Ort also bloße Kulisse und Inszenierungsfläche einer längst vergangenen Realität? Tatsächlich sind laut Prodarom, dem französischen Verband der Aromastoffhersteller, die Produktionsmengen von Blumenblüten für die Parfumproduktion in weniger als einem Jahrhundert von 3600 Tonnen auf nur 200 Tonnen gefallen. Jacques Cavallier-Belletrud erzählt, wie vor circa 30 Jahren das Image seiner Heimatstadt in der Parfumbranche alles andere als prächtig war. Zuvor florierte das Geschäft, Großlieferanten wollten dann ihre Margen erhöhen und mischten Extrakte des teuren Grasse-Jasmins mit solchen aus dem wesentlich günstigeren ägyptischen Jasmin. Der Qualitätsverfall blieb nicht unbemerkt.

Rund 40 Hektar Blumenfelder

"Wenn man eine Flasche Bordeaux kauft, will man auch keine Cuvée mit Wein aus anderen Regionen", kommentiert Cavallier-Belletrud die Entwicklung. Mit dem Prestige nahm auch die Erntefläche ab. "Die Produktion von Jasmin und Rose kam fast zum Erliegen, bis Chanel darin investierte und eine Kehrtwende einleitete", erklärt der Maître Parfumeur. Seit fast 40 Jahren reserviert sich Chanel mittlerweile die gesamte Ernte von Familie Mul, die in Grasse Mairosen und Jasmin ökologisch anbaut. Ein Großteil der verbleibenden Blumenfelder, rund 40 Hektar, gehört mittlerweile dem Mitbewerber LVMH. Was bedeutet die Übermacht der Großkonzerne für die Region? Jacques Cavallier-Belletrud sieht die Präsenz naturgemäß positiv. Durch die hohen Ansprüche der Luxusmarken habe man auch die Hersteller dazu bewegen können, wieder erstklassige Qualität zu produzieren. Aber können neben den Platzhirschen überhaupt noch andere Player bestehen?

Im Zentrum von Grasse, unweit der Place aux Aires gelegen, hat Jessica Buchanan ihr kleines Geschäft. Unter dem Label "1.000 Flowers" bietet die gebürtige Kanadierin ihre eigenen Duftkreationen an. Auch sie als freischaffende Parfümeurin profitiere von der Präsenz der Luxuskonzerne, sagt sie. Dadurch seien Rohmaterialien erhältlich, die sie an den anderen Orten der Welt mühsam bestellen müsste oder überhaupt nicht bekäme.

Unesco-Weltkulturerbe

Zwar seien die großen Parfum herstellenden Unternehmen wie Givaudan, Firmenich, IFF, Symrise oder Mane et Fils mit Produktionsstätten auf der ganzen Welt präsent, Grasse kann aber noch immer als ein wichtiges Zentrum in der Welt der Düfte bezeichnet werden. Das belegen die Zahlen von Prodarom: 13 Prozent der globalen Aktivität in Sachen Parfum und Aromen finden in Grasse statt. 150.000 Personen in der Region leben heute von der Duftindustrie. Seit 2018 ist die Parfumkunst aus Grasse Unesco-Weltkulturerbe. Auch renommierte Ausbildungsstätten für die sogenannten "Nasen" befinden sich hier.

Früher wurde das Wissen um die Komposition von Parfums innerhalb der einschlägig tätigen Familien von Vater zu Sohn weitergegeben. Wenngleich die meisten der weltberühmten Nasen Männer sind, erobern auch immer mehr Frauen die Branche. Mit stolzgeschwellter Brust erzählt Jacques Cavallier-Belletrud, dass seine Tochter vor kurzem ihre Ausbildung abgeschlossen hat und nun als Junior-Parfümeurin an seiner Seite arbeitet. Schon bevor sie sich dazu entschloss, beim Vater in die Lehre zu gehen, war Camille Cavallier mit der Welt der Düfte bestens vertraut: "Bei unseren Familienessen wurde hauptsächlich über Parfums gesprochen. Mein Großvater arbeitete auch als Nase." Er habe die Enkeltochter nach der Schule oft zu kleinen "Duftreisen" in der nahen Umgebung mitgenommen, erzählt sie. Neben dieser olfaktorischen Elementarausbildung hat er ihr außerdem seine gesammelten Notizen zu Duftkreationen überlassen.

"Mein Vater hat das Buch nie zu Gesicht bekommen. Es gehört nur mir", erzählt Camille Cavallier mit einem schelmischen Grinsen. Sicherlich ein gutes Werkzeug für die weitere Karriere der 23-Jährigen. Die großen familiären Fußstapfen müsse sie gar nicht ausfüllen, sagt ihr Vater Jacques Cavallier-Belletrud. Vielmehr solle sie ihren eigenen Stil als Parfümeurin finden, er sei hierbei sehr gerne ihr Wegbegleiter. Auch seine Gäste begleitet Cavallier-Belletrud noch ein Stück, bis sich das schmiedeeiserne Tor wieder schließt und vom Besuch in den Fontaines Parfumées nur mehr ein kleiner Hauch Duft in der Nase bleibt. (RONDO, Michael Steingruber, 4.2.2023)