Anti-Brexit-Aktivist Steve Bray, besser bekannt als "Stop Brexit Man" oder "Mister Stop Brexit", ist auch drei Jahre nach dem EU-Austritt immer noch regelmäßig auf den Straßen Londons zu sehen.

Foto: EPA / Andy Rain

Der dritte Jahrestag eines politischen Ereignisses lockt normalerweise keinen Hund hinterm Ofen hervor. Im Verhältnis des Vereinigten Königreiches zum europäischen Einigungsprojekt aber spielen in diesem Monat mehrere Daten eine signifikante Rolle. Zu Jahresbeginn war es 50 Jahre her, dass Großbritannien sowie Irland und Dänemark der damaligen EWG beitraten – ein schönes Jubiläum, das auf der Insel komplett ignoriert wurde. Das lag natürlich an jenem Jahrestag, der sich am Dienstag zum dritten Mal jährt: dem EU-Austritt in der Nacht vom 31. Jänner auf den 1. Februar 2020.

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Und zehn Jahre ist nun bereits die Initialzündung für diesen Isolationsschritt her: Im Jänner 2013 gab der damalige Premier David Cameron den Nationalpopulisten inner- und außerhalb seiner Partei nach und stellte eine Volksabstimmung über die britische EU-Mitgliedschaft in Aussicht. 52 zu 48 Prozent lautete im Juni 2016 das knappe Resultat.

Brexit-Hochburg Boston

Damals fühlten sich vor allem jene als Gewinner, die in den vernachlässigten Regionen der Insel leben. In der ostenglischen Grafschaft Lincolnshire etwa stimmten mehr als 70 Prozent der Wahlberechtigten für den Brexit. Landesweit vorne lagen mit 75,6 Prozent die Bewohner des Marktstädtchens Boston, Namensgeberin der viel berühmteren Metropole auf der anderen Seite des Atlantiks.

Gehörten die rund 35.000 Bostonians damals zur, wenn auch knappen, Mehrheit der Bevölkerung, so stehen sie dieser Tage ganz allein. Einer Befragung des Marktforschers Focaldata zufolge befinden sich außer in Boston auf der Insel inzwischen überall jene in der Mehrheit, die den EU-Austritt für einen Fehler halten. Dazu gehören angrenzende Wahlkreise in Lincolnshire, traditionell konservative Hochburgen, ebenso wie armselige, stets Labour-treue Bezirke in den Metropolen London und Birmingham, wo 2016 immerhin 60 Prozent den Brexit wollten.

Anders als beim Referendum oder der Unterhauswahl 2019 würden zunehmend das Brexit-Votum und die Links-rechts-Ausrichtung der Briten wieder zusammenpassen, analysiert James Kanagasooriam von Focaldata: "Das Austrittsvotum verblasst und unterscheidet sich weniger von der konservativen Wählerschaft."

Viele Nachteile

Das ist, pünktlich zum dritten Jahrestag des EU-Austritts, keine gute Nachricht für die Tory-Regierung des Brexiteers Rishi Sunak, dem fünften konservativen Premierminister seit jenem Junitag, der Großbritanniens Innen- und Außenpolitik stark verändert hat. Denn die Tories liegen in den Umfragen regelmäßig um 20 Punkte hinter der Labour-Opposition von Keir Starmer. Alle Beteuerungen des Regierungschefs und seiner zerstrittenen Partei, der Brexit werde herrlichen Fortschritt in vernachlässigte Regionen bringen, wirken angesichts der Realität immer unglaubwürdiger. Vielmehr treten immer klarer die Nachteile des Isolationsschrittes zutage.

Erst am vergangenen Wochenende erschreckte die Hochschulbehörde HESA den milliardenschweren Uni-Sektor mit neuen Hiobsbotschaften. Seit dem endgültigen Austritt aus Binnenmarkt und Zollunion Ende 2020 ist die Zahl der Studierenden aus der EU um mehr als die Hälfte zurückgegangen. Konnten junge Österreicher oder Deutsche zuvor zum ohnehin hohen Preis von umgerechnet 10.515 Euro pro Jahr auf der Insel studieren, müssen sie jetzt in Bristol, Nottingham oder Cambridge bis zu 43.190 Euro berappen. Viel zu viel, finden die meisten.

Den Unis kann das nicht recht sein, werden sie dadurch doch umso abhängiger von Studierenden aus Asien. Dabei soll, nicht zuletzt unter dem Druck der Regierung, der hohe Anteil von Studierenden aus China merklich reduziert werden.

Großer Wachstumsverlust

Auch anderswo macht sich der Brexit finanziell schmerzhaft bemerkbar. Die unabhängige Budgetbehörde OBR spricht von einem Wachstumsverlust von vier Prozent, nicht zuletzt durch den "erheblichen Dämpfer" für den britischen Außenhandel. Allein die Exporte in die EU sind zuletzt um 15 Prozent zurückgegangen. Zur Unsicherheit von Industrie und Handel tragen die anhaltenden Streitigkeiten um den Sonderstatus von Nordirland bei.

Manche Signale aus der Brexit-Regierung sprechen für eine vorsichtige Wiederannäherung an den größten Binnenmarkt der Welt. Auch Oppositionsführer Starmer schlägt ein pragmatischeres Vorgehen gegenüber Brüssel vor, wie es sich auch das Wahlvolk mehrheitlich zu wünschen scheint.

Bestärkt werden sie von vielen Prominenten wie Hermann Hauser: Wie viele andere Wissenschafter hadert auch der in Wien geborene Physiker und Unternehmer mit dem Brexit seiner Wahlheimat. "Früher oder später", hat der 74-Jährige kürzlich der BBC erläutert, werde das Königreich "wieder engere Beziehungen zur EU haben". (Sebastian Borger aus London, 31.1.2023)