Der blaue Frontmann Herbert Kickl reißt den Arm seines Schützlings empor, als hätte dieser gerade einen Boxkampf gegen einen bisher unüberwindbar geglaubten Widersacher gewonnen. Tatsächlich lässt sich das, was die Freiheitlichen um Udo Landbauer am Sonntag bei der Landtagswahl in Niederösterreich erreicht haben, als großer Durchbruch einordnen.

Immerhin gingen die schmerzhaften Verluste der ÖVP in ihrem Kernland vor allem auf das Konto der Blauen. Die schwarze Absolute ist dahin. Und nicht zuletzt konnten die Freiheitlichen auch noch so nebenbei die SPÖ auf den dritten Rang verdrängen.

Unter Frontmann Herbert Kickl gelangt die FPÖ wieder zu alter Stärke.
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Der jüngste Erfolg passt zum Trend: Seit Wochen schon sehen Meinungsforscher die FPÖ in den Umfragen bundesweit auf Platz eins. Der Erfolgslauf der hart rechten Populisten dürfte angesichts multipler Krisenherde und der Schwäche der politischen Konkurrenz wohl auch noch weiter anhalten.

Was unweigerlich zu der Frage führt, wie es eigentlich um die Aussichten der FPÖ für eine potenzielle Kanzlerschaft bestellt ist. Wer würde mit den Freiheitlichen unter dem rhetorischen Grenzgänger Kickl überhaupt koalieren? Und welche Rolle spielt es, dass Bundespräsident Alexander Van der Bellen erst kürzlich auf Distanz zu Kickl ging?

Ein Déjà-vu

Es liegt noch nicht lange zurück, da hatten die Freiheitlichen das Kanzleramt schon vor Augen. Parteichef war damals noch Heinz-Christian Strache. Es waren die Jahre 2015 und 2016, in denen die Migrationskrise in Europa und Österreich ihren vorläufigen Höhepunkt erreicht hatte. Die FPÖ sammelte von Wahl zu Wahl teils satte Zugewinne ein, ob in der Steiermark, im Burgenland, in Oberösterreich oder in Wien. In den bundesweiten Umfragen hielten sich Strache und seine Kameraden lange über der 30-Prozent-Marke. Die ehemaligen Großparteien SPÖ und ÖVP lagen weit dahinter. Die rot-schwarze Koalition hatte sich da schon stark abgenützt. Eine blaue Kanzlerschaft schien so klar wie nie – wäre da nicht ein gewisser Sebastian Kurz gewesen.

Ja, sogar Alexander Van der Bellen reagierte ident auf den Aufstieg der Freiheitlichen. Im März 2016, also mitten in seiner ersten Hofburg-Wahl, stellte Van der Bellen Strache in fast wortgleicher Manier die Rute ins Fenster wie nun auch Kickl. "Einer Regierung, die von einer Partei geführt wird, die auf die Zerstörung des Vereinten Europa aus ist, stehe ich mit äußerster Skepsis gegenüber", richtete der frühere Grünen-Politiker Strache und Co aus.

Am Ende kam es dann ein Stück weit anders. Strache wurde zwar nicht Kanzler, aber immerhin von Van der Bellen als Vizechef einer türkis-blauen Koalition unter Kurz angelobt. Selbst so manch politischer Mitbewerber glaubt, dass sich Van der Bellen mit seiner Distanz zu Kickl auch diesmal schwertun könnte, sollte dieser mit der FPÖ tatsächlich die nächste Nationalratswahl gewinnen.

"Ich komme mir vor wie in einem politischen Kreisverkehr", sagt auch der Politikbeobachter Thomas Hofer. "Es wiederholt sich alles permanent, alle starren auf die FPÖ wie das Kaninchen auf die Schlange, als wären sie der Situation schicksalhaft ausgeliefert, anstatt sich zu überlegen, was sie selbst für das Land machen können."

Die Hürde Kickl

Sicher ist sich Hofer aber darin, dass sich mit fortlaufendem Erfolg der Blauen auch für die Konkurrenz intern wieder verstärkt die Frage aufdrängen wird: Wie halten wir es nun mit der FPÖ? Aus heutiger Sicht ist da noch eher Distanz zu vernehmen.

Das liegt wohl zu einem größten Teil an der Person Kickl. In türkisen Zeiten hielt die ÖVP den ehemaligen Innenminister für einen Störfaktor und nutzte die Ibiza-Affäre, um auch Kickl aus dem Amt zu entlassen – eine Zäsur für den heutigen FPÖ-Parteichef.

Verfassungsministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) schloss kürzlich ein Bündnis mit ihrem ehemaligen Koalitionspartner aus. Edtstadler ist die FPÖ "in ihrer jetzigen Verfasstheit" zu extrem. Die Tiroler Sicherheitslandesrätin Astrid Mair (ÖVP) hingegen plädierte dafür, sich einer neuerlichen Koalition mit den Blauen "nicht von vornherein zu verschließen".

Aber womöglich hat man in der FPÖ auch eine andere Variante im Sinn. Tirols FPÖ-Chef Markus Abwerzger fand zuletzt sogar lobende Worte für die SPÖ – wenn auch nur für Hans Peter Doskozil. Den burgenländischen Landeshauptmann und ehemaligen Verteidigungsminister zählt Abwerzger zu den "vernünftigeren Kräften innerhalb der SPÖ", etwa in Asylfragen. Mit Doskozil an der Spitze der Sozialdemokraten sei aus Sicht der Tiroler FPÖ eine Koalition also durchaus möglich.

Doskozil selbst verfolgt allerdings den Plan einer Ampelkoalition aus SPÖ, Grünen und Neos – wohl mit sich an der Spitze. Obwohl Doskozil mit der FPÖ im Burgenland durchaus gute Erfahrungen gemacht hatte, ist es seinem Umfeld wichtig, zu betonen, dass das eben andere Freiheitliche seien als im Bund.

Die amtierende SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner hat ein mögliches Bündnis mit der FPÖ bisher zudem dezidiert verneint.

Kickl ist nicht Haider

Droht Kickl also ein Kanzlerkandidat ohne aussichtsreiche Optionen zu werden? In der FPÖ sieht man das alles gelassen. Nach der Wahl sehe die Sache oft anders aus, sagt ein hochrangiger Freiheitlicher. Im Burgenland sei für die SPÖ eine Koalition mit den Blauen anfangs auch ausgeschlossen gewesen.

Das Ziel ist aber klar: Die FPÖ will regieren. Und zwar mit Kickl an der Spitze. Das hatten interne Kritiker wie Oberösterreichs Landeshauptmann Manfred Haimbuchner (FPÖ) wohl auch nicht immer auf der Rechnung. Mittlerweile scheinen die monierenden Stimmen gegen Kickl aber verstummt zu sein.

Die Blauen würden auch keinen Tauschhandel eingehen wollen, um einer Koalition im Bund den Weg zu ebnen: Wenn, dann soll Kickl ins Regierungsamt gehievt werden – anders als das Jörg Haider mit Ex-Vizekanzlerin Susanne Riess-Passer gemacht hatte.

Es zeigt sich auch: Ibiza-Video und Straches Spesenaffäre sind vergessen. Das "Abstumpfen" gegen politische Affären, wie es ein Blauer ausdrückt, scheint sich durchzusetzen. Auch oder vor allem zugunsten der FPÖ. (Jan Michael Marchart, 30.1.2023)