Beim Wahlkampfauftakt versprühten Pamela Rendi-Wagner und Franz Schnabl noch gemeinsam Optimismus. Nun sind die beiden auch beim Kopfhinhalten für die Niederlage vereint.

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Die Pleite kam nicht überraschend: Was die ÖVP am Wahlabend betonte, gilt für die Sozialdemokraten genauso. Groß sei die Nervosität gewesen, als sich der Vorstand der Wiener SPÖ, lenkende Kraft in der Partei, kurz vor dem Urnengang beriet, erzählt ein Mitglied. Die Führungsdebatte werde wieder voll über die Vorsitzende hereinbrechen, soll Bürgermeister Michael Ludwig gewarnt haben: Und was, wenn Pamela Rendi-Wagner ohne Vorwarnung im Frust alles hinschmeiße?

So entstand die paradoxe Situation, dass mancher Genosse selbst nach einem Ergebnis wie jenem von Sonntag ein leises Aufatmen vernehmen ließ. Weder fiel die SPÖ unter 20 Prozent, noch landete die ÖVP jenseits der 42 Prozent, kurzum: Es hätte alles noch schlimmer kommen können. Die große Verliererin sei die ÖVP, versuchte Bundesgeschäftsführer Christian Deutsch die Seinen zu trösten.

Doch diese Perspektive blendet die unterschiedlichen Voraussetzungen aus. Denn während die ÖVP mit einigem Recht darauf verweisen kann, dass regierende Kräfte in krisenhaften Zeiten wie diesen europaweit abgestraft werden, befinden sich die Sozialdemokraten in einer bequemeren Position. Die Teuerungswelle spülte Themen in den Mittelpunkt, die einer Links-Mitte-Bewegung wie auf den Leib geschnitten wirken. Ohne Rücksicht auf finanzielle Möglichkeiten oder einen lästigen Koalitionspartner kann die oppositionelle SPÖ fordern, was gut und teuer ist. Und dennoch war es die FPÖ, die in Niederösterreich die Proteststimmen abstaubte.

Keine Kampagnenfähigkeit

Was da schiefläuft? Wer sich in den roten Reihen umhört, landet rasch bei Klagen über die Parteispitze. Natürlich hätten weder Spitzenkandidat Franz Schnabl noch der Wahlkampf Zugkraft entwickelt, sagt ein auf Anonymität bedachter, langgedienter Funktionär, doch bei allen hausgemachten Problemen komme man an der obersten Ebene nicht vorbei. Rendi-Wagner und ihrem Team fehle schlicht die Kampagnenfähigkeit: Solange die Parteivorsitzende, sofern sie nicht ohnehin abgetaucht sei, keine souveränen Auftritte hinlege, werde die SPÖ mit ihren Themen schwer durchkommen.

Diese Kritik ist in den Parteireihen nicht erst seit dem Sonntag weit verbreitet, wird derzeit aber kaum offiziell ausgesprochen. Nationalratsmandatar Andreas Kollross, als Bürgermeister von Trumau Statthalter in einem der letzten rot dominierten Flecken Niederösterreichs, blieb eine Ausnahme, als er am Sonntagabend via STANDARD eine Entscheidung in der Personalfrage forderte. Die sozialdemokratischen Landesparteichefs, die einen Sturz Rendi-Wagners einleiten könnten, wollen hingegen genau diese Debatte nicht führen. Zumindest nicht im Moment.

Das hat einen Grund. Am 5. März muss Peter Kaiser, einer von drei Landeshauptleuten der SPÖ, seine Führungsposition in Kärnten verteidigen, am 23. April wählt Salzburg. Wem das Wohl der Partei am Herzen liegt, der zettelt besser kein Kräftemessen mit unbekanntem Ausgang an, lautet ein Grundsatz. Denn nichts schreckt Wählerinnen und Wähler so sehr ab wie ein zerstrittener Haufen.

Die überzeugende Alternative fehlt

"An einer solchen Debatte beteiligen wir uns nicht", sagt denn auch Roland Fürst, als burgenländischer Landesgeschäftsführer Vertrauter von Rendi-Wagners gewichtigstem Rivalen Hans Peter Doskozil. Natürlich müsse sich die SPÖ laufend Gedanken machen, warum sie es nicht schaffe, den Frust der Menschen für sich zu verbuchen, doch dabei gelte der Fokus den kommenden Wahlen: Es sei ein "Herzensanliegen", dass die Kärntner und Salzburger ein gutes Ergebnis einfahren.

Etwas anderes wäre es, würde die SPÖ einen Führungswechsel reibungslos, ohne interne Grabenkämpfe über die Bühne bringen. Dann könnte der Reiz des Neuen den Wahlkämpfern sogar einen Schub bringen. Da aber offenbart sich die große Schwäche aller Umsturzüberlegungen: Eine rundum überzeugende Alternative bietet sich nicht an.

Oberkritiker Doskozil ist zweifellos der Meinung, es besser als Rendi-Wagner zu können. Doch Burgenlands Landeshauptmann laboriert nicht nur an seiner hartnäckigen Kehlkopferkrankung, die Reden zur heiseren Anstrengung macht. Mit öffentlicher Quertreiberei hat er selbst bei Genossen Kredit verspielt, die ihn grundsätzlich für ein politisches Talent halten. Dosko und seine Leute, sagt einer, "legen es wirklich patschert an".

Doskozil, ein Vater der Niederlage?

Da treffen sich Rendi-Wagner-Kritiker mit eingefleischten Verteidigern der Obfrau: Unter den Urhebern des Ergebnisses vom Sonntag sei nicht nur die ÖVP zu finden, die der FPÖ das Leibthema Asyl serviert habe. Auch Doskozil habe das Seine dazu beigetragen, indem er pünktlich zum sozialdemokratischen Wahlkampfauftakt Ende November einmal mehr ein Störfeuer entfachte: mit jener berüchtigten Umfrage, die ihn in der Wählergunst deutlich vor Rendi-Wagner reihte.

Als Hoffnungsträger gilt auch Andreas Babler, allerdings unter anderen politischen Vorzeichen als Doskozil. Der Bürgermeister von Traiskirchen hat sich über die Gemeindegrenzen hinaus einen Namen als Paradelinker gemacht. Ein Plus von 3,81 auf nunmehr 46,63 Prozent bei der sonntäglichen Wahl ist eine Empfehlung für höhere Weihen – die weitere Entwicklung hingegen nicht: Denn nicht Babler, sondern der regionale AMS-Chef Sven Hergovich soll neuer Chef der niederösterreichischen SPÖ werden. Ohne diese Zwischenstufe wäre der Sprung an die Bundesspitze der Partei für einen Kleinstadtpolitiker gar kühn.

(Un)mögliche Comebacks

Durch die Spekulationen im sozialdemokratischen Dunstkreis geistert ebenso Ex-SPÖ-Chef Christian Kern. Dieser hat Comebackgelüste bestritten, was aber keine unüberwindbare Hürde wäre – denn wer würde sich guten Gewissens wehren können, wenn die Partei ruft? Allerdings ist fraglich, ob Kern überhaupt genug Vertrauen der Entscheidungsträger genießen würde. Vom einstigen Kurzzeitkanzler sind nicht nur rhetorische Finesse und Showtalent in Erinnerung, sondern auch Sprunghaftigkeit. In Rathauskreisen wird ihm angelastet, dass er einst versucht habe, sich als künftiger Wiener Bürgermeister ins Spiel zu bringen – gegen Michael Ludwig, den heutigen starken Mann in der SPÖ.

Ob derartige Überlegungen zum Tragen kommen oder Rendi-Wagner auch dieses Stimmungstief überdauert, wird sich Anfang März weisen: Ein respektables Ergebnis in Kärnten wäre die beste Lebensversicherung.

Manche Genossen üben sich bis dahin in Galgenhumor. Via Twitter trauert der Alsergrunder Bezirksrat Nikolaus Kowall, bekannt geworden bei der aufmüpfigen Sektion 8, augenzwinkernd alten Zeiten nach, als die SPÖ bei allen Wahlen dazugewann und sogar Landeshauptleute "gedreht" hat: "Ich fasse es nicht, dass mir das über die Lippen kommt, aber vielleicht war Alfred Gusenbauer kein so schlechter Oppositionsführer." Doch dieses Comeback ist dann wirklich ausgeschlossen. (Gerald John, 30.1.2023)