Minister Karner im November an der Grenze zu Ungarn. Die Lage dort hat sich inzwischen beruhigt.

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Für die FPÖ und jene Kräfte in der SPÖ, die ebenfalls auf mehr Asylhärte setzen, passte das Timing gut. Am Montag, dem Tag nach der niederösterreichischen Landtagswahl, die vom Flüchtlingsthema stark beeinflusst wurde, stellte das ÖVP-geführte Innenministerium die Asylantragszahlen vom Dezember 2022 online. Tage zuvor waren Teile davon einzelnen Journalisten zugespielt worden.

Dadurch wurden die Zahlen des gesamten Vorjahrs ersichtlich. Sie sind sehr hoch. Exakt 108.781 Mal haben Menschen im Vorjahr in Österreich um Asyl ersucht. Im Vergleich zum Jahr 2021 ist das ein rund 130-prozentiges Plus. Selbst im Jahr der Flüchtlingskrise 2015 waren es mit 88.340 Anträgen deutlich weniger Ankünfte.

FPÖ: Illegaler Einwanderung "Tür und Tor geöffnet"

Die Reaktion aus der im Aufwind der Wählergunst befindlichen FPÖ ließ nicht auf sich warten. ÖVP und Grüne hätten "der illegalen Einwanderung in unser Land Tür und Tor geöffnet" und würden sie weiter offenhalten, befand FPÖ-Sicherheitssprecher Hannes Ammesbauer am Montag. Eine "massive neue Völkerwanderung", die "immer mehr zulasten der österreichischen Bevölkerung" gehe, finde statt.

Helfen könne nur eins: Der "Asylstandort Österreich" müsse unattraktiv gemacht werden. In Österreich, das von "sicheren Dublin-Staaten" umgeben sei, dürfe es de facto keine Asylanträge mehr geben.

SPÖ: Regierung gescheitert

Dramatisch äußerten sich auch SPÖ-Vertreter. Die Asyl- und Migrationspolitik der türkis-grünen Bundesregierung sei gescheitert, sagten SPÖ-Sicherheitssprecher Reinhold Einwallner und der burgenländische Landesgeschäftsführer Roland Fürst am Montag bei einem Besuch des Grenzübergangs Nickelsdorf. Über die ungarisch-burgenländische Grenze, nachdem sie im Ungarn Viktor Orbáns keine Chance auf Asylantragstellung hatten, kommt ein guter Teil der Schutzsuchenden nach Österreich.

"Die Bevölkerung an der Grenze ist hauptbetroffen von der substanzlosen und inhaltsleeren Showpolitik", sagte Fürst an der Grenze. "Es fehlen Rückführungsabkommen, Verfahrenszentren an der EU-Grenze oder außerhalb sowie ein gemeinsames europäisches Asylsystem", monierte Einwallner.

Ministerium gegen Kickl

Ein Sprecher des Innenministeriums reagierte auf die SPÖ-Kritik mit anderen aktuellen Zahlen. In der dritten und vierten Woche 2023 habe es an der burgenländischen Grenze zu Ungarn weniger Aufgriffe als im Vergleichszeitraum 2022 gegeben, sagte er. Die Lage habe sich derzeit beruhigt.

Ministerium und Asylbehörden würden mit den derzeit bestehenden Herausforderungen weit effektiver umgehen als der aktuelle FPÖ-Chef Herbert Kickl, als dieser noch Innenminister war, richtete der Sprecher wiederum der FPÖ aus. Ein Asylverfahren in erster Instanz habe 2022 durchschnittlich dreieinhalb Monate gedauert. 2018 unter Kickl seien es 21,5 Monate gewesen. Im vergangenen Jahr sei in 23.500 Asylschnellverfahren entschieden worden, 2018 lediglich in 740. 2018 habe die Grundversorgung pro Person und Tag im Durchschnitt 143 Euro gekostet. Heute seien es nur 74 Euro, zählte er auf.

Als Erfolg sei zudem zu werten, dass heute weniger Menschen in Österreich Asyl oder anderen Schutz erhalten würden als unter der harten Hand der FPÖ: "2018 betrug die Asylquote 50 Prozent, 2022 waren es 15,6 Prozent."

Asylkoordination: Österreich ist "Migrationskorridor"

Hier hakt Lukas Gahleitner von der Asylkoordination mit Kritik an derlei Zahlenvergleichen ein. Das Innenministerium unterschlage den hohen Anteil an Verfahrenseinstellungen, weil asylantragstellende Personen weitergereist seien. Es rechne diese Einstellungen zu den Ablehnungen dazu.

Konkret habe es im Vorjahr in 41.000 Asylantragsfällen einen solchen Verfahrensstopp gegeben. Die Lage sei trotz hoher Asylantragszahl weniger akut als während der großen Fluchtbewegung 2015: "Weil Österreich inzwischen ein Migrationskorridor ist." (Irene Brickner, 31.1.2023)