An die Windeln im Büro der Bundesratspräsidentin erinnert sich Christian Oxonitsch noch genau. Und an die nächtlichen Spaziergänge mit Baby auf dem Arm über die Parlamentsgänge auch. "Um drei in der Früh haben wir endlose Runden gedreht", sagt der SPÖ-Politiker. Der Grund: An langen Sitzungstagen brachte Oxonitsch seiner damaligen Partnerin und Nationalratsabgeordneten Ulli Sima die gemeinsame Tochter zum Stillen ins Hohe Haus. Parteikollegin Anna Elisabeth Haselbachs Büro diente als Stützpunkt.

Heute, 19 Jahre später, dreht Oxonitsch wieder Runden durchs Parlament. Allerdings nicht wegen Vaterpflichten. Sondern aus einer kleinen Orientierungslosigkeit heraus. Die fünf Jahre dauernde Renovierung hat so viel verändert, dass Oxonitsch beim Rundgang mit dem STANDARD die Route zum Sitzungssaal nicht auf Anhieb findet.

Oxonitschs Arbeitsweg ändert sich nur minimal. Seinen legeren Look will er im Parlament beibehalten.
Foto: Regine Hendrich

Auch personell hat sich viel getan: Von den 183 Nationalratsabgeordneten haben als solche lediglich 75 auch schon im unsanierten Parlament gearbeitet – für 108 ist der Bau am Wiener Ring Neuland. Besonders für Christian Oxonitsch.

In der langen Polit-Karriere des 61-Jährigen hat eine neue Phase begonnen. Am 15. Dezember 2022 wurde Oxonitsch nach 31 Jahren in der Wiener Landespolitik, in denen er sich vom Bezirksrat zum Stadtrat hocharbeitete, als Nationalratsabgeordneter angelobt. Er rückte für die pensionierte Nurten Yilmaz nach. Diverse Festakte und eine Sondersitzung später kehrt für ihn allmählich Alltag ein: Am Dienstag absolviert der neue rote Sprecher für Kinder und Kinderrechte seine erste reguläre Nationalratssitzung.

Rücktritt nach Machtkampf

Räumlich trennen Rathaus und Hohes Haus 450 Meter, in der parlamentarischen Praxis viele Details. Die mäßig bequemen, wenn auch geschichtsträchtigen Holzbänke im Gemeinderatssaal hat Oxonitsch gegen komfortable Drehsessel im Nationalratssaal getauscht.

Reden darf er dort allerdings weniger: "Im Gemeinderat hat man bis zu 20 Minuten Redezeit, im Nationalrat sind es drei bis fünf", sagt Oxonitsch. Sein Kontingent habe er aber ohnehin nur selten ausgeschöpft.

Drehsessel statt Holzbank: Was den Sitzkomfort angeht, hat Oxonitsch definitiv gewonnen.
Foto: Regine Hendrich

Schwerer wiegt ein anderer Unterschied: Erstmals in seiner politischen Laufbahn ist Oxonitsch in Opposition. "Meine Hoffnung ist, dass das eine kurze Periode sein wird." Ob das angesichts der immer wieder aufflammenden Führungsdebatten in der SPÖ, aktuell wegen der Niederösterreich-Wahl, realistisch sei? In der Partei werde keine Auseinandersetzung geführt, kalmiert Oxonitsch: "Das ist immer ein medialer Zuruf." Insofern sei Pamela Rendi-Wagner als Vorsitzende gesetzt.

Richtungsstreits kennt Oxonitsch aus seiner Zeit im Rathaus allzu gut. Als Michael Ludwig und Andreas Schieder um die Nachfolge von Michael Häupl kämpften, schlug sich Oxonitsch, damals Chef des mächtigen roten Gemeinderatsklubs, zwar nie öffentlich auf eine Seite, zugerechnet wurde er aber dem unterlegenen Schieder-Lager.

Oxonitsch mit David Ellensohn, seinem langjährigen grünen Pendant als Klubchef bei der Angelobung von Rot-Grün I im Jahr 2010.
Foto: Matthias Cremer

Im Frühling 2018, wenige Wochen vor Ludwigs Wahl zum Bürgermeister, gab Oxonitsch seinen Rücktritt als Klubobmann bekannt. "Die Team-Ludwig-Team-Schieder-Frage hat da eigentlich weniger eine Rolle gespielt", sagt er heute. Vielmehr habe er für sich beschlossen, nicht den "Biss" zu haben, sich auf ein neues Stadtregierungsteam einzustellen.

Vom Schulsprecher zum Stadtrat

Den Grundstein für seine Karriere und seine politischen Schwerpunkte legte Oxonitsch in SPÖ-Vorfeldorganisationen, zu denen er über den Freundeskreis seiner Eltern Zugang fand. Nach dem Zivildienst arbeitet bei den Kinderfreunden und engagierte sich in deren Jugendorganisation, den Roten Falken. Zuvor war er sich in der AHS Maroltingergasse Schulsprecher gewesen. "Mitmischen statt auslöffeln" machte er sich damals zum Motto – es blieb ihm bis heute.

Dass Oxonitsch als Ottakringer Arbeiterkind ans Gymnasium konnte, ist Ergebnis der Schulreformen Bruno Kreiskys in den 1970er-Jahren: Der Hausmeister-Spross profitierte von der Schulbuchaktion, entging der Aufnahmeprüfung und hatte "Zahnarztkinder" vom Wilhelminenberg als Klassenkameraden.

Oxonitsch 2011 mit dem heutigen Finanzstadtrat Peter Hanke (SPÖ) zu Besuch bei einer politischen Herausforderung: im Stadthallenbad.
Foto: Regine Hendrich

Über das Ottakringer Bezirksparlament kam Oxonitsch 1996 in den Gemeinderat und stieg dort rasch zum Klubchef auf. Während Rot-Grün fungiert er als Verbinder zum Juniorpartner. Seine Fähigkeit zu verständigen und seine Handschlagqualität loben andere Fraktionen heute noch. Kritische Worte sind über Oxonitsch kaum zu vernehmen. Wenn, dann in Zusammenhang mit dem Sanierungsdebakel um das Stadthallenbad, bei dem er in den Augen mancher Wegbegleiter ein Glaskinn zeigte. Die Probleme mit dem undichten Becken brachten dem damaligen Sportstadtrat einen Misstrauensantrag ein.

In der Regierung habe er erlebt, "wie unangenehm es sein kann, so im Fokus zu stehen", sagt Oxonitsch. Er bevorzuge daher das Abgeordnetendasein. Dieses übte er im Rathaus zuletzt als einfacher Mandatar aus. Warum er dort nicht in Pension gegen wollte? Er habe sich gesagt: "Begib dich aus deiner Komfortzone. Wer hat schon die Möglichkeit, mit 61 noch etwas Neues zu probieren?"

Kuraufenthalt in der Politik

Eine Herausforderung suchte Oxonitsch zuletzt auch im privaten Bereich. Mit seiner aktuellen Gattin machte er 2018 die Ausbildung zu Krisenpflegeeltern, seither nimmt er regelmäßig für einige Monate kleine Kinder in Notsituationen auf: "Unsere Aufgabe ist es, ihnen einen möglichst guten Kuraufenthalt zu bieten." Teil davon sind auch Ausflüge in die Politik: Im Gemeinderat war Oxonitsch vor nicht allzu langer Zeit mit Kinderwagen zu sehen.

Wann das nächste Pflegekind kommt, ist ungewiss. "Die MA 11 kann immer anrufen, wenn es brennt", sagt Oxonitsch. "Und wer weiß? Vielleicht stehe ich in einem halben Jahr wieder mit Baby im Parlament." (Stefanie Rachbauer, 31.1.2023)