Eine Sicherheitsveranstaltung der OSZE im Dezember 2022 in Polen – die Regierung in Warschau hatte sich entschieden, keine Visa für russische Delegationsmitglieder zu vergeben.

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Vor einem Jahr haben russische Truppen die Grenzen zur Ukraine überquert und sind erstmals Richtung Kiew marschiert. Es war der 24. Februar, als der Überfall auf das Nachbarland begann, mit einem eklatanten Bruch des Völkerrechts. Um genau solche kriegerischen Handlungen zu vermeiden, war einst die Organisation für Zusammenarbeit und Sicherheit in Europa (OSZE) mit Sitz in Wien gegründet worden.

Diese wird nun am 24. Februar – ausgerechnet an diesem Tag – ihre reguläre parlamentarische Versammlung in der österreichischen Bundeshauptstadt abhalten. Das bringt indirekt die österreichische Außenpolitik, voran das Außenministerium am Minoritenplatz, der kaum 200 Meter vom OSZE-Sitz entfernt liegt, in die Zwickmühle. Denn angesagt ist auch eine große Delegation aus Russland.

Polen und Großbritannien verweigerten Visa

Während Polen und Großbritannien den Russen im vergangenen Jahr Visa für OSZE-Veranstaltungen verweigert hatten, geht Österreich einen anderen Weg. Die Regierung wird den zahlreichen Politikern und einem großen Tross von russischen Journalisten die Einreise ermöglichen. Es handle sich dabei "um keine Ermessensfrage, sondern um eine rechtliche Verpflichtung", heißt es aus dem Außenministerium.

Das sorgt unter Verbündeten dennoch für Ärger, vor allem bei jenen aus dem Baltikum und aus Osteuropa. Der Fall könnte sich zu einer Zerreißprobe für die OSZE entwickeln.

Denn alle bislang angekündigten Delegationsmitglieder aus Russland befinden sich nach Informationen des STANDARD auf Sanktionslisten der Europäischen Union. Der Leiter der Delegation, Pjotr Tolstoi, ist einschlägig bekannt. Er hatte in einem Interview mit dem französischen Sender BFM davon gesprochen, dass der russische Präsident Wladimir Putin die Ukraine "ins 18. Jahrhundert zurückschicken" werde. Tolstoi lobte die "Denazifizierungsmaßnahmen" in der Ukraine, mit denen Putin die Invasion zynischerweise begründet hatte.

Ein anderes Delegationsmitglied, Leonid Slutski, forderte die Todesstrafe für Kämpfer des ukrainischen Azow-Regiments. Ein dritter Abgeordneter auf der angekündigten Besucherliste wurde vom US-Justizministerium angeklagt, weil er internationale Desinformationskampagnen und Einflussoperationen zur Schwächung der Sanktionen betrieben haben soll. Sie alle werden nach Österreich einreisen dürfen.

Ukraine protestiert scharf

Ein ukrainischer Diplomat zeigt sich entsetzt: "Sie haben nie gegen Russlands furchtbare Verbrechen protestiert", sagt Jewhenij Zymbaljuk zum STANDARD. Er ist ständiger Vertreter der Ukraine bei der OSZE und weist darauf hin, dass die russische Delegation im vergangenen Jahr bis zuletzt beteuert hatte, es werde zu keinem Angriff auf die Ukraine kommen. Russland "ruiniert die OSZE seit Jahren", sagt Zymbaljuk. Man könne sich nicht mit Überlegungen beschäftigen, was am besten für die Zukunft der Organisation sei, sondern müsse darlegen, wie die OSZE Menschen in der Ukraine beschützen könne, die vom brutalen, genozidalen Angriff Russlands betroffen sind, fordert der ukrainische Diplomat.

Die Entscheidung Österreichs, russische Vertreter an der parlamentarischen Versammlung der OSZE teilnehmen zu lassen, wird durch einen weiteren Termin möglicherweise noch fragwürdiger in der internationalen Wahrnehmung. In Wien ist Ballsaison. Am 24. Februar, dem Jahrestag der Invasion, an dem tagsüber die OSZE-Meetings in der Hofburg stattfinden, wird nur wenige Stunden später und nur wenige Meter entfernt der traditionelle Akademikerball der FPÖ beginnen. Dieser sorgt wegen der Teilnahme von Personen aus extrem rechten Kreisen aus Österreich und Deutschland für Unruhe, Demonstrationen und Polizeieinsätze.

Tanzen in der Hofburg?

Nicht wenige Diplomaten befürchten, dass sich Teile der russischen Delegation unter die Ballgäste mischen könnten, nicht zuletzt wegen der langjährigen engen Beziehungen, die die FPÖ unter Ex-Parteichef Heinz-Christian Strache zu Putins Partei Vereintes Russland gepflegt hatte. Zumindest sieben Mitglieder der russischen OSZE-Delegation gehören zu dieser Partei, die seit 2016 ein Freundschaftsabkommen mit der FPÖ hat. Zymbaljuk fürchtet eine "riesige Propagandashow" Russlands, wenn diese "am Jahrestag der Ukraine-Invasion in der Hofburg tanzen".

Aus dem Außenministerium heißt es, dass dies eine "klar missbräuchliche Verwendung" der Visa wäre. Prinzipiell habe Österreich ein Amtssitzabkommen mit der OSZE, in dem zugesichert werde, dass Teilnehmern an Veranstaltungen der Organisation die Einreise "erleichtert" werden soll. Ein derartiges Abkommen mit der OSZE haben weder Großbritannien noch Polen, die eben Visa für Russen verweigert hatten.

Der EU-Ratsbeschluss zur Sanktionierung russischer Personen und Organisationen sieht außerdem Ausnahmen vor, etwa konkret für OSZE-Veranstaltungen. Das Außenministerium betont außerdem, dass es sich "nicht um eine österreichische Einladung" handle.

Ein erfahrener Diplomat, der ungenannt bleiben will, sagt dazu, dass es hier auch um Standortpolitik gehen dürfte. Am OSZE-Hauptsitz in Wien hingen ja einige Arbeitsplätze. Das könnte dem Außenamt wichtiger sein als Politik im Einklang mit seinen Verbündeten.

Die Vorstellung, dass "Menschen wie Tolstoi und Slutski nach den OSZE-Gesprächen die Stiegen in der Hofburg nach unten gehen und dort mit ihren Freunden von der FPÖ tanzen", sei unfassbar, sagt ein ukrainischer Diplomat, der nicht genannt werden möchte. (Kate Manchester, Fabian Schmid, 31.1.2023)