Roman Abramowitsch bei den versuchten Friedensverhandlungen zwischen der Ukraine und Russland in Istanbul vergangenen März.

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Die russische Invasion in die Ukraine kommt nicht aus dem Nichts. Nicht für die europäische Politik – und auch nicht für europäische Banken. Mitte Februar vergangenen Jahres stellen viele Beobachter eher die Frage, wann die russischen Panzer die Grenze ins Nachbarland überqueren würden, als die Frage nach dem Ob, nachdem sich die Anzeichen für den russischen Angriff immer weiter verdichtet haben.

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DER STANDARD | AFP

Am 24. Februar 2022 ist es dann so weit, die Meldungen von der russischen Aggression erreichen die Hauptstädte Europas, erreichen auch Berlin, Wien und Zürich. Just zu jener Zeit wird in einer auf Briefkastenfirmen spezialisierten Kanzlei in Zypern ein Schreiben an die Schweizer Großbank UBS aufgesetzt. Es geht um das riesige Vermögen des russischen Oligarchen Roman Abramowitsch.

Dieses wird offenbar gerade eilig neu geordnet, es geht um Super-Yachten, Helikopter und Privatjets, und um viele Hundert Millionen US-Dollar, die, das ist die Idee, wenig später nicht mehr ihm allein, sondern auch seinen Kindern gehören sollen. Der mutmaßliche Grund: Abramowitsch drohten Sanktionen.

710 Millionen Dollar bei der Schweizer UBS-Bank

Das genannte Schreiben findet sich in einem Datenleck aus Zypern, das DER SPIEGEL und DER STANDARD gemeinsam mit dem britischen "Guardian", Tamedia aus der Schweiz, der "Washington Post" und dem Organized Crime and Corruption Reporting Network (OCCRP) einsehen konnten – den "Oligarch Files".

Die Unterlagen stammen aus den Beständen der Vermögensberatung Meritservus, die von Zypern aus verschachtelte Trusts und Firmen konstruiert, hinter denen schwerreiche Kunden ihre Reichtümer verstecken können – vor der Allgemeinheit, vor Ex-Partnern, vor Strafverfolgern, Steuerfahndern, Sanktionsvollstreckern oder wem auch immer.

Im Fall von Abramowitsch finden sich in den Daten auch Auflistungen von Konten des russischen Oligarchen bei der Schweizer UBS-Bank. Auf einem Konto lagen demnach Ende September 2021 mehr als 290 Millionen US-Dollar. Auf einem anderen waren es noch am 21. Jänner 2022 – wenige Wochen vor Kriegsbeginn – mehr als 420 Millionen.

Auch bei der britischen Barclays-Bank hatte Abramowitsch laut der zypriotischen Kanzlei ein immenses Vermögen, über 150 Millionen US-Dollar lagen demnach in den Monaten vor Kriegsausbruch bei einer Niederlassung in Monaco.

Kinder erhalten 51 Prozent der Trusts

Der Zeitpunkt der Neuorganisation von Abramowitschs Reichtum ist entscheidend, denn am 31. Jänner hatten die USA und Großbritannien klargemacht, dass sie bei einem russischen Einmarsch in die Ukraine auch die Gelder der russischen Oligarchen im Westen blockieren würden. "Die Personen, die wir identifiziert haben, befinden sich im oder nahe am inneren Kreis des Kreml", hatte eine Sprecherin des Weißen Hauses erklärt. Damit konnte sich Abramowitsch absolut gemeint fühlen.

Zypern – hier das Finanzministerium in der Hauptstadt Nikosia – galt lange Zeit als sicherer Hafen für Oligarchengelder aus Russland.
Foto: Petros Karadjias/AP

Die Sanktionsdrohungen lösten bei den Oligarchen hektische Aktivitäten aus, das zeigt interner Schriftverkehr, der SPIEGEL, STANDARD und seinen Partnern vorliegt. Aus der Finanzbranche wurde bald bekannt, dass die ersten Vermögen an das familiäre Umfeld, an Frauen und Kinder übertragen wurden, um zu verhindern, dass die Gelder eingefroren werden.

Und auch in den Dokumenten aus Zypern sieht man, wie nur wenige Tage nach der Ankündigung des Weißen Hauses Abramowitschs Finanzberater aktiv werden: Sie strukturieren sein Vermögen um.

Die wohl wichtigste Änderung: Ab 4. Februar sollen sieben Kinder des Oligarchen als Begünstigte diverser Trusts gelten, darunter auch zwei Minderjährige. Die Trusts hielten wertvolle Besitztümer des Russen, etwa die 163-Meter-Luxus-Yacht Eclipse. In einigen Fällen organisierten Abramowitschs Berater es so, dass die Kinder fortan an 51 Prozent der Trusts begünstigt waren und der Oligarch selbst nur noch 49. Wichtig zu wissen: In der Regel gelten Sanktionen nur für Vermögen, an dem der Sanktionierte mit mehr als 50 Prozent beteiligt ist – außer es lässt sich nachweisen, dass er seine Reichtümer noch immer kontrolliert.

UBS Global Family Office für "bestehende und aufstrebende Milliardäre"

Es war dann keine große Überraschung, dass auch der Name Roman Abramowitsch am 15. März 2022 auf der EU-Sanktionsliste stand. Ihm wird vorgeworfen, dem Kreml nahezustehen, etwa als vormaliger Gouverneur der sibirischen Region Tschukotka. Der Oligarch hat die Sanktionen inzwischen vor Gericht angefochten, er reagierte nicht auf Anfragen des "Oligarch Files"-Teams.

Aber laut den Dokumenten aus Zypern war just zu Kriegsbeginn die Umschreibung weitgehend abgeschlossen, die erwähnten Briefe aus Zypern meldeten etwa den Kundenberatern der UBS eine neue Struktur von Abramowitschs Milliarden-Trust samt geänderten Begünstigten. Im Fall der Schweizer UBS sind diese Vorgänge besonders bedeutsam. Der Großkunde Abramowitsch wird von den Spezialisten des Global Family Office betreut, es geht um eine ganze Serie von Trusts und, wie gesagt, ein Milliardenvermögen.

Auf seiner Website wendet sich dieses Family Office and Institutional Wealth heute an "bestehende und aufstrebende Milliardäre". Die UBS verspricht: "Egal wie anspruchsvoll ihre Bedürfnisse auch sein mögen, wir sind bereit, Sie zu verstehen."

Abramowitsch als "Reputationsrisiko für die Schweiz"

Die selbsternannte Milliardärabteilung residiert am Paradeplatz 6 im teuren Zürich, also genau da, wo nur ein paar Meter weiter auch die andere Schweizer Großbank sitzt, die krisengeschüttelte Credit Suisse. Aber während die Credit Suisse seit Jahren von Skandal zu Skandal schlittert, schaffte es die UBS, sich in den vergangenen 15 Jahren einen Ruf als die eher brave Bank zu erarbeiten, eher risikoavers und eher vorsichtig, auch in der Wahl ihrer Kunden.

Im Fall Abramowitsch ging die Bank jedoch jahrelang erhebliche Risiken ein. Denn bereits 2018 war Abramowitsch in der Schweiz als potenzieller Problemfall gebrandmarkt. Damals hatte die Zeitungsgruppe Tamedia öffentlich gemacht, dass sich die Schweizer Polizei gegen eine von Abramowitsch beantragte Aufenthaltsbewilligung ausgesprochen hatte, und zwar ziemlich harsch. Im Zusammenhang mit Abramowitschs Anwesenheit im Land fielen die Beschreibungen "Gefährdung der öffentlichen Sicherheit" und "Reputationsrisiko für die Schweiz".

Abramowitschs Yacht, geliefert im Jahr 2010 von einer Hamburger Werft, war bis 2013 die größte der Welt.
Foto: imago images / Peter Seyfferth

Weiter hieß es, der russische Rohstoffmagnat sei "wegen Verdachts auf Geldwäscherei und mutmaßlicher Kontakte zu kriminellen Organisationen bekannt". Abramowitsch bestritt diese Einschätzung und wollte den Polizeibericht gerichtlich ändern lassen, aber das zuständige Gericht wehrte sein Begehr mit der Begründung ab, er habe "in keiner Weise" belegen können, dass die Ermittlungsergebnisse zur Geldwäscherei und anderem grundfalsch wären. Und das in der Schweiz, einem Land, das Oligarchen gegenüber grundsätzlich als eher freundlich eingestellt gilt. Trotz allem durfte der lukrativen Großkunde seine Vermögen bei der UBS parken.

Abramowitsch soll britische Sanktionen umgehen

Die Schweizer UBS-Bank scheint nicht die einzige Bank zu sein, bei der der von Sanktionen bedrohte Oligarch plötzlich begann, Vermögenswerte zu verschieben. Auch die britische Barclays-Bank erhielt laut Informationen des SPIEGEL am 21. Februar 2022 eine Benachrichtigung des in Zypern ansässigen Treuhänders, der die Abramowitsch-Treuhandfonds verwaltete: Die Abramowitsch-Kinder hätten nunmehr "Anspruch auf 51 Prozent aller Ausschüttungen" aus dem Treuhandvermögen.

Mit diesem Trick konnte Abramowitsch sein Vermögen womöglich vor den am 10. März 2022 verhängten Sanktionen der britischen Regierung und den am 15. März 2022 in Kraft getretenen Sanktionen der EU schützen. Den Unterlagen zufolge betreute Barclays Abramowitsch über eine exklusive Privatbank in Monaco. Laut britischem "Guardian" bezeichnete eine Quelle, die mit der Beziehung zwischen Abramowitsch und Barclays vertraut ist, die Familie Abramowitsch als einen der wichtigsten Kunden des Büros in Monaco.

Der Oligarch vergangenen Juli bei einer Zeremonie in Istanbul, bei der jener Deal, der die Ausfuhr ukrainischen Getreides trotz des Krieges ermöglicht, unterzeichnet wurde.
Foto: AFP/Ozan Kose

Die dem SPIEGEL zwischenzeitlich ebenfalls getrennt zugespielten Dokumente werfen die Frage auf, wie Barclays auf die Umstrukturierung von Abramowitschs Vermögen reagiert hat und ob die Bank seinen Kindern seit Inkrafttreten der Sanktionen gestattet hat, von den Vermögenswerten zu profitieren.

Vermögenswerte in der Höhe von 7,5 Milliarden eingefroren

Barclays erklärte gegenüber dem "Guardian", man könne sich nicht dazu äußern, ob eine Person ein Kunde sei oder nicht, man sei sich der Bedeutung der Sanktionsvorschriften aber bewusst und nehme seine Verpflichtungen "sehr ernst".

Während die britische Barclays-Bank die Umstrukturierung von Abramowitschs Vermögen nach Kenntnissen des "Guardian" anstandslos akzeptierte, ist unklar, wie die Schweizer UBS auf die Briefe aus Zypern reagierte. Fragen zu Abramowitsch wollte die UBS nicht beantworten.

Recherchen des "Oligarch Files"-Teams deuten allerdings darauf hin, dass die Großbank die gewünschten Änderungen, also das Hinzufügen von Abramowitschs Kindern als Begünstigte, womöglich nicht ausführte. Bestätigen ließ sich das nicht.

Sollte die UBS Abramowitsch zu der Zeit der Sanktionen noch als Kunden geführt haben, dann musste sie sein Vermögen bei der Bank einfrieren. Zwar wurden laut dem Schweizer Staatssekretariat für Wirtschaft aufgrund der Russland-Sanktionen in der Schweiz bisher finanzielle Vermögenswerte in der Höhe von 7,5 Milliarden Franken gesperrt. Ob darunter nun auch Gelder von Abramowitsch bei der UBS sind, gab und gibt die Behörde jedoch nicht bekannt. (Bastian Obermayer, Ruben Schaar, 31.1.2023)