Hauptdarstellerin Sahra Amir Ebrahimi hat eine schwierige, filmreife Exilbiografie und gewann für "Holy Spider" den Schauspielpreis in Cannes. Im Iran wurde sie zu 99 Peitschenhieben verurteilt.

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"Menschen, die komplexe Verbrechen begehen, haben keine gelben Augen oder ein Kainsmal auf der Stirn, auf dem geschrieben steht: Ich habe drei Menschen umgebracht. Das Außergewöhnliche kann manchmal sehr gewöhnlich ausschauen." Das schreibt Österreichs Profiler Nummer eins, Thomas Müller, in seinem Buch Bestie Mensch. Auch Saeed Hanaei, den Ali Abbasi in seinem Spielfilm Holy Spider fiktionalisiert, lebt als unscheinbarer Handwerker.

Alamode Film

Der "Spinnenmörder", wie er in der Presse genannt wurde, hat kurz nach der Jahrtausendwende insgesamt 16 Frauen ermordet. Er lockte die Sexworkerinnen zu sich nach Hause, erwürgte sie und entsorgte die Körper im Straßengraben. Aber er war auch ein Familienvater mit Frau und drei Kindern.

Lockvogel

Wie bei so vielen Serienkillern lassen sich die Taten als Psychogramm analysieren, das in seiner populären Verarbeitung die Faszination des Bösen bedient. Und doch: Die Grausamkeit von Hanaeis tatsächlichen Femiziden lässt sich nicht aus ihrem politischen Kontext herauslösen.

In diesem historischen Kriminalfall spielt das anachronistische Frauenbild eine entscheidende Nebenrolle, passieren die Morde doch in der zweitgrößten Stadt des Iran, dem religiösen Pilgerzentrum Maschhad. Dementsprechend haben weder Mullahs noch Polizei Sympathie für die "sündigen Frauen" übrig, die Hanaei killt.

Die Filmerzählung wechselt geschickt zwischen dem Täter und einer zweiten Hauptfigur, der fiktiven Journalistin Arezoo Rahimi. Sie ermittelt auf eigene Faust, und ihre Perspektive gibt dem Film ein moralisch spannendes Gleichgewicht. Erst als sie sich selbst als Lockvogel an den Straßenstrich stellt, kommt sie dem "Spinnenmörder" auf die Spur. Klassisches Kriminalkino also, das durch das politische Setting eine interessante Färbung bekommt.

Kaputte Gesellschaft

Die Fiktionalisierung eines realen Frauenmörders ist immer heikel, war es doch gerade die öffentliche Aufmerksamkeit, die Saeed Hanaei befriedigte. Man kann Holy Spider zurecht für die brutale Darstellung mehrerer Erdrosselungen kritisieren. Doch die Mordszenen fügen sich in den dunklen, dreckigen Ton des Films ein. Dabei werden die Fahrten Hanaeis durch die nächtlichen Straßen der Stadt von harten E-Gitarren-Riffs begleitet und die Angst der Opfer wie auch des Mörders übersetzt sich in filmische Spannung.

Nebenbei liefert Ali Abbasi auch eine Sozialstudie der kaputten iranischen Gesellschaft. Seine Intention sei es nicht gewesen, einen Serienkillerfilm zu machen, sondern einen über eine Serienkillergesellschaft. Wenig überraschend konnte der Film nicht im Iran gedreht werden. Jordanien liefert die Kulisse.

Darsteller im Exil

Abbasi war Student in Teheran, als die iranischen Medien groß über die Morde berichteten. Doch erst Jahre später, als er schon lange in Dänemark lebte, ermöglichte ihm der Erfolg seines europäischen Films Border von 2018, die Geschichte des "Spinnenmörders" und seiner Opfer auf die Leinwand zu bringen. Nach seiner Weltpremiere 2022 im Wettbewerb von Cannes verglich die iranische Regierung den Film in einem Statement gar mit den "Satanischen Versen". Der Darsteller des Mörders, Mehdi Bajestani, verließ das Land. Hauptdarstellerin Sahra Amir Ebrahimi gewann in Cannes den Schauspielpreis. Ihr Lebensweg wäre ein eigenes Biopic wert.

In jungen Jahren Serienstar im Iran, wurde Ebrahimi nach einem geleakten Sex-Tape zu 99 Peitschenhieben verurteilt und mit einem zehnjährigen Berufsverbot belegt. Im europäischen Exil wurde sie unter anderem Produzentin für die BBC und spielt seither in etlichen preisgekrönten Filmen, etwa auch im österreichischen Film Teheran Tabu.

In Holy Spider treffen so die historische Realität der Vorlage und die politische Realität der Beteiligten in der Gegenwart in einem packenden Thriller zusammen. Unerwartet brisant wird dieser Genrefilm durch die aktuellen feministischen Proteste im Iran. (Marian Wilhelm, 1.2.2023)