Antony Blinken forderte Israel und die Palästinenser auf, die Gewalt zu stoppen.

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Was Israel und die USA verbinde, seien ihre "gemeinsamen Werte", sagte der US-amerikanische Außenminister Antony Blinken am Dienstag in Jerusalem. Und er ging sogleich dazu über, exakt jene demokratischen Grundfesten aufzuzählen, die das ultrarechte Kabinett unter Benjamin Netanjahu bekämpfen will: Rechtsstaatlichkeit, freie Presse, Gewaltenteilung und Minderheitenrechte.

In all diesen Bereichen plant die Koalition drastische Einschnitte und zuallererst bei der Justiz. In ungewöhnlich konkreter Weise sprach Blinken diese Pläne an. Er regte an, dass Netanjahu sich eine "breite Mehrheit" für die Justizreform suchen solle. Die israelische Regierung möge auf die Opposition zugehen. Man könnte das als diplomatischen Wangenkniff verstehen. Netanjahu hingegen versuchte zu beruhigen: Israel und die USA seien "zwei starke Demokratien, die auch weiterhin, das versichere ich Ihnen, zwei starke Regierungen bleiben werden".

Schleichende Annexion

Wenn Blinken von Werten spricht, muss er sich von Kritikern der israelischen Besatzung aber auch vorwerfen lassen, dass die Vereinigten Staaten mit zweierlei Maß messen. Der Vergleich mit der Ukraine kommt oft auf, wenn es um die schleichende Annexion der von Israel besetzten und verwalteten Gebiete geht. Netanjahus neue Regierung will massiv in den Ausbau der Siedlungen und in die Infrastruktur rundherum investieren.

Umgerechnet 1,9 Milliarden Euro fließen in den Ausbau der Straßen, die diese Siedlungen untereinander und mit Israel verbinden. Dieses Straßennetz geht zulasten der palästinensischen Infrastruktur, oftmals werden einzelne Dörfer und Städte voneinander abgeschnitten.

Die Regierung plant zudem weitere Steuererleichterungen für Israelis, die sich im Westjordanland niederlassen. Eine solche gezielte Besiedlung von okkupiertem Territorium durch die Besatzungsmacht gilt als schwerer Völkerrechtsbruch. Was die schleichende Annexion betrifft, blieb Blinken jedoch äußerst vage. Er sprach sich einmal mehr für die Zweistaatenlösung aus. Konkrete Sanktionen für jene Schritte Israels, die nun eine solche Lösung verunmöglichen, sprach er nicht an.

Kritik aus den Palästinensergebieten

Der Besuch kommt in einer angespannten Phase. Im Jänner kam im Westjordanland durchschnittlich jeden Tag ein Palästinenser bei einem israelischen Armeeeinsatz ums Leben. Am Freitag schoss ein palästinensischer Terrorist auf Synagogenbesucher in Ostjerusalem und tötete sieben Menschen. Blinken appellierte an "beide Seiten, die Welle der Gewalt zu stoppen".

Vor seinem Treffen mit Palästinenserpräsident Mahmud Abbas waren die Erwartungen äußerst gering. "Den USA ist das Wohlergehen der Palästinenser doch egal", sagt Dimitri Dilani, Sprecher einer Abbas-kritischen Fraktion der Fatah. Der Anschlag auf die Synagoge sei von Blinken verurteilt worden, der Einsatz der israelischen Armee in Jenin hingegen nicht. "Das ist nicht diplomatisch, das ist feig."

Blinken gestand schon zu Beginn seines Besuches ein, dass dieser in eine "sehr schwierige Zeit" falle. Hinzu kommt, dass nach Drohnenangriffen im Iran mit Racheakten in der Region gerechnet werden muss. (Maria Sterkl aus Jerusalem, 31.1.2023)