Eigentlich nicht in Johannesburg zu Hause: der Tiger.

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In Johannesburg scheint die Grenze zwischen Dschungel und Zivilisation zunehmend zu verschwimmen. Während die Millionenstadt immer öfters in Finsternis versinkt und sich ihre Straßen in Buschpfade verwandeln, wurden in jüngster Zeit auch noch Tiger in der Stadt gesichtet – und das gleich zweimal in genauso vielen Wochen.

Die erste Wildkatze tötete im Vorort Walkerville ein Schwein sowie zwei Hunde und griff sogar einen Menschen an. Nach einer viertägigen Verfolgungsjagd wurde die achtjährige Tiger-Dame Sheba erschossen. Am Montag glaubten die Verantwortlichen der Tierschutzorganisation SPCA dann einem Déjà-vu-Erlebnis zum Opfer gefallen zu sein.

Wieder streunte am frühen Morgen ein Tiger durch die Metropole, dieses Mal im Stadtteil Edenvale und nur wenige Meter von einem Kindergarten entfernt. Das neun Monate alte Tiger-Mädchen hatte allerdings mehr Glück als seine Artgenossin. Sie wurde mit einem Projektil betäubt und in ein Asyl für Großkatzen gebracht.

Mehr Zuchttiger als wilde Tiger

Die verblüffende Koinzidenz gab den Bewohnern der Metropole zu denken. Da Tiger in Afrika bekanntlich nicht zu Hause sind, können sie nicht aus den Wildgebieten des Landes zugewandert sein. Nach Berichten von Experten leben in Südafrika mindestens 500 Tiger in Privathaushalten: Da in der Gauteng-Provinz um Johannesburg die private Haltung von Großkatzen nicht einmal gemeldet werden muss, ist die Dunkelziffer wesentlich höher. Die Tiger werden auf Raubkatzen-Farmen gezüchtet, von denen es nicht weniger als 350 in Südafrika gibt: Weltweit, weiß der WWF, stehen 4.500 wilden Tigern 12.500 gezüchtete gegenüber.

Und hier wird die Geschichte erst wirklich traurig. Die Tiger werden nämlich – wie Tausende von Löwen – nicht für ihre Erhaltung, sondern für ihre Vernichtung gezüchtet. Sind sie zu stark, um halbstarken Besitzern als Ego-Booster zu dienen, kommen sie auf Jagdfarmen, wo sie von reichen Jägern aus Übersee erlegt und schließlich in Haut und Knochen zerlegt werden. Den Kopf und das Fell kriegt der Jäger, die restlichen Knochen werden gemahlen nach Ostasien verkauft. Dort sind sie zu Tee aufgebrüht als Potenzmittel begehrt. (Johannes Dieterich aus Johannesburg, 31.1.2022)