"Ich glaube den sechs Angeklagten kein Wort", lautet das harte Resümee der Staatsanwältin. "Auf derart hinterhältige Angriffe auf unsere Werte und die Demokratie steht zu Recht die Höchststrafe." Gemeint ist der Terroranschlag vom 2. November 2020, bei dem der bereits amtsbekannte Jihadist K. F. in der Wiener Innenstadt mit einem Sturmgewehr um sich geschossen, vier Menschen getötet und etliche weitere verletzt hatte.

Mehr als zwei Jahre und fünfzehn Prozesstage am Wiener Landl später stehen die Urteile gegen sechs mutmaßliche Komplizen des Terroristen an. Sie sollen den Attentäter im Vorfeld des Anschlags etwa bei der Waffenbeschaffung unterstützt oder psychisch bestärkt haben.

Vier Angeklagten drohen im Falle einer Verurteilung lebenslange Haftstrafen wegen Mordes und Terrordelikten. Zwei weiteren maximal 20 Jahre, da sie nach dem Jugendgerichtsgesetz zu bestrafen wären. Die Urteile werden frühestens am Nachmittag erwartet. Für alle Genannten gilt die Unschuldsvermutung.

Ein letzter Überblick vor dem Prozessfinale über die Vorwürfe, die Verteidigung und die einzelnen potenziellen Strafhöhen:

Arijanit F. – Der Chauffeur

Der Vorwurf: Der 23-jährige Erstangeklagte chauffierte den späteren Wiener Terroristen K. F. in die Slowakei. Dort versuchte K. F in einem Waffengeschäft an Munition für ein Sturmgewehr zu gelangen. Er scheiterte aber, da die jungen Männer keinen Waffenschein vorweisen konnten. Der angeklagte Kosovare Arijanit F. will davon nichts mitbekommen haben. Die Gun-Shop-Betreiber erzählten eine andere Version. Die beiden jungen Männer hätten gemeinsam explizit nach Munition für ein Sturmgewehr gefragt und seien schließlich gleichsam enttäuscht abgezogen.

Belastend wirkt für den Angeklagten auch, dass er im Laufe der Ermittlungen mehrfach seine Aussage veränderte. Unmittelbar nach dem Anschlag habe Arijanit F. zudem sein Handy auf Werkseinstellungen zurückgesetzt, im Auto seiner Mutter versteckt sowie einen weiteren Angeklagten vor einer baldigen Razzia gewarnt, moniert die zuständige Staatsanwältin: "Warum mache ich so etwas, wenn ich nichts gewusst habe?"

Die Verteidigung: Sein Verteidiger plädiert für einen Freispruch, da es keine "volle Gewissheit" darüber gebe, dass Arijanit F. davon wusste, dass K. F. Munition für einen Anschlag habe kaufen wollen. Sein Mandant sei lediglich ein gläubiger Muslim und kein Extremist.

Mögliche Strafhöhe: Arijanit F. drohen zehn bis zu zwanzig Jahre oder lebenslange Haft.

Anwalt Rudolf Mayer und Anwältin Astrid Wagner beim Auftakt des Wiener Terrorprozesses im vergangenen Oktober.
Foto: APA/GEORG HOCHMUTH
Ismail B. und Burak K. – Die engen Freunde

Der Vorwurf: Die beiden dürften die letzten Personen gewesen sein, die den späteren Terroristen K. F. vor seinem Tod gesehen haben. Ismail B. (22) und Burak K. (24) besuchten ihren engen Freund noch am Nachmittag des 2. November 2020 – wollen ihm allerdings bloß ein Buch vorbeigebracht haben. Dieses konnte aber nie gefunden werden.

Die Staatsanwaltschaft wirft den Angeklagten vor, in der Wohnung des amtsbekannten Jihadisten gewesen zu sein, um ihn bei der Tatbegehung zu bestärken, während er sein Bekennervideo aufnahm. Indizien für diese These sind rar. Allerdings habe das Dreiergespann in den Tagen und Nächten vor dem Terroranschlag "durchgehend" auf Instagram gechattet. Burak K. kommentierte die IS-Bekennerbotschaft des Attentäters zudem mit den zustimmenden Worten "Jeje". Für die Staatsanwältin sei es daher "lebensfremd", dass Ismail B. und Burak K. von den Plänen ihres Freundes nichts gewusst hätten.

Für K. kommt erschwerend hinzu, dass er im Jahr 2018 versucht hatte, mit K. F. nach Syrien auszureisen, um sich der Terrormiliz IS anzuschließen. Die beiden wurden dafür verurteilt. Burak K. soll zudem probiert haben, für seinen Freund gefälschte Identitätsdokumente für eine erneute Ausreise zu besorgen.

Die Verteidigung: Aus Sicht der Verteidiger von Ismail B. und Burak K. gebe es keinen Beweis dafür, dass die beiden in der Wohnung gewesen seien und die Waffen gesehen hätten. Der Rechtsbeistand von Letzterem führte an, dass der Terrorist auch über Fremde an die Tatwaffen gelangt sei und nicht über seine engen Freunde.

Mögliche Strafhöhe: Ismail B. drohen zehn bis zu zwanzig Jahren Haft, weil er nach dem Jugendstrafgesetz zu bestrafen wäre. Burak K. hingegen zehn bis zu zwanzig Jahre oder lebenslange Haft.

Heydayatollah Z. – Der mutmaßliche Komplize

Die Anklage: Der afghanischstämmige 28-Jährige gilt als enger Komplize des Attentäters. Heydayatollah Z. wohnte nicht nur für einige Wochen in der Wohnung des Terroristen – und zwar bis unmittelbar vor dem Anschlag. Z.s DNA wurde außerdem auf sämtlichen Tatwaffen sichergestellt und beispielsweise auch auf dem IS-Siegelring, den der Terrorist trug.

Anhand von Chats schreibt die Staatsanwaltschaft dem mehrfach vorbestraften Viertangeklagten auch eine radikalislamistische Gesinnung zu. Darin heiße es unter anderem, dass Ungläubige getötet werden müssten. Seine Frau habe Z. laut Anklage zudem IS-Propaganda ins Deutsche übersetzen lassen.

Die Verteidigung: Der Anwalt von Heydayatollah Z. bestreitet alles. Z. habe mit dem Attentäter allenfalls eine "oberflächliche Freundschaft" gepflegt. Sein Mandant sei zwar "vom guten Weg abgekommen", da gehe es aber um "reine Kriminalität" und nicht um Islamismus. Z. sei ein "Unglücksrabe". Hätte er nicht in der Wohnung geschlafen, wäre er laut seinem Verteidiger nicht hier. Dieser zweifelt außerdem das Gutachten zu den DNA-Spuren an und spricht von bloßen "Interpretationen".

Mögliche Strafhöhe: Heydayatollah Z. drohen zehn bis zu zwanzig Jahre oder lebenslange Haft.

Adam M. – Der Waffendealer

Die Anklage: Der Fünftangeklagte gestand bereits, dem späteren Terroristen K. F. im Sommer 2020 Waffen samt Munition vermittelt und selbst übergeben zu haben. Handydaten legen zudem die Vermutung nahe, dass sich der 32-jährige Tschetschene Adam M. am Tag vor dem Anschlag in der Wohnung des Attentäters befunden haben könnte. Die Staatsanwaltschaft wirft M. vor, K. F. bei der Munitionierung der Pistole geholfen zu haben.

Die Verteidigung: Die Verteidigerin betont, dass das, was ihr Mandant getan habe, zwar etwas Illegales sei. Dahingehend habe er sich auch schuldig bekannt. Aber er sei kein Islamist, überhaupt ein "unpolitischer Mensch", der keine Ahnung gehabt habe, was der spätere Attentäter im Schilde geführt hatte. In der Wohnung des Terroristen sei er obendrein auch nicht gewesen. Man müsste Adam M. nicht sympathisch finden, sagt seine Anwältin, aber zu Recht wäre er – wenn überhaupt – nach dem Waffengesetz zu verurteilen.

Mögliche Strafhöhe: Adam M. drohen zehn bis zu zwanzig Jahre oder lebenslange Haft.

Ishaq F. – Der Kindheitsfreund

Die Anklage: Der Kindheitsfreund des Attentäters K. F. gab zu, dass er über ein illegales Handy in seiner Zelle und einen ehemaligen Mithäftling den Draht zu Adam M. hergestellt hatte. Der 22-jährige Sechstangeklagte will zudem davon gehört haben, dass K. F. bereits in Haft über einen Terroranschlag fantasiert habe. Erschwerend kommt hinzu, dass Ishaq F. bereits zweimal wegen Terrordelikten verurteilt wurde.

Die Verteidigung: Der Anwalt von Ishaq F. betont, dass sein Mandant den Behörden "aus freien Stücken" gesagt habe, wie sich der Waffendeal angebahnt habe. Es sei dabei aus Sicht von Ishaq F. immer um eine Kalaschnikow gegangen, nie um Munition. Nach dessen Haftentlassung hätten sich die beiden Kindheitsfreunde zudem nur zweimal gesehen.

Mögliche Strafhöhe: Ishaq F. drohen zehn bis zu zwanzig Jahre Haft, weil er nach dem Jugendstrafgesetz zu bestrafen wäre. (Jan Michael Marchart, 1.2.2023)