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STANDARD: Welche Rolle spielte Wasserstoff bisher und wie kann er dazu beitragen, die Erderhitzung zu bremsen?

Alexander Trattner: Wasserstoff ist seit Jahrzehnten weltweit ein etablierter Energieträger. 95 Prozent des Wasserstoffs werden aktuell aus fossilen Energieträgern hergestellt, überwiegend aus Erdgas. Nur knapp 5 Prozent werden aus Elektrolyse hergestellt. Und davon wiederum nur ein Bruchteil mit erneuerbarem Strom. Grüner Wasserstoff, wenn wir also von erneuerbarem sprechen, ist also momentan ein Minianteil. Der Großteil stammt aus fossilen Quellen, da spricht man von grauem Wasserstoff.

STANDARD: Da gibt es aber auch noch andere Farben...

Trattner: Wasserstoff ist ein farbloses Gas. Die Farben kennzeichnen den Herstellpfad. Der graue Wasserstoff ist der aktuell etablierte Herstellpfad, also wenn man ihn aus fossiler Energie herstellt und dabei CO2 freisetzt. Der grüne, der wichtigste für die Zukunft, wird aus erneuerbaren Energiequellen gewonnen. Dann gibt’s noch den pinken, wenn er mittels Nuklearenergie hergestellt wird. Der blaue Wasserstoff kommt eigentlich vom grauen. Er wird auch aus fossilen Energiequellen hergestellt, aber das CO2 wird eingefangen (Carbon Capture and Storage CCS). Wenn wir nicht nur das CO2 einfangen, sondern mittel Pyrolyse den Kohlenstoff binden, dann spricht man sogar von türkisem Wasserstoff. Und dann gibt es noch eine weitere Farbe: Der weiße Wasserstoff ist der natürlich vorkommende, etwa in vulkanischen Gebieten.

STANDARD: Zurück zum grauen Wasserstoff...

Trattner: Die letzten 80 Jahre wurde grauer Wasserstoff sehr intensiv eingesetzt. Knapp zwei Prozent des weltweiten Energieverbrauchs entfällt auf den Energieträger Wasserstoff. Als Ausgangsstoff für Ammoniak in der Düngemittelherstellung, in der Petrochemie, zum Beispiel in der Raffinerie zum Entschwefeln, für die Methanolherstellung, auch viel in der chemischen Industrie. Die Raffinerie der OMV etwa braucht riesige Mengen an Wasserstoff, um die Kraftstoffe aufzubereiten.

Eine Elektrolyse Anlage von Shell in Wesseling bei Köln trennt mithilfe von grünem Strom Wasser ins seine Grundbausteine Sauerstoff und Wasserstoff.
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STANDARD: Was ist von Wasserstoff aus Biomasse zu halten?

Trattner: Die Herstellung von erneuerbarem Wasserstoff sollte technologieoffen betrachtet werden. Es gibt ja nur ganz wenige erneuerbare Energiequellen. Biomasse, Umgebungswärme, erneuerbarer Strom aus Wind Wasser, Sonne, mehr haben wir nicht. Daher ist auch die Gewinnung aus Biomasse in Betracht zu ziehen.

STANDARD: Das Hauptaugenmerk bei grünem Wasserstoff liegt wohl auf der Elektrolyse...

Trattner: Der Vorteil der Elektrolyse ist, sie ist ein komplett emissionsfreier Prozess. Bei der Biomasse ist es nicht so einfach, da hängt die CO2-Bilanz sehr von den eigesetzten Pflanzen ab. Soll Biomasse großtechnisch verwertet werden, ist auch die Logistik eine Herausforderung, also die Mengen bereitzustellen.

STANDARD: Wo sehen Sie die größten Hürden in der Energiewende?

Trattner: Es ist eine zentrale Herausforderung der Energiewende, dass zwei Drittel des österreichischen Energiesystems unsichtbar für die Gesellschaft nach Österreich fließen, nämlich durch Pipelines, in Form von Gas und Öl. Dieser unterirdische Import von Energie erfolgt für große Teile der Bevölkerung vollkommen unbemerkt und ist daher auch nicht im täglichen Bewusstsein. Erneuerbare Energieproduktion findet aber an der Oberfläche statt. So muss man bewusst machen, dass die Welt in Zukunft anders aussehen wird. Wir sollten auch erkennen, dass neue Geschäftsmodelle gelebt werden können, wenn wir erneuerbare Energie selbst inländisch erzeugen und zum Beispiel ins Auto bringen, egal ob das jetzt batterieelektrisch, Wasserstoff oder etwas anderes sein wird.

STANDARD: Stichwort Reinheit des Wasserstoffs. Elektrolysewasserstoff klingt recht sauber. Biomasse wohl eher nicht?

Trattner: Wir haben ein eigenes Labor entwickelt, um die geforderte hohe Qualität des Wasserstoffs nachweisen zu können, insbesondere für den Mobilitätssektor. Die Anforderungen sind dort besonders hoch, weil die Brennstoffzelle braucht hochreinen Wasserstoff sonst altert sie. Dafür gibt es eine Norm, und diese Norm konnte bisher nicht von unabhängigen Einrichtungen nachgewiesen werden. Wir, das HyCentA, sind jetzt eines von ca. fünf Laboren in Europa, die diese Qualität nun unabhängig nachweisen können.

STANDARD: Da wurden also Normen und Grenzwerte geschaffen, für die man noch gar keine Messgeräte hatte. Wer war der Treiber dahinter?

Trattner: Hauptsächlich die Brennstoffzellen-Hersteller. Sie wollten ganz sicher gehen, dass ihre Produkte nicht zu schnell altern.

Verbrennungsmotoren die hochentzündlichen Wasserstoff als Treibstoff verwenden (HICEVs) produzieren grundsätzlich nur Wasserdampf als Abfallprodukt, allerdings können bei höheren Betriebstemperaturen auch Stickoxide entstehen.
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STANDARD: Der Verbrennungsmotor wäre wohl nicht so empfindlich auf die Wasserstoff-Qualität?

Trattner: Die Brennstoffzelle braucht hochreinen Wasserstoff, der Verbrennungsmotor kann mit mehr Unreinheiten umgehen. Wir haben bereits 2009 mit dem Institut für Thermodynamik der TU Graz einen Mercedes entwickelt, der sogar Mischgase nutzen kann. Er konnte vollflexibel zwischen Methan, also Erdgas, und Wasserstoff jegliche Mischungen verbrennen. Das ist eine große Stärke des Verbrennungsmotors, dass er mit großen Unreinheiten wesentlich leichter umgehen kann als die Brennstoffzelle.


STANDARD: Es wird gerne gesagt, der Verbrennungsmotor sei tot. Doch im Zusammenhang mit dem Wasserstoff scheint er doch noch Chancen zu haben. Man sagt zwar, sein Wirkungsgrad wär viel schlechter, aber in vielen Fällen ist die Brennstoffzelle auch nicht so überragend wie es gerne dargestellt wird...

Trattner: Die Brennstoffzelle hat den höchsten Wirkungsgrad in der Teillast, dann fällt er immer stärker ab. Man muss genau den Einsatzzweck bewerten. In der Teillast, wo sich der Pkw meistens aufhält, erreicht die Brennstoffzelle Wirkungsgrade bis 65 Prozent. Im Schnitt erreicht der Brennstoffzellen-Pkw über alle Fahrzyklen über 50 Prozent. Selbst die sehr guten Dieselmotoren erreichen im Schnitt nur 25 Prozent im Pkw. Spitzenwirkungsgrade haben diese sehr wohl von 40 bis 45 Prozent. Wenn wir aber auf den Lkw hinblicken, wo die Motoren sehr viel unter Volllast laufen, kommen wir in den Bereich von 45 Prozent Wirkungsgrad. Die Brennstoffzelle hat in diesem Bereich auch nicht viel mehr.

STANDARD: Könnte man nicht einfach eine größere Brennstoffzelle nehmen, damit sie im Teillastbereich arbeiten kann?

Trattner: Das macht man auch zum Teil. Das nennt man "Stack Oversizing". Ist natürlich auch eine Kostenfrage. Zu Baumaschinen, Schwerverkehr passt die wasserstoffbetriebene Verbrennungskraftmaschine ebenfalls sehr gut. Ich weiß eigentlich gar nicht, warum das Thema Effizienz so stark an Bedeutung gewonnen hat, dies sollte nicht das einzige Kriterium für die Bewertung von Antrieben sein. Das Problem, das wir lösen müssen, heißt ja CO2.

STANDARD: In letzter Konsequenz heißt aber hohe Effizienz auch, Bedarf an weniger Windrädern und Solarpanelen....

Trattner: Nein, nicht unbedingt, beim erneuerbaren Ausbau der Stromproduktion müssen wir ja auch die zeitlichen und örtlichen Bedingungen von Angebot und Nachfrage betrachten. Das wird oft zu einfach gesehen. Viele tun gerne so, als ob die Energie immer da wäre, wenn sie benötigt wird. Heute haben wir in Österreich 70 Prozent erneuerbaren Strom, bis 2030 soll bilanziell 100 Prozent erreicht werden. Im Winter heißt das, dass wir ca. vier Gigawatt Strom importieren müssen. Das ist nicht zu Ende gedacht. Effizienz ist daher nicht das einzige Kriterium. Die Elektrolysetechnologie zur Wasserstoffherstellung ermöglicht genau diese zeitliche und örtliche Integration der erneuerbaren Quellen und einmal hergestellt, dient der Wasserstoff als Energiespeicher. Wasserstoff ist daher zentraler Bestandteil um ein resilientes also krisenfestes erneuerbares Energiesystem zu realisieren.

Aufgrund seiner hohen Energiedichte bietet sich Wasserstoff auch für Verbrennungsmotoren im Rennsport an.
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STANDARD: Ist die "elektrochemische" Brennstoffzelle letztlich nicht einfacher und damit unproblematischer als ein mechanischer Verbrennungsmotor in seiner ganzen Kompliziertheit?

Trattner: Die Verbrennungskraftmaschine besteht zwar aus sehr vielen meist metallischen Bauteilen, aber die Herstellung und das Recycling wurde über Jahrzehnte optimiert und ihr CO2-Fußabdruck der Herstellung ist sehr gering. Langfristig sehe ich aber schon: Die Brennstoffzelle wird laufend besser. Sie hat noch viel mehr Entwicklungspotenzial. Ganz weit in die Zukunft geblickt, bin ich schon der Ansicht, dass die Brennstoffzelle die Verbrennungskraftmaschine großteils ablösen wird, aber der Verbrennungsmotor wird nicht von heute auf morgen verschwinden.

STANDARD: Bei der Herstellung von blauem Wasserstoff aus Erdgas wird CO2 abgefangen, um dieses nicht in die Atmosphäre zu entlassen. Man möchte es in ausgebeuteten Erdgasfeldern endlagern. Ist das eine gute Idee oder wäre es nicht besser, ehemalige Erdgaslager als Wasserstoffspeicher zu verwenden?

Trattner: Zum Thema CO2-Endlagerung gibt es viele Diskussionen. Sicher ist auf jeden Fall: Wasserstoff unter Tage zu lagern, ist für das ganze Energiesystem wichtig, weil wir künftig extrem viel Energie vom Sommer auf den Winter verlagern müssen. Die einzigen Speicher, die eine saisonale Verschiebung zulassen sind chemische Energieträger. Und der einzige chemische Energieträger ohne Kohlenstoff ist der Wasserstoff.

STANDARD: Gibt es dafür schon Beispiele?

Trattner: Die RAG (Renewables and Gas, ehemals Rohölaufschließungsgesellschaft) betreibt das Projekt Underground Sun-Storage 2030, wo genau das gemacht wird. Das ist an der Grenze zwischen Oberösterreich und Salzburg, wo früher große Erdgaslagerstätten waren. Mit diesen Gasspeichern hat Österreich einen zentralen Vorteil. Die Gesteinsschichten sind komplett dicht für Wasserstoff. Wir könnten dort einen Ganzjahresverbrauch an Wasserstoff in Österreich speichern. Dies bedeutet Energiesicherheit. Als Untertagespeicher sind auch Salzkavernen interessant. Die sind ebenfalls komplett gasdicht.

Ammoniak wird heute hauptsächlich mit dem äußerst energieintensivem Haber-Prozess hergestellt, bei dem Stickstoff und Wasserstoff bei über 400 °C und 100-fachem Atmosphärendruck zu NH3 kombiniert werden.
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STANDARD: Zwei flüssige Energieträger mit hohem Wasserstoffgehalt, nämlich Methanol und Ammoniak sollen auch für den Verkehrssektor eine Rolle spielen?

Trattner: Beide werden hauptsächlich im Bereich der maritimen Antriebe diskutiert. Ammoniak ist deshalb so spannend, weil es sich um eine Stickstoffverbindung handelt, die keinen Kohlenstoff enthält. Der dritte Kraftstoff wäre flüssiger Wasserstoff. Was wir am schnellsten sehen werden, ist aber Ammoniak. Dafür gibt es eine erprobte Logistik. Es wird auch in der Schifffahrt ein Mix werden, je nach Schiffsgröße und Einsatzgebiet. Wir werden auch dort sehr viel die Verbrennungskraftmaschinen weiter in der Anwendung sehen, aber auch die Brennstoffzelle. Das Rennen ist offen.

Standard: Bei der Eisenbahn ist ja global sehr wenig elektrifiziert. Gibt es da auch Handlungsbedarf?

Trattner: In Österreich ist fast das ganze Schienennetz elektrifiziert. Aber schon in Deutschland sind es nur rund 50 Prozent. Bei sehr kurzen Fahrstrecken ist sogar der batterieelektrische Weg interessant. Wenn die Fahrstrecken länger werden und das Intervall noch nicht allzu dicht ist, ist Wasserstoff mit der Brennstoffzelle die passende Antriebslösung. In Deutschland werden schon seit Jahren Brennstoffzellen-Antriebe in Zügen eingesetzt. Funktioniert bestens und sollte auch in Österreich für die nicht-elektrifizierten Strecken mehr in Betracht gezogen werden.

Standard: Die Wiederverwertbarkeit spielt in der Energiebilanz auch eine wichtige Rolle. Bei der Verbrennungskraftmaschine funktioniert Recycling ganz gut, bei den Antriebsbatterien muss der Kreislauf erst in Gang gebracht werden, und wie ist das bei der Brennstoffzelle?

Trattner: Die Brennstoffzelle weist einen einfachen Aufbau verschiedener funktionaler Schichten und Platten auf. Bei der Elektrodenschicht werden die Katalysatoren aufgebracht, dies ist zumeist Platin – ein seltenes Edelmetall. Dies kann schon heute so gut wie zu hundert Prozent recycelt werden. Ich bekomme alles wieder zurück, was jemals drinnen war. Ökologisch gesehen ist das Wasserstofffahrzeug mit der Brennstoffzelle sehr interessant. Der einzige Nachteil ist der Carbonfasertank. Carbonfaser stößt bei der Herstellung aktuell sehr viel CO2 aus. Den größten Anteil des ökologischen Fußabdrucks des Wasserstofffahrzeugs stellt aktuell der Carbonfasertank dar. Wir beschäftigen uns aber schon mit erneuerbaren Carbonfasern. Einerseits, dass man Carbonfasern aus biogenen Stoffen herstellt, andererseits die Pyrolyseprozesse auf erneuerbare Energien umstellt. Und dass man letztendlich die Carbonfaser wieder dem Recycling zuführen kann. Mit diesen technologischen Fortschritten wird es ermöglicht, dass das Wasserstofffahrzeug über den ganzen Lebenszyklus sogar am wenigsten CO2 ausstoßen wird. Aber auch heute ist der ökologische Fußabdruck der Herstellung und des Recyclings des H2-Fahrzeugs immer noch deutlich besser als der des Batteriefahrzeugs.

Die Lagerung von Wasserstoff erfolgt entweder bei Normaltemperatur unter enormen Druck oder als Flüssiggas bei Temperaturen unter -252,9 °C, dem Siedepunkt von Wasserstoff.
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Standard: Wie empfindlich ist die Brennstoffzelle bei schwankenden Außentemperaturen?

Trattner: Ein Wasserstofffahrzeug kann im Winter die Abwärme der Brennstoffzelle nutzen. Das heißt die Reichweite und daher der Verbrauch ist im Sommer und Winter gleich. Beim Batteriefahrzeug muss ich die Energie zum Heizen aus der Batterie entnehmen. Da würde ich mir schon wünschen, dass man sich da Realdaten genauer anschaut: In welchen Klimazonen fahren denn die Fahrzeuge und was brauchen sie nicht nur fürs Fahren sondern auch für die Klimatisierung? (Rudolf Skarics, 5.2.2023)