Als Österreich – in Person von Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) – jüngst als einziges EU-Land den Schengen-Beitritt Rumäniens blockierte, gab es kaum einen Kommentar, der diese Entscheidung nicht mit der Landtagswahl in Niederösterreich in Verbindung brachte. Eine der zentralen Aufgaben Karners für seine Partei ist, auch in Worten und Gesten harte Hand gegen Migranten und Asylwerbende zu signalisieren – und damit die rechte Flanke gegenüber der FPÖ abzusichern.

Genützt hat es der Volkspartei allerdings wenig, wie das Ergebnis der Niederösterreich-Wahl am Sonntag belegte. Die knapp zehn Prozentpunkte, die die ÖVP verlor, gewann die FPÖ hinzu. Wählerstromanalysen zeigen, dass ein großer Teil der Stimmen tatsächlich direkt von Türkis zu Blau wanderte.

2022 haben fast 109.000 Menschen in Österreich um Asyl angesucht.
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Wieder einmal bestätigte sich also die alte politische Weisheit: Wählerinnen und Wähler gehen lieber zum Schmied als zum Schmiedl. Und beim Thema Migration gelang es den Freiheitlichen – abseits von einigen türkisen Jahren unter Ex-Kanzler Sebastian Kurz – fast immer, die Themenführerschaft an sich zu ziehen. Jedenfalls wenn es darum ging, die Thematik mit vorhandenen Emotionen und Ängsten aufzuladen und so für politische Zwecke zu instrumentalisieren. Und das vergiftet den Diskurs.

Gleichzeitig haben sich Versuche, die Themen Asyl und Migration weitläufig zu umschiffen, wie das SPÖ und Grüne häufig taten, als wenig erfolgreich erwiesen. Denn um es zu ignorieren, ist das Thema schlicht zu relevant. Nicht nur in Niederösterreich war es mit wahlentscheidend. Bei vergangenen Nationalratswahlen, allen voran beim ersten Kurz-Sieg 2017, war es dominant.

Auch vor diesem Hintergrund sprechen die am Montag veröffentlichten Asylzahlen für das Vorjahr eine deutliche Sprache: Dass 2022 fast 109.000 Menschen in Österreich um Asyl angesucht haben, ist ein Allzeitrekord. Zwei Jahre zuvor waren es beispielsweise nur knapp 15.000. Und selbst im Jahr der großen Flucht- und Migrationsbewegungen 2015 gab es mit 88.000 deutlich weniger Anträge als zuletzt.

Zusammenarbeit und Solidarität

Was Innenministerium wie FPÖ dabei aber gerne verschweigen: Fast 40 Prozent der Antragsteller des Vorjahrs zogen kurz danach undokumentiert in andere EU-Länder weiter – nehmen die heimische Grundversorgung also gar nicht in Anspruch. Auch die Antragszahlen gehen seit dem Ende der Visa-Freiheit in Serbien wieder stark zurück.

Allerdings: Österreichs Grundversorgung ist vor allem wegen der vielen Ukraine-Vertriebenen dennoch stark ausgelastet. Und: Dass Menschen weiterziehen, entlastet zwar das österreichische System – verlagert das Problem aber nur.

Tatsächlich helfen würden forcierte europäische Zusammenarbeit und Solidarität – die sich aufgrund nationaler Interessen schwierig genug gestaltet. Verbessert werden kann sie aber nur, wenn Asyl und Migration nicht ständig für politisches Kleingeld und nationale Populismen instrumentalisiert werden. Gerade Österreich, das im Pro-Kopf-Vergleich mit besonders vielen Asylanträgen konfrontiert ist, sollte hier nachhaltig statt kurzfristig denken: konstruktive Verbündete suchen; auf europäischer Ebene zur Versachlichung beitragen; und die Speerspitze auf dem Weg zu einer funktionaleren EU-Migrationspolitik bilden, anstatt sie für innenpolitisches Kalkül bis hinab zur regionalen Ebene zu missbrauchen. (Martin Tschiderer, 31.1.2023)