In Diskussion mit dem neuen ORF-Gesetz: Beschränkungen für Textbeiträge auf ORF.at zugunsten von mehr Video.

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ORF-Chef Roland Weißmanns Ankündigung, der ORF werde das Textangebot auf ORF.at halbieren, sorgte für teils heftige Debatten. Der Generaldirektor des öffentlich-rechtlichen Medienriesen wollte damit im Frühherbst 2022 die festgefahrenen Verhandlungen über ein neues ORF-Gesetz wieder anstoßen und nahm eine Forderung privater Medienhäuser auf: Limits für Textinhalte auf öffentlich-rechtlichen Portalen. Solche Beschränkungen gibt es schon in Skandinavien – DER STANDARD fragte nach.

Im Vordergrund: GIS und dreistellige Millionen-Sparvorgaben

Die Verhandlungen über ein neues ORF-Gesetz beschäftigen sich derzeit merkbar vor allem mit dem zukünftigen GIS-Modell: Der Verfassungsgerichtshof verlangt spätestens ab 2024 eine neue öffentliche Finanzierung des ORF, die im Gegensatz zur bisherigen GIS auch für die Möglichkeit zur Streamingnutzung eingehoben wird. Wahrscheinlichstes Modell derzeit: eine Haushaltsabgabe wie in Deutschland und der Schweiz unabhängig von Empfangsgeräten und Empfangsmöglichkeiten, aber mit geringerer Belastung für den einzelnen Haushalt als durch die GIS. Bis zu dreistellige Millionen-Sparvorgaben für den ORF über fünf Jahre sind dafür in Diskussion.

Der ORF ist mit gut einer Milliarde Euro Jahresumsatz, davon für 2023 geplante rund 676 Millionen aus GIS-Gebühren, der weitaus größte Medienkonzern im Land. Er ist größer als alle privaten Rundfunkunternehmen in Österreich zusammen und größer als die drei größten verlegerischen Medienhäuser zusammen.

Streaming und Zeitungsähnlichkeit

Im Gegenzug für Sparvorgaben drängt der ORF aber auf mehr Möglichkeiten für den öffentlich-rechtlichen Medienriesen im Streaming und auf Social Media. Der ORF will Formate auch alleine – oder vor einem Radio- oder TV-Einsatz – für Streaming produzieren dürfen.

Da der ORF mit ORF.at den Online-Newsmarkt in Österreich dominiert, verlangen private Medienhäuser für mehr Streamingmöglichkeiten des ORF Einschränkungen des Textangebots. "Zeitungsähnliche" Onlineangebote sind ihm schon jetzt verboten – Verlagsunternehmen sehen diese Vorgabe beim ORF aber nicht ausreichend umgesetzt. Auch ARD und ZDF sollen sich auf Video- und Audioangebote konzentrieren.

Limits mit Ausnahmen in Finnland

Seit 1. August sind gesetzliche Beschränkungen für Textangebote der finnischen öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt YLE in Kraft.

YLE soll sich laut Gesetz online primär auf Video- und Audioinhalte konzentrieren. Textbasierte Inhalte müssen einen Bezug zu Video- oder Audiobeiträgen von YLE haben. Davon ausgenommen sind (nicht näher definiert) "kurze" Textmeldungen mit Inhalten von nationalen finnischen Nachrichtenagenturen, Breaking News, textbasierte Inhalte aus Kultur und Bildung, der YLE vorgeschriebene offizielle Verlautbarungen, sowie Textnachrichten in Minderheitensprachen.

Timo Huovinen, zuständig für journalistische und ethische Standards bei YLE, erläutert die Regelungen auf STANDARD-Anfrage. Während in Österreich schon über maximale Meldungszahlen auf ORF.at verhandelt wurde und die ORF-Landesstudios laut Gesetz nur jeweils 80 regionale Meldungen online stellen dürfen, gibt es bei YLE keine Beschränkung der Meldungszahl online.

Der Bezug zu Video- oder Audiobeiträgen gilt laut Huovinen nicht alleine für TV und Radio – auch Streamingbeiträge erfüllen diese Anforderung. Es gebe auch keine zeitliche Vorgabe – die Textmeldung könne zuerst publiziert werden und später Audio- oder Videocontent für den nötigen Bezug folgen.

"Die einzige Beschränkung der Länge von News-Storys ohne Video- oder Audiobezug ist: kurz", erklärt Huovinen. "Und wann ist eine News-Story 'kurz'? Das ist eine Frage der Interpretation. Wir bei YLE interpretieren das im Sinne der Medien- und Meinungsfreiheit."

Schweden

Henrik Selin, Senior Advisor bei der schwedischen Rundfunkanstalt SVT, berichtet auf STANDARD-Anfrage von "Diskussionen" über solche Textlimlits in Schweden, aber keine konkreten Pläne.

Die schwedische Verlegerorganisation Tidningsutgivarna dränge neuerlich auf Regelungen für die öffentlich finanzierte SVT, die mit ihrem Onlineangebot die Chancen privater Medienhäuser beeinträchtige, bezahlte Abos für Onlineinhalte zu vermarkten.

SVT konzentriere sich stark auf Videoinhalte, die inzwischen rund 70 Prozent des Onlineangebots ausmachten, erklärt Selin. Derzeit ist ein Onlineangebot Teil des Auftrags, es gebe darin keine Beschränkungen oder qualitative Vorgaben, erklärt Selin. Aber, so die Vorgabe: SVT müsse die Folgewirkungen seiner Angebote auf Qualitätsmedien und auf die Vielfalt in einem funktionierenden Medienmarkt berücksichtigen.

Öffentlich-rechtliche Aufträge

Öffentlich-rechtliche Medien in Schweden werden nicht durch ein Gesetz reguliert, sondern durch zeitlich befristete öffentlich-rechtliche Aufträge (wie etwa auch bei der BBC), vorbereitet von üblicherweise parlamentarischen Kommissionen zur Evaluierung der öffentlich-rechtlichen Leistungen, und Entscheidungen über künftige Aufgaben und deren Finanzierung.

Der aktuelle Auftrag läuft seit 2020 und noch bis 2025, der nächste soll von 2026 bis 2033 laufen. Die Vorbereitungen dafür beginnen in diesem Jahr. Private Medienhäuser reklamieren Regelungen für Online-Textangebote von SVT in die neue Regelung – eine Aufnahme gilt als wahrscheinlich.

Erste Entwürfe und Diskussionsansätze für einen neuen Auftrag würden eine Konzentration auf Video- und Audioinhalte vorsehen und einen restriktiven Umgang mit längeren Textbeiträgen online. SVT lege schon jetzt einen "klaren Fokus auf Video", beschränke die Textumfänge von digitalen Newsbeiträgen und Zitierungen anderer Medien. Zugleich stelle SVT anderen Medien etwa Livefeeds von großen Newsereignissen und anderen Events kostenlos zur Verfügung. Die privaten Medienhäuser monieren dennoch ein zu umfangreiches Textangebot und Konkurrenz für ihre Bezahlangebote – die SVT mit Verweis auf wissenschaftliche Studien infrage stellt.

Dänemark gab Beschränkungen auf

Ähnlich befristete Aufträge gibt es in Dänemark für öffentlich-rechtliche Medien.

Beim dänischen öffentlich-rechtlichen Rundfunk DR bestätigt man auf STANDARD-Anfrage Beschränkungen für die Online-Berichterstattung: Auf www.dr.dk müsse DR Inhalte hoher Qualität bieten, die journalistisch geboten sind und dem öffentlich-rechtlichen Auftrag entsprechen. DR muss sich online auf Eigenproduktionen und dänische Produktionen in Bild, Ton und Text konzentrieren. DR kann textbasierte Nachrichten publizieren, muss aber von langen, tiefergehenden Artikeln absehen.

Diese Regelungen standen im inzwischen abgelösten öffentlichen Auftrag für DR, hieß es beim dänischen Rundfunk: "Diese Beschränkungen gibt es im neuen Public-Service-Vertrag nicht mehr, der mit Oktober 2022 in Kraft trat." (fid, 6.2.2023)