Vor allem die Menschen im Globalen Süden, die am wenigsten zur globalen Erwärmung beigetragen haben, sind am stärksten davon betroffen.

Foto: IMAGO/Syed Mahamudur Rahman

Dass das 1,5-Grad-Ziel nicht mehr zu halten sein wird, ist unter Klimaforschenden schon länger klar. Öffentlich kommuniziert wurde das bisher allerdings kaum, befürchteten doch viele Fachleute, dass das Eingestehen des Scheiterns zu Resignation und schließlich zu noch weniger Klimamaßnahmen führen könnte. Zuletzt ist aber eine Reihe von Studien erschienen, die klar feststellen, dass das 1,5-Grad-Ziel nicht mehr zu halten sein wird – zu eben diesem Ergebnis kommt in aller Deutlichkeit auch der am Mittwoch veröffentlichte "Hamburg Climate Futures Outlook"-Bericht. Die Menschheit wird aller Voraussicht nach bei der wichtigsten Aufgabe dieses Jahrhunderts versagen.

Werden Kipppunkte überschritten, wäre die Erderhitzung nicht mehr aufzuhalten – ein sich selbst verstärkender Teufelskreis. Wie funktionieren sie, und stehen wir schon an der Kippe?
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Ist es also an der Zeit, dass die Wissenschafterinnen und Politiker der Bevölkerung endlich reinen Wein einschenken und offen zugeben, dass wir das 1,5-Grad-Ziel vermasselt haben? Ja und nein. Es stimmt, das 1,5-Grad-Ziel ist wohl nicht mehr zu erreichen, aber jetzt ein Gefühl von Resignation zu verbreiten, wäre fatal. Alles, was wir über das Klimasystem wissen, zeigt, dass jedes Zehntelgrad, um das wir die globale Erwärmung begrenzen können, zählt: Wenn wir unsere Emissionen reduzieren, kann die Häufigkeit für Extremwetterereignisse verringert, Dürren können verhindert und menschliches Leid insbesondere im Globalen Süden vermindert werden.

Mehr Anpassung als bisher notwendig

Gerade weil wir auf direktem Weg sind, das 1,5-Grad-Ziel zu verfehlen, muss der Anpassung an das Leben in einer wärmeren Welt noch viel mehr Aufmerksamkeit zukommen als bisher. Über Klimaanpassung zu sprechen, wurde lange Zeit von vielen argwöhnisch beäugt: All unsere Kraft müsse in die Umsetzung von Klimaschutzmaßnahmen gesteckt werden, nicht in die Überlegungen zu Anpassungen an eine Realität, die wir vermeiden wollen, wurde gerne von Klimaaktivisten und Umweltschützerinnen argumentiert.

Dieses Argument verliert immer mehr an Substanz. Ja, wir müssen alles Erdenkliche tun, um die globale Erwärmung so gering wie möglich zu halten. Noch viel stärker als bisher müssen wir aber auch der Tatsache ins Auge blicken, dass in den kommenden Jahren und Jahrzehnten eine Klimasituation eintreten wird, wie sie unsere Zivilisation noch nicht erlebt hat.

Die Entwicklung und Anpassungsmöglichkeiten müssen rascher und breitflächiger ausgerollt werden, als dies bisher der Fall war. Erst diese Woche hat eine Studie gezeigt, dass mehr Bäume in europäischen Städten die Anzahl der Hitzetoten schon jetzt um ein Drittel senken würden. Noch viel wichtiger werden Anpassungsmaßnahmen aber für jene vulnerablen Gruppen sein, die am stärksten vom menschengemachten Klimawandel betroffen sind – insbesondere ärmste Bevölkerungsschichten im Globalen Süden. Gerade sie haben am wenigsten zur globalen Erwärmung beigetragen und verdienen nun unsere größtmögliche Unterstützung, um sich auf unaufhaltbare Klimafolgen rechtzeitig vorzubereiten zu können. (Tanja Traxler, 1.2.2023)