Die Belgier, die Zyprioten, die Niederländer und auch die Italiener dürfen sich freuen. Die Teuerung ist in allen vier Ländern im Jänner 2023 spürbar zurückgegangen. Die Inflation liegt zwar immer noch deutlich über dem Zielwert von zwei Prozent, den die Europäische Zentralbank (EZB) vorgegeben hat. Aber in den genannten Staaten zeigen die Zahlen eine deutliche Trendwende. Diese positive Entwicklung ist in der Mehrzahl der Euroländer spürbar, wie die Statistikbehörde Eurostat am Mittwoch mitgeteilt hat. Die Inflation im Jahresabstand lag in der Eurozone im Jänner bei 8,5 Prozent nach 9,2 Prozent im Dezember.

Deutlich anders ist die Entwicklung in Österreich: Hier weist Eurostat nach der einheitlichen EU-Berechnungsmethode eine Inflation im Jänner von 11,5 Prozent aus, nach 10,5 Prozent im Dezember. Die Teuerungskrise hat sich in Österreich damit sogar weiter verschärft.

Von den 20 Euroländern verzeichneten bei der Inflation im Jahresabstand 13 einen Rückgang, für zwei Länder lagen noch keine Daten vor, und mit Österreich stiegen bloß in fünf Staaten die Preise weiter an.

Warum ist das so, warum entwickelt sich die Situation in Österreich entgegen dem Trend? Eine mögliche Antwort: Verantwortlich sind die Energie- und Teuerungshilfen, die per Gießkanne verteilt wurden.

Österreich hat in den vergangenen zwölf Monaten beinahe monatlich neue Hilfen beschlossen: Eine Strompreisbremse für Haushalte wurde fixiert, ein Energiekostenzuschuss für Unternehmen, dazu wurde die kalten Progression abgeschafft. Es gab einen erhöhten Klimabonus von 500 Euro pro Erwachsenen, dazu Steuervergünstigungen für Pendler, höhere Zuschüsse für Familien. Unbestritten ist, dass diese Maßnahmen wenig zielgerichtet waren: Finanzstarke Haushalte profitierten ebenso wie finanzschwache. Geld gab es für alle.

Weniger Angebot, mehr Nachfrage

Inflation entsteht dann, wenn die gesamtwirtschaftliche Nachfrage schneller wächst als das Angebot. Hat also der Staat mit dem Geldregen die Nachfrage und damit die Inflation befeuert? Der Chef des wirtschaftsliberalen Thinktanks Agenda Austria, Franz Schellhorn, meint, die Sache sei eindeutig: "Wenn der Staat in Phasen, in denen wir eine Angebotskrise erleben, permanent die Nachfrage befeuert, da muss man nicht der große Experte sein, um das festzustellen."

Eine Analyse des IWF zeigt: Österreich hat wie anderen EU-Länder wenig zielgerichtet Geld für Antiteuerungshilfen ausgegeben. Dafür waren die heimischen Hilfen besonders üppig.
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Schellhorn nennt als Beispiel die Stromkostenbremse, die laut Finanzministerium jedem Haushalt im Schnitt 500 Euro Ersparnis bringen wird. "Viele gehen mit diesem Geld einkaufen. Die ärmsten zehn bis zwanzig Prozent brauchen diese Unterstützung, vielleicht sogar mehr. Aber nicht die anderen." Ein Blick in Restaurants und auf Skipisten zeige, dass die Nachfrage ungebrochen hoch ist.

Nachsatz von Schellhorn: "Es wundert mich, dass von einigen Experten nicht mehr Gegenwehr kommt."

Damit gemeint sein könnten die etablierten Forschungsinstitute. Beim Wifo heißt es tatsächlich schon seit Monaten, dass die Regierungshilfen die Teuerung nicht groß befeuern. Wifo-Ökonom Marcus Scheiblecker spricht davon, dass dieser Effekt "zu vernachlässigen ist".

Wie er darauf kommt? Er verweist auf die Presseaussendung der Statistik Austria zu den aktuellen Zahlen: Dort heißt es zu der im Jänner gestiegenen Inflation, dass "hauptverantwortlich dafür kräftige Preiszuwächse bei Haushaltsenergie" seien – und zwar trotz der Strompreisbremse. Die Netzkosten haben sich verteuert, und die hier zugesagten Hilfen würden erst ab März greifen, so die Statistik Austria.

Österreich zieht davon

Während unbestritten ist, dass Netzkosten Preise in die Höhe treiben, ist es auch eine Tatsache, dass der Warenkorb, anhand dessen die Inflation gemessen wird, aus hunderten Produkten besteht. Das führt dazu, dass einzelne Waren und Dienstleistungen nur ein kleines Gewicht im gesamten Index haben. Auf Strom und Gas entfallen in der Inflationsmessung zum Beispiel nur etwas mehr als drei Prozent der Ausgaben.

Sprich: Dass die Preise insgesamt so stark über den Vorjahreswerten liegen, hängt damit zusammen, dass der Preisanstieg breit war, nahezu alle Produkte betroffen waren – und es seitdem keine Trendwende gab. Nur Energie kann es nicht sein.

Das legt auch eine Analyse des Neos-Lab nahe. Der Thinktank der Oppositionspartei zeigt in einer aktuellen Auswertung, dass in Österreich die Kerninflationsrate seit Monaten stärker steigt als im Schnitt des Euroraums.

Die Kerninflation lag in Österreich im Dezember bei 7,6 Prozent und im Euroraum bei 5,2 Prozent. Neuere Daten gibt es noch nicht.

Das ist interessant, weil bei der Kerninflationsrate die Entwicklung der Preise ohne Energie und Lebensmittel gemessen wird, also die besonders volatilen Komponenten weggelassen werden. Die Kerninflationsrate bezieht dafür Restaurantbesuche, Urlaube und die Entwicklung bei Konsumgütern mit ein. Hier spielt die Nachfrage in Österreich eine wichtigere Rolle als etwa bei den Gas- oder Spritpreisen, wo es einen weltweiten oder regionalen Markt gibt.

Neos-Lab-Chef Lukas Sustala interpretiert die Daten jedenfalls so: "Österreich hat in der Pandemie und der Energiekrise mit die höchsten Staatshilfen pro Kopf ausgegeben. Das hat natürlich nun auch die Inflation mit angefacht, was sich auch daran zeigt, dass die Teuerung auch jenseits von Gas und Strom deutlich stärker zugelegt hat als in europäischem Schnitt."

Österreich gab mehr Geld aus

Tatsache ist, dass bisherige Analysen zeigen, dass Österreich zwar nicht weniger treffsicher agiert als andere Staaten – aber deutlich mehr ausgibt. So wurden im Rahmen einer Analyse des Internationalen Währungsfonds (IWF) die Reaktionen der EU-Länder auf die Preisanstiege bei Strom und Gas verglichen. Österreich ist eines jener Länder, die für die Jahre 2022 und 2023 bisher die höchsten Hilfszahlungen zugesagt haben.

Laut IWF summieren sich die Hilfen auf vier Prozent der heimischen Wirtschaftsleistung. Im EU-Schnitt belaufen sich diese Zusagen nur auf 2,4 Prozent des BIP.

Ein anderer Punkt, auf den das arbeitnehmernahe Momentum-Institut verweist, ist, dass es auch darauf ankommt, wie das Geld eingesetzt wird. Momentum-Chefökonom Oliver Picek dazu: "Österreich hat die meisten Milliarden gegen die Teuerung mit der Gießkanne an alle ausgeschüttet. Auch Spanien und Frankreich geben viel Geld aus. Sie setzen aber stärker auf Preiskontrollen und Preisbremsen, die direkt Preiserhöhungen dämpfen. Das bewahrte die Haushalte beim Heizen oder bei ihrer Miete vor einer zweiten Welle an Preissteigerungen der Unternehmen im Herbst, die in Österreich voll zugeschlagen hat. Auch deshalb ist in Spanien die Inflation aktuell nur halb so hoch wie in Österreich." (András Szigetvari, 2.2.2023)